„Das Gesetz schert sich nicht um unseren Einzelfall – am Ende bekomme ich bloß Recht oder Unrecht.”
(Nader – Nader und Simin)
In seinem neuen Film ‘Nader und Simin – Eine Trennung‘ kreist Asghar Farhadis mit seiner Kamera ganz eng um eine Familie, die innerhalb der politischen und religiösen Grenzen der iranischen Gesellschaft zu ersticken droht. Dabei stehen Probleme im Mittelpunkt, die jede andere Familie auf der Welt auch haben könnte. Präzise und facettenreich wird ein Familiendrama erzählt, das unter vielen Kleinproblemen fast nebenbei abläuft.
Fünf Minuten lang hört man die Stimme eines Scheidungsrichters, nicht laut, aber doch von beiläufig scharfer Autorität. Leicht von oben herab sieht man den Verhandlungssaal aus seiner Perspektive. Diese Einstellung ist als eine Einladung an den Zuschauer zu selbst eine Art Richter zu sein und damit auch eine Fingerzeig in Richtung aktiver Meinungsbildung. Doch dazu muss man zuerst die Handlung kennen: Simin (Leila Hatami) und Nader (Peyman Moaadi) möchten mit ihrer Tochter Termeh (Sarina Farhadi) den Iran verlassen. Alles ist vorbereitet, doch dann bekommt Nader Skrupel: Sein Vater (Ali-Asghar Shahbazi) leidet an Alzheimer. Er spricht kaum noch, es steht jeden Tag schlechter um ihn und langsam aber sicher zerstört die Krankheit sein Gehirn. Nader möchte ihn nicht allein zurücklassen, Simin die bisher die Pflege übernommen hat, rebelliert, möchte ein besseres Leben für sich und ihre Tochter. Daher reicht die enttäuschte Simin die Scheidung ein und zieht zurück zu ihrer Familie. Der nunmehr allein erziehende Nader stellt die schwangere Razieh (Sareh Bayat) zur Betreuung des kranken Alten ein. Doch auch Razieh ist mit der Situation schnell überfordert: Sie ist sehr religiös und gerät in Gewissenskonflikte, als sie den alten Mann, der sich eingenässt hat, waschen soll. Als Nader seinen Vater eines Tages allein und ans Bett gefesselt in der Wohnung vorfindet, kommt es zu einem heftigen Streit zwischen ihm, der Pflegerin und deren Gatten Hodjat (Shahab Hosseini) – mit dramatischen Konsequenzen. Nader schubst Razieh, sie stürzt – und verliert ihr Kind. Daraufhin wird die Wahrheit vor Gericht gesucht. Eine zähe Suche nach Gerechtigkeit beginnt und die Frage kommt auf, ob Nader gewusst hat, dass Razieh schwanger war? Wenn ja, würde das für ihn eine Gefängnisstrafe rechtfertigen? Oder war der Sturz vielleicht gar nicht die Ursache für die Fehlgeburt?
‘Nader und Simin’ stellt einen Drahtseilakt dar, den Regisseur Asghar Farhadi mühelos meistert. Der Film ist einerseits ein kraftvolles Familiendrama, das jegliche aufdringliche Inszenierung vermeidet und auch ohne emotionale Aufladung auskommt – auf Musikuntermalung wurde taktvoll verzichtet. Trotzdem fühlt man sich als Zuschauer zu jedem Zeitpunkt involviert und berührt. Andererseits skizziert Farhadi ohne distanziert-analytischen Gestus ein Problem, das früher oder später in jeder Zivilisation Thema wird: Wann greifen Recht und Moral ineinander, wo blockieren sie sich? Doch neben den Leitmotiven zeichnen sich auch die Protagonisten durch ihre enorme Vielschichtigkeit aus. Man versteht, warum alle Beteiligten so handeln, wie sie eben handeln und jeder einzelne von ihnen trägt so viel Verantwortung gegenüber seiner Familie, dass er darunter zusammenzubrechen droht.
‘Nader und Simin’ ist ein mühsamer, ein anstrengender Film. Ein Kriminalfilm, ein Familiendrama und natürlich auch ein politisches Statement. Bisweilen ist es frustrierend, ihm zu folgen, gerade weil man schon ahnt, dass es keine einfache Lösung geben wird. Doch exakt durch diese greifbare Ausweglosigkeit, die schauspielerisch durch die überragende Leistung von Leila Hatami und Peyman Moadi untermauert wird, bildet ‘Nader und Simin’ einen Ausschnitt des wahren Lebens ab, der mit einer schier unglaublichen Erzähldichte glänzt.
Nader und Simin – Eine Trennung (Iran 2011)
Regie: Asghar Farhadi
Darsteller: Leila Hatami, Peyman Moadi, Shahab Hosseini, Ali-Asghar Shahbazi, Sareh Bayat, Sarina Farhadi
DVD-VÖ: 27. Januar 2012, Alamode Film
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