I’M STILL HERE – Filmkritik

 

“Well great, I’d like a fucking joint. And to be anywhere other than Washington fucking D.C. But life is not a Christmas day.” 

(Joaquin Phoenix – I’m Still Here)

I’m Still Here‘ dokumentiert den vermeintlichen Absturz des Schauspielers Joaquin Phoenix. Die Mockumentary um seine fiktive Rap Karriere ist ein amüsantes Stück Performance-Kunst: Ein wenig kritisch, ein wenig albern, vor allem aber konsequent gespielt.

Der amerikanische Schauspieler Joaquin Phoenix verkündete im Jahr 2008 nach großen Erfolgen unter anderem in der Rolle des Johnny Cash, er beende mit sofortiger Wirkung seine Schauspielkarriere und wolle sich künftig als Rapper versuchen. Diese Phase seines Lebens ist Gegenstand der von Casey Affleck gefilmten Dokumentation ‘I’m Still Here’, die neben dem Branchenwechsel vor allem den körperlichen und geistigen Verfall des Schauspielers dokumentiert. Oder besser gesagt: den vermeintlichen Verfall vermeintlich dokumentiert. Denn ‘I‘m Still Here’ ist eine sogenannte Mockumentary, eine gestellte Dokumentation. Dieses keinesfalls neue Genre findet die Höhepunkte seiner Bekanntheit in dem 1984er Klassiker ‘This is Spinal Tap’ und in den beiden erfolgreichen Sacha Baron Cohen Filmen ‘Borat’ und ‘Brüno’ und erfreut sich in letzter Zeit wieder wachsender Beliebtheit. Besonders interessant sind hierbei die verschwimmenden Grenzen zwischen Fiktion und Realität, sowie die Reaktionen auf seinen plötzlichen Sinneswandel. Und im Falle von ‘I‘m Still Her’e gelingt dies auf Grund von Joaquin Phoenixs konsequent schockierender Verwandlung besonders gut. Er konsumiert ständig Drogen, holt sich Nutten oder Groupies ins Haus und wird immer aggressiver, bis er schließlich sogar auf seinen Assistenten losgeht. Phoenix kennt offenbar keine Schmerzgrenze: Er prügelt sich mit einem Konzertbesucher, kotzt in die Ecke und schließlich scheißt ihm im Schlaf sogar sein Assistent mitten ins Gesicht. Der Welt zunehmend entrückt, murmelt er immer neue Rap-Zeilen vor sich hin. Joaquín Phoenixs schauspielerische Leistung ist eindrucksvoll. Während ihm zu Beginn kaum einer seinen Absturz glaubt, spielt er seine Rolle so konsequent, ausdauernd und unter Inkaufnahme seiner persönlichen Verwahrlosung, dass ihm Weggefährten und Journalisten zunehmend auf den Leim gehen.

Da verwundert es nicht weiter, dass selbst die Abgebrühtesten in Hollywood zweifelten, ob Phoenix nicht vielleicht doch nicht spielt und genau in diesen Momenten gelingt ihm sein Groß-Experiment. Wenn seiner Agentin im Hinterzimmer der Letterman-Show wegen des Auftritts ihres Mandanten nach und nach die Gesichtszüge entgleiten. Wenn Sean Combs, ehemals bekannt als Puff Daddy, gerade noch die Contenance bewahren kann, während ihm Phoenix seine erbärmlich schlechten Versuche in Hip-Hop vorspielt. Oder wenn Ben Stiller sich erfolglos aber redlich müht, den verwahrlosten Schauspieler zu einem weiteren Filmprojekt zu überreden. Die Frage, was da nun echt oder nur gespielt ist, macht ohnehin wenig Sinn. Alleine der Umstand, dass Phoenix zwei Jahre seiner Karriere diesem Projekt opferte, zeigt schon, dass ihm auch daran lag, für sich herauszufinden, wie weit seine Star-Persona den Menschen dahinter infiziert hat und wie weit die Fiktion sich seiner Wirklichkeit bemächtigt hat.

Hinter dem Schein kommt nur das Nichts und jeder Kinogänger weiß: Oberflächen sind das eigentlich Interessante im Kino. Sie verraten mehr und sind viel schwieriger auszuloten als alle Tiefen dahinter. Ob sie wahr sind, spielt in diesem Fall keine Rolle. Die Wahrheit des Kinos ist eine andere, der Casey Afflecks Film so gefährlich nahe kommt, dass einem schwindelig werden kann. Bleibt nur noch eine Frage: Interessiert uns das?

I‘m Still Here (USA 2010)
Regie: Casey Affleck
Darsteller: Joaquin Phoenix, Antony Langdon, Carey Perloff
DVD-VÖ: 13.01.2012, Koch Media

http://www.youtube.com/watch?v=wz6CU7pgiKc

Fred

Fred ist 32 Jahre, wohnt in der Pop-City Damstadt und mag Hunde, Pizza und Musik.

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