Sie war übrigens eine Granate im Bett.
(Gustave – Grand Budapest Hotel)
Heute kommt mit ‘Grand Budapest Hotel‘ der Eröffnungsfilm der Berlinale ins Kino. Zeit, Wes Andersons neuesten Streich einmal abseits des Roten-Teppich-Rausches unter die Lupe zu nehmen. Dies kann man auf verschiedene Arten tun. Betrachtet man den Film im Kontext des gesamten Œuvres des Autorenfilmers Anderson, so könnte man sagen: Noch ausschweifenderes Set-Design als bei den Royal Tenenbaums, ein noch ausschweifenderer Cast als in Moonrise Kingdom und ein noch bissigerer Humor als der in Tiefseetaucher. Es ist der ultimative Wes Anderson und gleichzeitig sein bisher schlechtester. Und das liegt nicht einmal daran, dass der Mann immer wieder denselben Film dreht. Seine Handschrift ist so einmalig und der Puppenhauscharakter seiner Werke so ausgefeilt, dass man es schlicht erwartet, immer wieder in diesen Kosmos hineingezogen zu werden. Aber Grand Budapest Hotel lässt genau jene Kernkompetenzen vermissen, die die vorherigen Filme auszeichneten.
Anderson ist ein Meister darin, sich an der gesamten Bandbreite des menschlichen Gefühlsapparats innerhalb einer dysfunktionalen Familie abzuarbeiten. Und genau das fehlt dem neuesten Werk. Zwar gibt es eine Art Vater-Sohn-Beziehung zwischen Lobby Boy Zero und seinem Mentor Monsieur Gustave, aber diese verläuft zu glatt, zu harmonisch und erreicht nicht einmal annähernd die existentielle Tiefe der Dyaden aus ‘The Royal Tenenbaums’ oder ‘Fantastic Mr. Fox‘. Gleichzeitig schadet das völlig übertriebene Staraufgebot der tiefergehenden Betrachtung der einzelnen Charaktere, da an jeder Ecke eine unnötig hochkonstruierte Szene wartet, um all die Stars zu ihren teilweise absurd kurzen Cameos kommen zu lassen.
‘Grand Budapest Hotel’ will eine Liebeserklärung an die für immer verlorene Zeit der opulenten Prachthotels der Belle Époque sein und der kitschige Stil Andersons scheint dafür auch bestens geeignet. Leider lässt er vermissen, was ihn zuvor auszeichnete. So schaut er eben nicht mit der Lupe in den Mikrokosmos Hotel, mit all seinen familiären Strukturen, seinen Intrigen und gut gehüteten Geheimnissen, sondern bricht viel zu häufig aus diesem Kontext aus, um hier einen Gefängnisausbruch und dort ein Skirennen unterzubringen. Dies ist alles wunderbar anzusehen, sorgt aber dafür, dass die Dramaturgie unklar und die Charakterzeichnung oberflächlich bleibt.
Ein weiteres Problem ist Andersons Umgang mit dem über Europa hereinbrechenden Faschismus. Wenn er uns Nazi-Schergen in schneidigen Kostümen zeigt, die sich in der Hotellobby lächerliche Schusswechsel liefern, bei denen niemand verletzt wird, fühlt sich der gesamte Kosmos plötzlich seltsam falsch an. Man will, dass die Anderson-Märchen einem die großen Fragen des Lebens erklären, aber die Realität darf dort doch nur in ihrer abstraktesten Form Eintritt finden und Adrian Brody mit Armbinde und geschwungenem ZZ-Symbol am Revers, sind dann doch des Guten zu viel und des Bösen zu wenig.
‘Grand Budapest Hotel’ ist dabei kein schlechter Film, er kann nur die hohen Ansprüche, die man mittlerweile an seinen Schöpfer stellt, nicht erfüllen. Trotzdem ist er nett anzusehen. Ralph Fiennes gibt den Concierge Monsieur Gustave als wohlerzogenen Teilzeitpoeten und Charmeur mit Schandmaul, für den die Dienstleistung auch unter der Bettdecke der betagten Hotelgäste nicht endet. Er harmoniert ganz wunderbar mit dem zuvor weitgehend unbekannten Tony Revolori in der Rolle des Lobby Boys Zero. Und doch, der Film ist selten mehr als leicht konsumierbares Puppentheater. Das Grand Budapest hätte Andersons Xanadu werden können, sein Film ein großer Familienroman. Am Ende aber schafft es das Hotel nicht, ein eigenständiger Protagonist zu werden und die Zeitebenen, die etwas lieblos an Anfang und Ende der Handlung geklebt wurden, machen aus den Bewohnern des Grand Budapest noch keine Buddenbrooks.
Regie: Wes Anderson
Darsteller: Ralph Fiennes, Tony Revolori, F. Murray Abraham, Mathieu Amalric, Adrien Brody, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Harvey Keitel
VÖ: 6. März 2014, Fox Entertainment