EVERYTHING EVERYTHING – Arc

And that eureka moment hits you like a cop car
And you wake up just head and shoulders in a glass jar

(Everything Everything – Cough Cough)

Die Musik von Everything Everything ist der mathematisch kalkulierte Wahnsinn. Der Hörer spürt, dass jeder Ton präzise dort sitzt, wo Berechnungen ihn haben wollen und jeder rhythmische Wechsel oder textliche Gefühlssprung sich in eine Art Raster einfügt. Nun könnte man meinen, auf dem zweiten Album der vier Nordengländer ginge es zu verkopft zu, doch die Ausnahmemusiker bringen eine Prog-Indie-Version von R’n’B hervor, die es schafft, sich trotz Kalkül nicht zu versperren. Sie machen immer dann einen Schritt zurück, werden immer dann ein Stück anschmiegsamer, wenn man gerade ordentlich durchgeschüttelt wurde.

Dass Sänger und Gitarrist Jonathan Higgs und Bassist Jeremy Pritchard sich während ihres Musikstudiums kennengelernt, ist sicher ein Faktor, der sie so komplex klingen lässt. Während ‘Musikstudentenpop’ jedoch allzu oft daran scheitert, sich zu verkrampft an Regeln zu halten und keinen freien, unbedarften Sound kreieren zu können, nutzen Everything Everything das Regelwerk, um so zu klingen, als würden sie es sprengen, verbrennen, mit Füßen treten.

Beim ersten Song ‘Cough Cough‘ fragt man sich kurz, was eigentlich abgeht. Da wird streckenweise ein überirdischen Tempo, gesanglich und instrumentell, in einen irdischen 4/4-Takt gepackt und es passiert so viel auf einmal, dass schnell klar ist: Hier sprengt die poppigste Musik den Rahmen von Pop. Oder generell jeden ohnehin überflüssigen Genrerahmen. So ist es auch die Tatsache, dass sich hinter all der Hyperaktivität und dem kontrollierten Kontrollverlust Pop verbirgt, die Everything Everything so großartig macht. ‘Kemosabe‘ folgt mit einem den Beat ums zehnfache verstärkenden Klirren hier und Stakkato-Synthie dort. Gesanglich setzt Higgs ebenfalls auf rhythmische Betonungen. Der Bandname beschreibt also allzu treffend, was den Sound dieser Band ausmacht, indem die Repetition förmlich den Klang der abgehackten Wort- und Lautwiederholungen abbildet. Rhythmus Rhythmus. Sozusagen. Melodisch, also wirklich in die Richtung mitsing-melodisch, ist ‘Kemosabe’ obendrein auch noch. Genau wie ‘Torso Of The Week‘, das weniger Hysterie mitbringt und einen sanften, säuselnden Part einem mit einigen gezielten Trommelschlägen eingeleiteten, dramatischeren gegenüberstellt. ‘Duet‘ schraubt dann noch einmal zurück und plätschert mit Violinenstrichen dahin, bringt ein prägnantes, aber für EE-Verhältnisse dezentes Schlagzeug ins Spiel, nimmt es wieder heraus und lässt es fortan mit den Streichern immer hin- und herkokettieren.

Armourland‘ reißt aus den Träumereien, in denen man sich zuvor über weite Strecken befand. Es kickt mit einem Hip Hop-Riff ein. Dann ertönt ein äußerst R’n’B-anmutender Gesang, immer die Repetition „end, end“, der fließendere, vom peitschenden Rhythmus befreite Refrain („I wanna take you home, and find some new joy in this autopilot land”), dann wieder Coolness und Stakkato. Everything Everything sind Meister dieses dramaturgischen Wechselspiels. ‘The House Is Dust‘ ist einfach nur wunderschön, mit seinem spärlichen Hintergrundrhythmus und friedlichen Synthie- oder Klavierakzenten. ‘Radiant‘ hat dann wieder mehr Schwung und ist ein solcher Hit – und das nicht, weil er weniger komplex ist, sondern vielmehr, weil er ein solch ergreifendes Miteinander von Gitarrenriff (und was für eines!), Synthieteppich und Gesangsmelodie schafft. Bei ‘The Peaks‘ treffen sich minimaler Beat, genügsames Piano und balladiger Gesang und vereinen alles, was emotional betrifft, wenn es heißt „I’ve seen more villages burn than animals born/I’ve seen more towers come down than children grow up“. ‘Don’t Try‘ schließt dieses grandiose Album mit einem gitarrenlastigen, etwas rotzigeren Sound ab und lässt die stillen Parts nie lange währen – sie werden durchhackt von schrillen Riffs und tiefen Klavierklängen.

Mitreißend wie ein Tobsuchtsanfall, inklusive der erschütternden Ruhe danach und dem sich Anbahnen des nächsten Wahnsinns. Hin und her, hoch und tief, laut und leise, in stetigem Wechsel. So spannend war Pop selten.

Everything Everything – Arc
VÖ: 25. Januar 2013, Rca. Int. / Sony Music
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Everything Everything – Cough Cough from phil tidy on Vimeo.