„In Ernst: Ist jemand, der im Restaurant immer das Gleiche bestellt, ein ignoranter Arsch oder einfach jemand, der weiß, was ihm schmeckt?“ (Wachstumsschmerz, S. 155)
Die Protagonisten Luise und ihr langjähriger Freund Flo haben sich entschlossen zusammen zu ziehen. Nach einer langen Wohnungssuche ist es endlich soweit und Luise gibt schweren Herzens ihre eigenen vier Wände zugunsten eines neuen Lebensabschnittes auf. Doch Luise plagt ein Gefühl der Orientierungslosigkeit, welches sich auch nach Fertigstellung der Dekorationsarbeiten in der neuen gemeinsamen Wohnung nicht einstellen mag. Sie quält und degradiert sich selbst, empfindet ihre Person als langweilig.
Weniger hilfreich für sie ist ihr Vater, zu dem ein gestörtes emotionales Verhältnis angeschnitten wird. Eigentlich fühlt sie sich in ihrem Beruf als Herrenschneiderin sehr wohl, doch auch diese Sicherheit geht ihr verloren. Ihr Vater wünscht sich augenscheinlich mehr Kreativität und Selbstverwirklichungswillen bei seiner Tochter und gibt ihr nicht den notwendigen familiären Halt.
Dann noch ihre seltsam anmutende Mini-Karriere als Werbe-Model. Irgendwie eine Sache zu viel, die nicht so recht laufen will und Luises „Thirdlife Crisis“ perfekt macht. Ihre eigene Unzufriedenheit lässt sie zunehmend am charakterlich einwandfreien Freund aus, der schließlich die gemeinsame Wohnung verlässt und sie in ihrer Erwachsenen-Zwischenwelt und im übergroßen Doppelbett zurück lässt. Luise ist am Ende. Sie beschreibt tagebuchartig ihre Gefühle in der Phase ihrer zwar ungewollten, jedoch eigens herbeigeführten „Beziehungspause“ mit Flo sehr detailliert. Zum einen noch mit sich selbst beschäftigt und im eigenen Gefühlschaos erstickend, kommt zum anderen auch noch eine Beziehungskrise dazu.
Sarah Kuttner beschreibt in ‚Wachstumsschmerz’ viele, auf den ersten Blick, nicht zusammenhängende Einzelspuren des Lebens ihrer schnippischen Protagonistin, damit die Leser ihre große Gesamtmisere besser verstehen können.
Versucht man sich selbst an eine ähnliche eigene Lebensphase zu erinnern merkt man, dass in solchen Situationen das Leben genauso schnell und ungeordnet, wie im Roman beschrieben, an einem vorbeizieht. Wie in einem unwirklichen Film voller Zufälligkeiten tauchen Freunde an lebensverändernden Abenden plötzlich auf oder es finden zwischen Tür und Angel intime Gespräche mit fast Fremden statt, die es vermögen einem plötzlich die Augen zu öffnen.
Es macht Spaß und ist zugleich anstrengend sich mit Sarah Kuttners zynischer Auseinandersetzung der „Alles kann- nichts muss“-Generationsproblematik zu identifizieren. Ein Roman, der wie schon sein Vorgänger ‚Mängelexemplar’ so dicht am wahren Leben unserer Zeit spielt, dass man erneut den Eindruck erhält es handele sich um autobiographisches Material, welches Sarah Kuttner verarbeitet. Ein Roman, den empathische Leser nicht während einer schmerzhaften Trennung oder einer Lebenskrise schmökern sollten.
Sarah Kuttner – Wachstumsschmerz
280 Seiten, Taschenbuch
ISBN: 978-3-10-042206-4
S. Fischer Verlag, 25. November 2011
16,99€
www.sarahkuttner.de