“Let’s go out and fight some trouble”
(Jamie T. – Sticks’n’stones)
Man stelle sich vor: Kunstunterricht, mit der Vorgabe ein Bild zu malen, strikt unter der Vorgabe eines Themas. Und einer tanzt aus der Reihe.
Auf die Musik übertragen wäre das wohl Jamie T., der seine Musik ebenso wenig in eine Schublade stecken lässt, wie Frauen genung Schuhe haben können. Jamie T. macht sich also auf seinem nunmehr zweiten Album „Kings and Queens“ die ganze musikalische Farbpalette zu Eigen, ganz ohne Restriktionen, dafür forsch und hyper-kreativ. Freunde stupiden Kategorisierens treten beim Hören dann auch wohl erste Tränen in die Augen, unterwirft sich Jamie T. (eigentlich Treays) doch keinerlei Einschränkungen und siedelt sein Album irgendwo zwischen Hip Hop, Indie, Pop-Punk, Reggae… an. Was bei anderen Künstlern als bitterböses Erwachen enden würde stellt sich bei Jamie als gekonnten Balance-Akt heraus. Bravo dafür! So hat man also mit Jamie T. mit dem Gegenteil eines Wimbledoner Einfaltspinsels zu tun.
Jamie, eigentlich ein britischer Rotzlöffel par Excellenze, überrascht auf „Kings and Queens“ mit ruhigen, melodischen Songs wie „Emily’s Heart“ und „Jilly Armeen“, beides an den Folk angelehnte Stücke. Sanft und rau zugleich gesungen. Die Stärke findet sich in den Refrains beziehungsweise insgesamt in seiner Textstärke wieder. Man munkelt, dass sich Treays von Großmeister Rob Zimmermann aka Bob Dylan in musikalischer Hinsicht hat inspirieren lassen.
Wunderschön kommt so also „Emily’s Heart“ daher das, vor allem durch die Akustik-Gitarren-Riffs unterstützt, die Flimmerhärchen streichelt. Das Piano das zum Einsatz kommt fördert eine ambivalente Stimmung. Denn die latente Ahnung, dass das Lied weitaus melancholischer daherkommt als es den Anschein macht, findet nur allzu schnell Bestätigung. Diese Emily hat ihm nämlich sehr deutlich vor Augen geführt was passiert wenn man sie in ihrer Herzensangelegenheit- der Liebe- verletzt. („This is what happens if you fuck around“) Kurzerhand greift sie zu Opas oller Büchse, erschießt den Verflossenen und lässt ihn zurück, „bruised and bloody“. Die Welt sei gewarnt, mit einer Stimme die für Jamie schon fast gehaucht klingt.
Von Jamie T. gewohnte Töne sind auf dem Eingangslied „368“ zu vernehmen und geben dann auch sogleich einen Vorgeschmack auf Jamies Repertoire: vom Schnippsen, über Helium-artig verzerrte Chipmunks-Stimmen im Hintergrund, dem vermeintlichen Einsatz eines Kochtopfs, bis zu Violine und Piano darf alles einen Akzent setzen. Eine wilde Mischung die dabei doch niemals unüberlegt wirkt und gute Laune macht. Und natürlich darf auch Jamies Markenzeichen nicht fehlen: sein derber Akzent und die frech dahingerotzten Sätze. Mit „368“ ist die magische Zahl an alkoholischen Millilitern genannt, der es Bedarf um der urbanen Großstadtgosse für den Augenblick zu entfliehen. Wie um auch den letzten auch noch sicher verstehen zu lassen singt er wiederholend erklärend: „It’s the only way that you’re getting out“.
Aus dem Malkasten außerdem gezaubert: Stillvoller Rap der überzeugt auf „Spider’s Web“. Lädt zum Kopfnicken ein. Sachte Lo-Fi geht es am Anfang von „Castro Dies“ und „Man’s Machine“ zu. Durchgängiger auf „Direction Home“. Klingt dann auch wirklich nach Tonband älteren Semesters. „Jilly Armeen“ ist einfach außergewöhnlich und strahlt passageweise gepfiffen eine vermeintliche Leichtigkeit aus. Reggae Einflüsse werden auf „Chaka Demus“ geliefert (da freuen sich dann auch die Eltern, dass man den noch kennt…) und beim schnellen „Hocus Pocus“ möchte man irgendwann nur noch tanzend den Rocksaum schwingen.
Wer sich bis dahin noch nicht von Jamie T’s Gesamtkunstwerk überzeugen konnte sollte unbedingt das gute Laune schaffende „Sticks’n’Stones“ aufdrehen und sich wortwitzig und mit immer feucht klingenden Lippen erklären lassen warum um Himmelswillen britische Vorstadt-Jungs sich nur ach zu gerne mal prügeln: “When there’s no one left to fight boys like us don’t shine so bright…”
Auch kritischer macht der Junge von sich reden, am offensichtlichsten wohl an die „British Intelligence“ gerichtet. Bis man das raus hat muss man das Lied allerdings dann doch mehrmals hören. Denn bei diesem schnellen Song ist die Wort-Frequenz entsprechend hoch und Treays nuschelnde Aussprache erschwert es dem not-nativen Hörer zuweilen den Text gleich zu erschließen… Na ja, mitklatschen macht fürs Erste ja auch Spaß.
Wer bereit sich von dem Diktat bestehender Genre-Trennung zu lösen wird mit eine sehr vielfältigem Album belohnt. Malen nach Zahlen war gestern, wer es bunter mag und den roten Faden zugunsten musikalischer Bereicherung gerne mal aus den Augen verliert wird an „Kings and Queens“ nicht vorbei kommen und sich damit für die nächsten Wochen eingängigen Stoff zum Nachsingen (nicht nur unter der Dusche) sichern.
Jamie T. – Kings and Queens
VÖ: 04.09.09, EMI
httpvh://www.youtube.com/watch?v=Fhc3v8lOrEA