Wenn Nikolaj Manuel Vonsild ans Mikrofon tritt, geschieht etwas, das When Saints Go Machine von der Vielzahl der Bands abhebt, denen man ebenfalls die Attribute Indie, Elektro oder Pop zuschreibt. Nahezu metaphysisch segelt die Falsett-Stimme des blonden Dänen zerbrechlich-sanft über dem düsteren elektronischen Sound der Band. Auf dem dritten Album ‘Infinity Pool‘ lässt das Kopenhagener Quartett Vonsilds Stimme über noch dunklere und wuchtigere Klänge oszillieren. Wir trafen den Sänger vor dem Konzert im Berliner Club Lido zum Gespräch.
Nikolaj Vonsild © ST.Weicken
– Viele Künstler transportieren mittels Musik Gefühle, die sie sonst nicht in der Lage wären, auszudrücken. Ist das bei dir auch so?
Nikolaj: Definitiv. Im Alltag muss man sich so vielen Menschen anpassen. Wenn man Musik macht, kann man all die wirren Dinge, die einem durch den Kopf gehen, ausdrücken, ohne eine Geschichte vom Anfang bis Ende erzählen zu müssen. Indem man das, was man erlebt, aufschreibt, verarbeitet man es. Bei Konzerten schafft man eine Blase um die Gefühle, von denen die Songs handeln und arbeitet sie so auf.
– Kommt es vor, dass du Lieder nach einer gewissen Zeit nicht mehr auf der Bühne performen möchtest, weil sie so viel Persönliches ausdrücken? Oder muss man das dann schauspielern?
Das würde ich nicht sagen. Manche Songs werden zu einer emotionalen Einheit und beim Spielen denke ich immer an das ursprüngliche Gefühl dahinter. Aber für mich ist das – in einer guten Nacht – wie eine Art Trance. Manchmal hat man aber das Gefühl, dass einem die Hose zu locker sitzt, dann wird es scheiße.
– Ist das jemals passiert?
Ich hasse Gürtel, daher habe ich öfter das Gefühl, es könnte passieren und dann wird es eine schlechte Nacht. Beim Songschreiben dramatisiert man und folgt den Gedanken-Spiralen. Ich würde nicht sagen, dass man das spielt. Man durchlebt diese Dinge und teilt sie zusätzlich mit den drei Jungs auf der Bühne, das ist großartig. Häufig passieren dabei ähnliche Dinge, aber man hat auch immer die Freiheit, Songs anders zu spielen. Dabei wird die Verbundenheit besonders deutlich.
– Deine Texte sind durch die bildliche Sprache und die vielen Metaphern sehr kryptisch. Denkst du darüber nach, ob man dich versteht?
Nein. Gedanken sind nicht geradlinig. Im Kopf können Bilder oder Situationen Gefühle auslösen, die niemand außer einem selbst wahrnimmt. In New York stand ich mal vor einer Hauswand, die voller Pflanzen und kleiner Vögel war. Plötzlich flog ein Falke hinein, schnappte sich einen Vogel und flog davon. Das waren nur einige Sekunden. Von einem Balkon floss Wasser hinunter und auf einmal herrschte das reinste Chaos. Zu dieser Zeit hatte ich eine Beziehung, die nicht gut lief und dann wurde das zu so einem Bild. Für mich ist das nicht kryptisch sondern die exakte Beschreibung der Situation. Ich denke, man sollte seine Gefühle und Gedanken nicht in dem Sinne aufschreiben, dass jeder sie versteht. Auf die Bühne zu gehen und so viel Intimität mit anderen zu teilen, ist schon beängstigend genug. Wenn ich jemandem sagen möchte, dass er der wundervollste Mensch ist, den ich jemals getroffen habe, möchte ich das auf eine Art tun, die allein dieser Mensch versteht. Vom Abstrakten zu einer linearen Geschichte überzugehen, erzeugt eine Art Vakuum. Auf der einen Seite ist da dieses verrückte Märchen, das du nicht verstehst und auf der anderen Seite landest du wieder mit beiden Beinen auf festem Boden. Das macht Songtexte für mich spannend.
– Wenn das, was du auf der Bühne zeigst, so intim ist, wie gehst du damit um, wenn sich Leute im Publikum – wie beispielsweise dieses Jahr auf dem Phono Pop Festival – völlig daneben benehmen? Kannst du das ausblenden?
Manchmal. Dieser Typ war ein Idiot, ich frage mich, warum er überhaupt da war. Das sind Dinge, über die du 20 Sekunden nachdenkst und dann vergisst. Es gibt auf der Bühne so viel mehr um einen herum. Bei einem kleinen Konzert auf einem Festival war ein Typ, der mir permanent auf den Schritt starrte. Das war seltsam! Ich drehte mich um und schaute nach, ob ich vergessen hatte, meinen Reißverschluss zuzumachen, aber der war zu.
– Es gibt ja auch verrückte Fans, die Musiker verfolgen, fotografieren und ihnen dann die Bilder per Email schicken. Ist euch so was schon passiert?
Ich denke, uns ist noch niemand gefolgt. Mich nervt es, wenn Leute mir erzählen wollen, wer ich bin. Man kann nicht mit jedem stundenlang reden und wird dann in eine Schublade gesteckt.
– Fast alle Texte, die man über euch findet, drehen sich um deine Stimme. Wann hast du angefangen, zu singen und wie hast du deinen Gesangsstil entwickelt?
Mit etwa 15 Jahren war ich von Rapmusik fasziniert. Als ich einen coolen Typen kennenlernte, der mich fragte, ob ich rappte, sagte ich natürlich ja, woraufhin er mich einlud, in seiner Radiosendung aufzutreten. Also musste ich anfangen, zu rappen. Das machte ich einige Jahre, bis es sich nicht mehr gut anfühlte und fing dann an, stattdessen zu singen. Damals hörte ich viel Musik aus den 70ern und versuchte, Sänger wie Diana Ross oder Nina Simone zu imitieren. Ich fragte mich, warum meine Stimme nicht auch so einzigartig klang. Dann gab mir jemand den Rat, alles sehr langsam zu machen. Nachdem ich das ausprobiert hatte, fing ich an, mit Effekten herumzuexperimentieren. Ich möchte gerne viele verschiedene Sachen machen.
– Der Song ‘Konkylie’ hört sich für mich an, als könnte er von einem Kirchenchor gesungen werden.
Ich denke, das sind Melodien, die wir in unserer christlichen Kultur gewöhnt sind und die uns vertraut sind.
– Das Video zu ‘System Of Unlimited Love’, in dem Frauen beim Poledance zu sehen sind, hat auf Facebook viel Sexismus-Kritik geerntet. Habt ihr damit gerechnet?
Nein, überhaupt nicht. Ich fand das sehr engstirnig und habe sogar auf Facebook darauf reagiert, aber dann reagieren diese Leute nicht mehr. Das ärgert mich sehr. Das zweite Mal, das ich so was erlebt habe, war als wir ein Konzert abgesagt haben und jemand meinte, „Ihr seid nicht ambitioniert genug und sitzt nur im Hotel und heult rum.“ Ich habe ihm geschrieben, dass das einzige Mal, dass wir in fünf Jahren ein Konzert absagen mussten, war, als wir auf der Beerdigung meines Vaters spielen mussten.
Vielleicht ist es schwer, zu verstehen, worum es in dem Song geht. Für mich handelt er von den Systemen, die uns umgeben und in die man nicht hinein passt. Das zeigt das Video und mir gefällt es. Die Mädchen sind keine Stripperinnen, all ihre falschen Bewegungen repräsentieren für mich die Tatsache, dass niemand in dieses System, das für Zahlen und nicht für Menschen gemacht ist, passt. Zu sagen, das wäre sexistisch, ist dumm. Stattdessen könnte man fragen, wie es gemeint ist.
– Wie involviert seid ihr in die Videoproduktionen? Ist das wichtig für euch?
Ja, wir versuchen, da so viel wie möglich beizutragen. Aber es ist auch wichtig, das an Leute abzugeben, deren Arbeit einem gefällt. Man muss auch oft „nein“ sagen, zum Beispiel, wenn es heißt „Es wäre cool, wenn ihr in dem Video auf einem Stuhl sitzen und ein Eis essen würdet!“.
– Wollt ihr in den Videos bewusst nicht zu sehen sein?
Vor ein paar Jahren waren wir in einem Video, das hat sich einfach blöd angefühlt. So eine Band sind wir einfach nicht.
Das Interview führten Karola Szopinski und Sophie-Teresa Weicken