Dann stehen wir oben und blicken hinab,
teilen die Einsicht, geben jedem was ab.
Schön, dass was klein ist, denn man meint man begreift es.
Wir sehen das alles ohne Abstand, wir sind viel weiter, weiter als der Verstand.
Wir haben, wir haben alles, alles verbrannt und tragen jetzt aus Liebe, Liebe ein Sandkorn zum Strand!
Doch irgendwann greift die Natur uns an!
(Vierkanttretlager – Um Schönheit Zu Sehen)
Das Leben nach dem Hype oder wie es nach Hochzeiten eines Genres doch immer wieder tiefe Täler danke Übersättigung und kollektivem auf der Stelle treten der Protagonisten gibt. Aktuelles Beispiel: Indie-Rock. Was waren das für Zeiten, Anfang bis Mitte der 2000er-Jahre, als die Platten von Franz Ferdinand, Maximo Park, Bloc Party, der Strokes, Kooks oder Kaiser Chiefs das Maß aller Dinge waren und auch in Deutschland Tocotronic oder Tomte den guten Ton im Dienste der Gitarre angaben.
Und jetzt? Wie hieß noch mal schnell das letzte Album der Kaiser Chiefs? Egal! Was war noch mal der Hit vom letzten Kooks-Album? Gab’s nicht! Bloc Party spielen mal wieder live beim Melt! Na und? Du armer Indie-Fan, du (aktuell) glücklicher Elektro-Fan! Doch Abhilfe steht schon in den Startlöchern und vielleicht auch das nächste Indie-Hoch?
Damit meinen wir bestimmt nicht das Thees Uhlmann-Solo-Debütalbum, das war uns dann doch irgendwie zu beliebig. Doch mit ähnlich kaffigen Wurzeln (kommt Hr. Uhlmann doch aus dem norddeutschen Städtchen Hemmoor) bestückt, macht sich das Husumer Quartett Vierkanttretlager auf, mit ihrem Debütalbum ‘Die Natur greift an‘ dem komatösen Indie-Rock-Bereich neues Leben einzuhauchen. Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt, die Platte lieb und sie darüber hinaus zum Bedroomdisco Album des Monats Februar ernannt. Die Gründe liegen auf der Hand:
– ‘Drei Mühlen‘: Gitarren, ja so richtig schöne E-Gitarren-Action! Ein ansteckender Bass-Lauf, ein bisschen Schlagzeug-Lärm und überhaupt – ein Opener, wie er sein sollte: Druckvoll, beschwingt und mit einer Hand in der Luft! “Stimmungsmusik in der Bauzaun-Vermietung, mit Bläsern getrunken, mit Streichern geweint…”
– ‘Mein Ruf‘: Gitarren – schon wieder – na klar! Etwas mehr Tempo, Textzeilen, wie ein Schlag in die Magengegend und überhaupt – “Nimm alles mit, was du kriegen kannst mein Schatz. Nimm alles mit, nimm alles! Halt meine Hand fest, sonst rutscht sie aus!”
– ‘Zwischen Den Zeilen‘: “Es wird langsam eng zwischen den Zeilen” heißt es im Text – eng wird es wahrscheinlich nach der Platte eher auf den Konzerten der vier Husumer. “Alles sieht besser aus, wenn man nicht hinsieht” – hört sich irgendwie negativ an, aber ist Unzufriedenheit nicht seit jeher der Nährboden guter Rock- und Punk-Platten gewesen – so auch hier! Ist der Song doch nur ein Beispiel von vielen für die Kritik, mit der man nicht unbedingt zwischen den Zeilen, sondern auch ganz direkt von Sänger Max Leßmann konfrontiert wird.
– ‘Das Neue Gold‘: Single und Hit = Hitsingle?!? Wir bestätigen zumindest schon mal die Einschätzung der Band und summen mit: “Gold! Wir sind Gold”
– ‘Hooligans‘: Musikalisch so entspannt wie damals ‘Mit dir chillen‘ von Revolverheld versuchen sich die vier Vierkanttretlager-Herren an der Königsdisziplin des männlichen Musizierens: einem Fußball-Song. Doch nicht so plakativ-uhlmannisch (wir erinnern uns an ‘17 Worte‘: “Ich hab ein Kind zu erziehen, dir einen Brief zu schreiben und ein Fußball-Team zu supporten“) oder gar Grönemeyer-WM-Song-mäßig, sondern lieber melancholisch-reflektiert. Wir finden’s nett und akzeptieren da auch die Beteiligung vom ehemaligen Tour-Headliner und Indie-Rapper Casper, der die vier auf seiner letzten Tour als Support einpackte.
– ‘Fotoalbum‘: Ein bisschen Melancholie, ein bisschen Seemanns-Romantik via Ziehharmonika und ansonsten viel besungene Beschwingtheit – man kann halt auch anders und sogar ohne Gitarren-Bretter.
– ‘Nur Die Sonne‘: Mitsing-Hymne und klassisches Blaupausen-Indie-Lied. Wir schreien mit: “Hallo! Hallo! Hallo Nacht, schreit es aus meinem Fenster. Und die Nacht schreit wieder einmal nicht zurück! Hallo! Hallo! Hallo Stadt, hallo Stadt ohne Gesicht!”
– ‘Schluss Aus Raus‘: Genug Alltag, genug Gleichschaltung – Schluss Aus Raus! Da darf auch mal in Momenten der Klarheit gebrüllt werden! “Schluss, aus, raus – wir schließen! Wir schließen ab mit unserer Zeit!”
– ‘Um Schönheit Zu Sehen‘: Mahnmal und sowas wie ‘Der Schwarm‘ von Frank Schätzing in Lied-Form: Schluss mit dem Konsum, dem Überfluss und überhaupt macht uns all das zu Menschen? Ein paar der tollsten Zeilen der Platte reihen sich hier aneinander!
– ‘Kein Mensch Mehr‘: Die Gitarren-Läufe stehen den Jungs besser als den Blood Red Shoes oder den Subways, dazu ist der Text auch noch inhaltsreicher: “Wir suchen neue Götter, doch finden wir sie nie” – wir haben sie gefunden…”Mensch sein heißt, ich seh’ die kleine Schönheit nicht, nur die große Qual!”
– ‘In Jedem Seiner Milden Blicke‘: Schluss mit Gitarren, mit der Musik – nur Stimme, so rezitiert Max Leßmann über den Menschen.
– ‘Gib Dem Leben Keinen Sinn‘: In gemäßigtem Tempo treibt das letzte Lied von ‘Die Natur greift an’ dann noch mal vor sich hin, haut eine handvoll Parolen raus, bietet gar Streicher auf, um die Platte letztlich würdevoll und im großen Moment samt Chor ausklingen zu lassen: “Gib deinem Leben keinen Sinn. Nackt und schön und ohne Schmerz, stich dieser Zeit mitten ins Herz. Ohne Ziel und ohne Zweck, zieh dieser Zeit die Beine weg. Ohne Ziel und ohne Zwang, zieh dieser Zeit die Ohren lang! Wir machen jetzt das beste draus, fahrn diese Zeit ins Krankenhaus…”
Kraftvoll, melodiös, mit ordentlich Gitarren und ungemein reifen Texten bieten Vierkanttretlager mit ‘Die Natur greift an’ ein starkes Debütalbum an, dass überall da den Finger auf den wunden Punkt legt, wo es kann und auch ein bisschen Rock-Hoffnung spendet: “Wir müssen nicht mehr traurig sein denn alles geht von ganz alleine – Gold! Wir sind Gold!” Richtig so, weiter so!
Vierkanttretlager – Die Natur greift an
VÖ: 27. Januar 2012, Unter Schafen
www.vierkanttretlager.de
httpvh://www.youtube.com/watch?v=3-GCOSmzuZY