And so it’s not in your clasp
What’s the function or the task
Well, I’d stun and I’d stammer
Help me reach the hammer
For then what will I ask?
That’s a pair of them docks
Mooring out two separate lochs
Ain’t that some kind of quandary
—waundry
Take me into your palms
What is left when unhungry?
(Bon Iver – 666ʇ)
2007 in einem Plattenladen in Regensburg. ‘For Emma, Forever Ago‘ ist seit ungefähr einer Woche erschienen und nun steht man dort und versucht dem Mann hinter dem Verkaufstresen den Namen einer weiteren unbekannten Indiefolk Band zu buchstabieren. „Ja genau, Bon Iver“, „jaja, so wie Hiver nur ohne h“. „Kann aber dauern“, die mürrische Antwort.
Es ist merkwürdig einer Lieblingsband so beim wachsen zu zusehen und noch merkwürdiger erscheint es, dass die Beziehung zu den Platten nie abgerissen ist. ‘For Emma For Ever Ago’, war das einsame Werk eines Einsiedlers mit gebrochenem Herzen, spärlich instrumentiert, leer und einsam. Das selbstbetitelte ‘Bon Iver‘, der große orchestrale Wurf voller wuchtiger Klanglandschaften. Und ‘22, A Million‘? Der experimentelle Befreiungsschlag eines Musikers, der sich mit seiner Rolle als Vorzeige-Folkbarde ohnehin nie abfinden konnte?
5 Jahre hat sich Justin Vernon zeitgelassen, hat sich zurückgezogen in Projekte, in denen der Fokus weniger auf seiner Person lag. Dabei stand auf der Kippe ob es je ein weiteres Bon Iver-Album geben wird. Der Erfolg hat gezehrt an jemanden, der Musiker, aber nicht unbedingt Star sein wollte.
„What is left when unhungry?“ Das eigene Zweifeln, die eigene Schwäche zum Thema machen und daraus etwas Neues erschaffen, all die Bruch- und Versatzstücke zusammensetzen. Stück für Stück, geduldig am Haus bauen. ’22, A Million’ ist genau das, ein frakturiertes, zerbrechliches Gesamtwerk, voller Sample- und repetitiven Elementen. Es ist nicht mehr geprägt von der spärlichen Einsamkeit einer Waldhütte oder den großen orchestralen Gesten. Aber egal welches Album man betrachtet, Bon Iver konnte schon immer sein Umfeld in Klänge verwandeln und so wie sich das Umfeld wandelte, wandelte sich auch der Sound seiner Platten. Es ist nicht mehr die Platte eines Folk Bardens, der seinen Stil gefunden hat und dort verweilt, egal welche Lebensumstände ihn begleiten, sonder die eines Musikers, der sich und seine Umgebung reflektiert und so in Klang verwandelt. Die Isoliertheit auf ’22, A Million’ entspringt eben nicht mehr aus Kargheit und Einöde, sonder zeigt, dass man auch unter der Fülle vorbeirauschender Sinneseindrücke, eines Lebens in der Rush Hour, einsam werden kann. ’22, A Million’ spiegelt die Größe und das Ungreifbare mit all den Zweifel und Bruchstücken, all das Unwirkliche das Menschenmassen und Erfolg anhaftet und dessen Druck man wohl nur erahnen kann, wieder. Verzerrt und irreal, so wie einem diese Welt vorkommen mag, in die man geworfen wird, ein Showbusiness voller Möglichkeiten und falscher Fassaden. Es fällt nicht schwer diese Parallelen auf ’22, A Million’ zu ziehen. Doch sollte man sie auch nicht überbewerten.
Es ist gerade Justin Vernons unermüdliche musikalische Arbeit, mit der er versucht all das Theater zusammenzuhalten, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen – Stück für Stück das Chaos sortieren. Er schafft dabei neues, ohne aber die Songs aus dem Auge zu verlieren. Bei all den Ausflügen sind und bleiben es Bon Iver Songs – warm und herzlich, zweifelnd und voller Sehnsucht.
’22, A Million’ ist dabei auch ein Destillat eben jener 5 jährigen Auszeit, die gefüllt war mit Nebenprojekten und Kollaborationen aus denen vieles in das neue Bon Iver Album eingeflossen ist. Geprägt von der Zusammenarbeit mit James Blake und Kanye West, stürzt sich Justin Vernon in das Abendteuer elektronischer Soundexperimente, Auto-Tune und Vocoder-Eskapaden.
Doch genau genommen hat sich diese Experimentierfreude schon vorher angedeutet. ‘Woods‘, der letzten Song von Bon Ivers 2009 erschienen EP ‘Blood Bank‘ scheint im Nachhinein wie ein Vorbote auf das, was auf ’22, A Million’ nun zu einem ganzen Album wurde. Nur Vernons Stimme, teilweise bis ins unkenntliche verfremdet, trägt den Song.
Justin Vernon macht sich mit ’22, A Million’ zu einer Vielfältigkeit auf, die an Sufjan Stevens denken lässt, der mit ‘Age of Adz‘ ein überbordendes Album geschaffen hat, bevor er mit ‘Carrie & Lowell‘ zurück zu einem schmerzlich, reduzierten Sound gekommen ist. Wohin auch immer es Justin Vernon in Zukunft verschlägt, was bleibt, ist die Gabe Klanglandschaften und Bilder wie in einem vorbeiziehenden Film zu schaffen.
Bon Iver – 22, A Million
VÖ: 30. September 2016, Jagjaguwar
www.boniver.org
www.facebook.com/boniverwi