Vor ziemlich genau 30 Jahren verließ eines der Gründungsmitglieder von Depeche Mode, Vince Clarke, eine der weltweit einflussreichsten Synth-Pop Bands nach einem Zerwürfnis. Clarke war, bevor er die Band verließ, um sich einigen anderen Bands wie z.B. Erasure zu widmen, der kreative Kopf der Band, dessen freigewordener Platz fortan von Martin Gore ausgefüllt worden ist.
Ganz gleich, wer von beiden den Kontakt gesucht hat, klar ist, mit Vince Clarke und Martin Gore haben sich zwei Pioniere der elektronischen Musikgeschichte wieder zusammen gefunden. Dem Projektnamen haben sie kurzerhand aus ihren Initialen zusammengesetzt und dem Album den schnörkelloseren Titel ‘Ssss‘ verpasst.
Musikalisch spiegelt die Platte genau diesen Minimalismus wider, denn ‘Ssss’ ist nicht etwa, wie man zunächst vermuten könnte, ein Retro-80er-Pop-Album wie es nur allzu gut in die gegenwärtige und im Pop um sich greifende Retromanie passen würde. Nein, Clarke und Gore demonstrieren hier lediglich ihre Liebe zur analog erzeugte Elektronica.
Trotz der 50 Jahre, die die Portagonisten mittlerweile auf dem Buckel haben, lässt ‘Ssss’ erkennen, dass beiden nie den Anschluss in Sachen zeitgemäßer elektrononischer Musik verloren haben. Mit Ihrer Kollaboration liefern Clarke und Gore ein modernes Techno-Album, auf dem jeder Track energiegeladen und tanzbar ist. Die Platte muss sich nicht verstecken vor den jungen Vertretern der Zunft, die ihrer Produktionen Prädikate wie ‘Future‘ oder ‘Advanced‘ geben. Progressiv und verspielt beschreibt vielleicht am besten den Gesamteindruck, der hier auf Albumlänge vermittelt wird. Auf Vocals wartet man vergeblich. Hier wird den Möglichkeiten der Technik der Raum gegeben, den sie verdient. Manchmal allerdings klingt bei den euphorisch-treibenden, bassdominierten Rhythmen ein melancholischer Unterton mit, wie etwa in ‘Spock‘ (vorab als EP erschienen), der darauf hindeutet, dass diese Art Musik zu machen eine Utopie ist. Und das ist sie in gewissen Hinsicht auch, denn ‘Ssss’ wird sicher kein kommerzieller Erfolg werden. Es ist vielmehr eine Liebhaber-Platte – für die Künstler, wie auch für die Käufer – wobei sich erstere diesen Luxus nicht zuletzt wegen ihres Rufs leisten können. Folglich war es auch nur konsequent, dass man sich für Veröffentlichung das Mute Label gesucht hat, die sich jenseits des Mainstreams voll und ganz Projekten mit vorwiegend künstlerischen Interesse verschrieben haben. Und doch: gleich das folgende Stück ‘Windup Robot‘ feiert Techno als hätte es die Nullerjahre und Minimal nie gegeben.
Ebenso auf der Höhe der Zeit wie die Tracks gestaltetet sich im übrigen auch die Arbeit an dem Projekt. Man schickte sich die Dateien via Internet und feilte bis zur Perfektion an den Stücken bis beide Parteien zufrieden waren. Den Perfektionismus, den man sich nur Dank des Konzepts “No Pressure, no deadlines” (Clarke) leisten konnte, hört man dem gesamten Album deutlich an. Es funktioniert auf ganzer Linie.
VCMG -Ssss
VÖ: 9. März 2012, Mute Records
http://www.mute.com