Bild-©: Charlotte Goltermann
Während ich am 9. April im Backstagebereich des Capitols in Mannheim warte, stellt sich ein neuer Roadie der Truppe vor und der Element-Of-Crime-Frontmann ganz väterlich so: Hey, ich bin Sven. Ganz entspannt ist der also und das sind Jakob Ilja und Sven Regener auch noch, als sie sich zu mir setzen. Unprätentiös greifen sie sich zwei Klappstühle und setzen sich mir gegenüber. Eine halbe Stunde haben wir bis zum Soundcheck und bis dahin Zeit über die Setlist, die Echo-Verleihung, geklauten Keyboards, aktuelle deutsche Bands und kulturpessimistische Momente zu reden.
Heute ist Tourauftakt. Was erwartet die Zuschauer, also was für ein Programm?
Sven: Der deutliche Schwerpunkt liegt natürlich auf der letzten Platte. Wenn du aus 150 Songs, die wir schon ohne Coversongs haben, ein Programm zusammenstellst, ist es erstmal naheliegend die neuesten Songs zu nehmen. Aber gut, das sind dann vielleicht neun Songs oder so. Dann haben wir noch ein ganz neues Lied, das wir gerade auf einer 10” herausgebracht haben. Das spielen wir sicher auch. Aber im Grunde genommen dazu dann natürlich auch Songs…
Jakob: …aus der ganzen Zeit, von den ganzen anderen Platten! Wir können mit der Menge an Liedern variieren; also was wir wahrscheinlich auch machen werden, oder?
Sven: Weiß ich gar nicht genau. Das ist ja so, wenn man einmal so ein Programm hat, was wirklich toll ist, fragt man sich auch, warum sollten wir heute den Leuten was unter Umständen weniger Tolles geben als gestern, wenn es so toll gelaufen ist. Aber um es kurz zu machen, die neuen Songs plus einige Klassiker und ein paar Überraschungen.
Auf eurer Maxisingle habt ihr ja eine neue Version von ‘Damals hinterm Mond’ drauf. Deshalb dachte ich, dass ihr vielleicht dazu tendiert auch sehr alte Songs zu spielen?
Sven: Wenn da mal ein Song ist, den wir vielleicht 20 Jahre nicht gespielt haben und wir den jetzt das erste Mal wieder spielen, dann ist das für uns praktisch wie neu, weil wir das quasi selber covern. ‘Damals hinterm Mond’ ist nicht so ein gutes Beispiel dafür, weil wir den eigentlich immer gespielt haben. Wir haben nur irgendwann, ich glaube so ab Ende der Neunziger, eine andere Version gespielt, als wir sie auf der Platte haben. Die ersten Jahre habe ich sogar noch Keyboard gespielt bei dem Lied – also am Mikrofon gestanden und eine Hand auf diesem Keyboard gehabt, bis mir das geklaut wurde – in der Volksbühne Ost! Bei diesem Weihnachtsgig haben sie mir in der Volksbühne Ost das Keyboard geklaut! Eine Schande!
Aber ja, manche Songs verändern sich. Man findet einen anderen Groove, eine andere Herangehensweise und ‘Damals hinterm Mond’ ist eines dieser Lieder. Es ist ja auch ein sehr beliebter Klassiker und da haben wir uns gedacht, warum nicht mal eine Aufnahme machen, die das dokumentiert, wie wir das heute spielen.
Auf dem letzten Album habt ihr auch den gleichnamigen Song “Lieblingsfarben und Tiere”. Da geht es ja so ein bisschen darum, dass man alles abschaltet und nicht an die Tür und nicht ans Handy geht. Wenn ihr jetzt so lange auf Tour seid, ist da überhaupt Entspannung irgendwie möglich? Gibt es da noch die ruhigen Momente?
Jakob: Also mein Eindruck ist eher, dass es zu viel davon gibt! Es ist tatsächlich so, dass das bis zum Konzert selbst alles so Scheintätigkeiten sind. Also klar der Soundcheck, bei dem man tatsächlich reell etwas macht und klar, Interviews sind auch reell, aber ansonsten versucht man sich irgendwie zu beschäftigen. Wahrscheinlich muss das auch so sein, weil das baut eine Spannung auf. Es ist so eine Mixtur aus „Och schön, dass man mal wieder Zeit für irgendwas hat“, aber ganz schnell wird es eben auch langweilig.
Sven: Wir haben ja mittlerweile – und das darf man nicht vergessen – viele Privilegien, weil die Band ja doch über die Jahre so erfolgreich geworden ist. Wir müssen nicht mehr selber fahren, wir müssen nicht selber aufbauen, wir müssen nichts von diesen Sachen machen, die wir früher alle tun mussten. Wir müssen nicht mal mehr unsere Gitarren stimmen! Wir werden quasi in Watte gepackt und von einem Ort zum anderen gefahren. Zumal das natürlich auch damit korrespondiert, dass wir nicht mehr die Jüngsten sind. Ich könnte das heute gar nicht mehr, so schleppen und machen und tun und arbeiten. Zehn Stunden LKW fahren und dann aussteigen und aufbauen und spielen. Das hätte man auf dem Level gar nicht durchhalten können.
Ist das dann noch Rock’n’Roll für euch? Also weil ihr auch in anderen Interviews schon gesagt habt, dass ihr euch als Retter des Rock’n’Roll seht.
Sven: Ja, wegen der Musik, wegen dem Abend, wegen dem Konzert! Das ist das geile Ding! Wir spielen ja höchstens in teilbestuhlten Sälen, weil wir wollen, dass die Leute frei sind, sich bewegen und machen was sie wollen. Wir wollen das auch und wir lassen uns von keinem erzählen, wie das zu laufen hat und was wir da tun sollen. Wir machen da unser Ding und ja das ist Rock’n’Roll! Rock’n’Roll ist nicht, dass du Sachen schleppst! Man darf auch das mit den Drogen nicht überschätzen. Wenn man jung ist, ist das toll, wenn man sich richtig einen ballert und dann auf die Bühne geht – das ist herrlich! Das sollte man auch tun! Aber mit 50 oder 60 sieht das scheiße aus! Das ist nicht so toll. (Jakob lacht) Das ist traurig. Ein 55-jähriger Sänger, der besoffen über die Bühne torkelt, das ist nicht sexy. Bei einem 25-jährigen ist das irgendwie okay. Das ist der Unterschied. Bei einem 55-jährigen weißt du, der hat’s gehabt, der macht das nicht mehr lange, wenn der so weiter macht. Das macht einen traurig, das will keiner sehen! Aber deshalb ist es nicht weniger Rock’n’Roll. Selbst wenn man in rein bestuhlten Sälen spielt wie Bob Dylan oder so ist das trotzdem Rock’n’Roll.
Mal wieder ganz weit weg vom Rock’n’Roll: Am Donnerstag war die Echo-Verleihung. Ich habe gesehen ihr wart letztes Jahr nominiert. Die Veranstaltung wird ja unabhängig von der Causa Freiwild oft kritisiert, dass die eigentliche Musikszene unterrepräsentiert ist und der Echo eigentlich nicht Aushängeschild für die deutsche Musikszene ist. Wie steht ihr dem gegenüber?
Jakob: Meinen Eindruck nach ist es einfach eine Industrieveranstaltung, um die auszuzeichnen, die am meisten verkauft haben und gut, dann ist es das. Wenn man was anderes will, dann muss wahrscheinlich auch was anderes machen. Zu sagen, wir wollen jetzt eine andere Verfahrensweise, dann muss man wahrscheinlich eine andere Veranstaltungen wählen.
Sven: Der Echo ist einfach ein Problem anderer Leute. Das ist nicht unser Problem, ehrlich nicht. Da scheißen wir drauf! Wer braucht das denn? Das brauchen auch die anderen Musiker nicht. Der Unterschied zum Deutschen Filmpreis ist ja zum Beispiel: In der Musikindustrie wird das Geld noch selbst verdient. Beim Deutschen Filmpreis werden Millionen Gelder von Filmsubventionen verteilt. Beim Echo kriegst du so eine hässliche Statue und kannst wieder gehen. Also mit anderen Worten, das ist mir doch scheißegal, ob das jetzt gut oder schlecht ist! Ich kann das nicht schauen wegen des Fremdschämens. Aber das kann ich denen nicht vorwerfen. Wieso sollen die denn eine Veranstaltung nach meinem Geschmack ausrichten? Sind wir denn jetzt das Maß aller Dinge? Ist mir doch wurscht, was der Deutsche Phonoverband macht. Also da kann ich mich nichtmal drüber aufregen
Ich gehe aber immer gerne zum Universal-Empfang vor dem Echo. Die machen immer so ein Vorglühen. Da kannst du nachmittags hingehen und kannst ordentlich einen kippen – das ist immer lustig.
Jakob: Was auch gut ist, ist die Echo-Party, während alle drinsitzen und schwitzen und fremdschämen. Das geht ja drei Stunden, das dauert ewig! Und in der Zeit geht drüben in dem anderen Saal schon die Party ab und das ist eine super Party. Bis dann alle anderen kommen, dann ist es ein bisschen zu voll.
Sven: Da sind die ganzen Typen, die ganzen Anwälte, die trinken und lästern.
Jakob: Und da sind ganz viele Musiker, und alle Leute, die nicht reingekommen sind oder gar nicht rein wollten, die sind dann bei der Party. Für die Party muss man extra Tickets haben, sonst kommst du da nicht rein. Dann musst du es absitzen…
Sven: Die begehrteren Tickets sind die für das Public Viewing…
Jakob: Genau, nicht für die Veranstaltung selbst Das sagt ja eigentlich schon alles über die Veranstaltung.
Sven: Bei der Veranstaltung selbst bist du ja nur Teil so einer Fernsehinszenierung. Dass sich da eine musikalische Welt darstellt, die mit einer Band wie Element Of Crime und dem wofür wir stehen wirklich nichts zu tun hat, das ist ja eh klar
Jakob: Ich war da ja einmal letztes Jahr. Und das ist so absurd, dass man eigentlich gar nichts dazu sagen kann, so absurd ist das! Das hat eigentlich mit nichts irgendwas zu tun. Ganz eigenartig. Man sitzt dann da so und dann versucht man auch schon wieder ganz schnell zu gehen.
Sven: Ich kann das denen auch nicht vorwerfen. Das Einzige, wovon ich sage, dass die damit echt mal aufhören könnten, wäre es, dass sie proaktiv verlautbaren lassen, dass sie die Dinger nach den Verkaufszahlen vergeben. Dann könnten sie zwei Sachen lassen: Fünf Nominierte zu bringen, bei denen doch jeder weiß, der die Musikwoche abonniert hat, wer von diesen fünf gewinnt. Das ist quasi Missbrauch von vier Bands. Was soll das? Das ist das eine. Das andere ist: Sie sollen damit aufhören zu sagen “Das beste Album” oder “Die besten Künstler” oder “Künstler des Jahres”. Das ist Quatsch! Sie sollen sagen “Das meistverkaufte Album”. So ehrlich müssten sie dann sein.
Ansonsten hab ich ja alle Leute im Showgeschäft irgendwie lieb. Ich mag auch diese Schlagertypen, weil die sich da so abrackern. Am Ende sind wir alle so Typen, die da draußen sind und ihr Blut auf dem Unterhaltungsschlachtfeld vergießen. Aber der Echo ist nicht so wichtig. Das muss man auch einfach mal so sagen.
Dazu überleitend, da wirkliche Newcomer-Bands, mit denen wir uns zumindest bei Bedroomdisco beschäftigen, auch nicht wirklich beim Echo stattfinden: Es gibt jetzt eine Band, Isolation Berlin, und mir ist besonders bei ihnen aufgefallen, dass sie sehr oft mit euch verglichen wurden. Es war immer der Rio Reiser-Vergleich und der Element Of Crime-Vergleich. Könnt ihr das irgendwie nachvollziehen? Seht ihr euch irgendwie da drin? Oder denkt ihr: Musikjournalisten mussten einfach wieder irgendwas miteinander vergleichen?
Jakob: Ich hab jetzt ein paar Sachen angehört und ich fand es gut. Aber das ist eigentlich so eigen, was sie machen. Ich finde das dann doch einen eigenen, kraftvollen, dynamischen Ansatz, den sie haben. Ein Vergleich macht Leute gleich immer so klein. Nicht ohne Grund hat man sich selbst ja auch immer dagegen gewehrt, verglichen zu werden, weil es schrecklich ist.
Sven: Wobei es einem immer noch lieber ist, mit Velvet Underground verglichen zu werden, als mit Bruce Springsteen, um mal so ein paar Sachen aus den Achtzigern mit reinzubringen…
Du klingst auch immer wie irgendwas anderes. Das Problem ist, dass du damit das Wesen der Sache nicht triffst. Sie haben ja einen eigenen Stil und ihr eigenes Ding am Laufen. Man kann nur so schlecht über Musik reden und schreiben. Das ist sehr schwierig, also muss man irgendwie mit Vergleichen arbeiten und versuchen, Neugier zu wecken. Das ist die einzige Referenz, die der Leser versteht. Insofern ist das völlig in Ordnung. Aber es wäre falsch, wenn sich das die Musiker selbst zu Eigen machen würden. Aber dass das Musikjournalisten machen, finde ich legitim.
Da es euch schon so lange gibt: Könnt ihr euch noch an den Moment erinnern, in dem ihr nicht mehr verglichen wurdet mit anderen, sondern selber als Vergleich in einer Kritik standet? Das erste Mal “Es klingt wie Element Of Crime”?
Jakob: Ich glaube, das war mit der erste deutschsprachigen, kann das sein?
Sven: Dass wir nicht mehr verglichen wurden, fing schon bei ‘The Ballad of Jimmy & Johnny’ an.
Jakob: Bei der ersten war es John Cale, bei der zweiten auch noch ein bisschen… Aber Velvet Underground war auch nie ein klangliche Referenz, sondern immer nur so eine Heimat, in der man sich von der Haltung heraufgehoben fühlte.
Sven: Aber wir wurden ja auch…
Jakob: Wir wurden eher ignoriert! (lacht)
Sven: Nein, nein! Also ja als junge Band, aber irgendwann bist du einfach soweit etabliert, dass man eben nicht mehr zum Vergleich greift. Das nächste ist, ob du schon ins allgemeine Bewusstsein eingesickert bist, dass der Verweis auf Element of Crime etwas bringt. Das ist vielleicht erst seit fünfzehn Jahren so, vielleicht auch erst seit zehn. Letztendlich ist Element Of Crime auch immer ein Insider-Phänomen. Wenn du in Deutschland lebst und kennst Die Toten Hosen nicht, dann hast du wirklich nicht aufgepasst. Oder Die Ärzte! Die kennt jeder. Aber Element Of Crime muss man nicht kennen. Die kennt man nur, wenn man sich für so eine Musik interessiert. Für uns ist das eine sehr angenehme Position, weil wir eigentlich nur mit Leuten zu tun haben, die sich für so eine Musik interessieren.
Gab es denn neben Bruce Springsteen noch einen anderen Vergleich, der euch richtig geärgert hat?
Sven: Nein, also…
Jakob (lacht): Du hast das ja gesagt!
Sven: Bruce Springsteen hat uns nicht geärgert. Es war aber böse gemeint! Das war die allererste Kritik über Element Of Crime, im Berlin-Teil der TAZ, und Thomthom Geigenschrey schrieb nach dem allerersten Konzert, das wir als ebendiese Band gaben: Der Sänger versucht zu klingen wie Bob Dylan und Bruce Springsteen. Und das war, weil es 1985 war, als ganz böse Beleidigung gemeint.
Jakob: Die waren nicht hoch im Kurs die beiden.
Sven: Heute sagt man sich: Naja, hätte schlimmer kommen können, aber damals war das eben echt böse.
Wenn wir gerade schon bei der TAZ sind: Ich habe ein Interview von dir gefunden, von 2009 mit der TAZ.
Sven: Aha!
Ich fand ganz interessant, dass du meintest, dass eure Musik zwar spontan klingt, ihr aber schon auch sehr viel Kontrolle darüber habt. Du hast gesagt, dass es verschiedene Ebenen geben muss, damit eine Platte wirklich lange wirkt und die Zeit überdauern kann. Und du hast die Befürchtung geäußert: “Ich habe übrigens etwas Angst, dass diese Art von Musik ausstirbt.” Das ist ja jetzt etwa sieben Jahre her. Ich weiß nicht, ob du dich noch dran erinnern kannst, was damit genau gemeint war.
Sven: Oh, das war unberechtigt. Das werde ich schon gesagt haben. Aber diese Befürchtung war eher überflüssig. Ich meine, es ging da glaube ich noch um etwas anderes. Es ging auch noch darum, dass man eine gewisse Scheißegal-Haltung mitbringt, dass man die Sachen einfach raushaut. Also Kontrolle gut und schön, aber nicht eben diese “guten Produktionen”. Das hat uns eigentlich nie so interessiert. Aber da sieht man heute andere Bands, die da einfach reingehen und das Zeug da reinkrachen. Manche anderen lassen sich zu viel erzählen und zu sehr glattbügeln. Letztendlich ist ja die Frage, stirbt der Rock’n’Roll aus? Und ich glaube nicht, dass es so ist. Ich hatte da wahrscheinlich gerade einen kulturpessimistischen Moment.
Es war eher so auf diese Pop-Akademien bezogen, wo man dachte, jetzt lernen sie alle von diesen mediokren Leuten, wie man es angeblich richtig macht. Und dann machen sie es alle so, wie sie es gelernt haben: so “richtig”. Aber wo sind denn die Typen, die rausgehen und drei Saiten zerreißen während des Konzerts? Wo sind die denn? Aber da muss ich einen schlechten Tag gehabt haben, weil eigentlich mach ich mir über sowas keine Sorgen. Rabauken gibt es immer, auch in der Musik.
Aber es ist ja schön, dass diese Befürchtung von 2009 nicht eingetreten ist.
Sven: Das ist eh immer Quatsch, weil das eigentlich unsympathisch ist. Alte-Leute-Gerede: Wir waren damals noch geil, als wir das gemacht haben, war das alles noch super. Heute die jungen Leute haben es nicht mehr drauf. Seit tausenden von Jahren wird so geredet. Man sollte versuchen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen! Insofern möchte ich dieses Statement gerne zurückziehen. (lacht)
Dann hast du an dieser Stelle die Gelegenheit.
Sven: Endlich revidiert!