Wann immer eine neue Platte von Tim Hecker erscheint, weiß der gemeine Musiknerd schon worauf er sich einstellen kann. Den Namen verbindet man mit dunklen Ambientklängen und gepflegtem Wirrwarr. Doch ein Bild von dem Menschen dahinter fehlt. Die Musik ist praktisch gesichtslos: keine Promofotos von Hecker, kein erkennbarer Mensch auf dem Album Artwork, selbst auf Wikipedia gibt es nur ein Handy Schnappschuss von einem Liveauftritt. Der Ton muss also für sich selbst sprechen.
Wie ‘Virgins‘ aus 2013 ist auch ‘Love Streams‘ in Reykjavik entstanden. Das Durchbruchalbum zeichnete sich damals durch düstere, homogene Klangsphären aus, wirkte stets wie aus einem Guss. Das Cover spiegelte die dunkle Grundstimmung und die kalte Unnahbarkeit adäquat wider. Und auch bei ‘Love Streams’ wurde Wert auf ein passendes Artwork gelegt. Verschwommene menschliche Umrisse, knallige Farben. Ähnliches erwartet die Hörenden auch in akustischer Form.
Durch Chorklänge, Stimmfetzen und sehr abwechslungsreiche Instrumentierung wird der Sound organisch, komplex und vielschichtig. Insgesamt bleibt es jedoch unkonkret. Dennoch hört man, dass die Zusammensetzung die gleiche geblieben ist. So ist das Album eine spannende Weiterentwicklung, des eindeutigen Hecker-Sounds. Es ist schwierig vergleichbare Künstler zu finden. Man ist zwar teilweise deutlich an Nicolas Jaar (‘Music Of The Air’) erinnert oder kann Heckers Zusammenarbeit mit Ben Frost sehr gut erkennen (‘Castrati Strack‘). So richtig einordnen kann man Hecker aber nicht.
Es gibt immer Neues zu entdecken. Hier ein Field Recording, da die Orgel, dort ein Akkordeon. Nur das Klavier lässt er überraschenderweise links liegen, war es auf ‘Virgins’ doch recht dominant. Vermissen tut man es jedoch zu keinem Zeitpunkt. Durch die Field Recordings und Chorklänge wirkt ‘Love Streams’ hingegen sichtlich greifbarer und näher. Es klingt natürlicher, belebter und auch wärmer. Wie auf dem Cover.
Manch einem ist die geballte Menge an Klängen vielleicht zu viel auf einmal und lässt das Durcheinander kalt. Ein sonst ordnender Rhythmus ist nicht zu finden. Er wird ersetzt durch Aneinanderreihung von sich ähnelnden Geräuschschnipseln. Anstatt einem klaren Konstrukt entstehen so sphärische Klanglandschaften.
Als gesamtes Album hingegen ist der neue Hecker recht homogen. Die Songs passen zusammen, ähneln sich, ohne zu wiederholen. Das Gesamtbild passt, der erste Song könnte auch der letzte sein, dennoch wird es nicht langweilig. Die Homogenität führt dazu, dass die vielen verschiedenen Klänge nicht zu durcheinander wirken. Es lässt sich gut im Hintergrund hören, wer mag kann sich aber auch festbeißen und sich vertieft mit den Geräuschen beschäftigen. Und genau das ist der springende Punkt mit Heckers Musik: Die Hörerin entscheidet, ob die Musik für sie, in welcher Art auch immer, funktioniert oder nicht. Ein Album für die Masse ist ‘Love Streams’ sicher nicht geworden. Dennoch kann man Spaß damit haben.
Tim Hecker – Love Streams
VÖ: 08. April 2016, 4AD
www.sunblind.net
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