Die Höchste Eisenbahn – Interview

Moritz Krämer und Francesco Wilking von der höchsten Eisenbahn machen auf ihrer Pressetour einen Stopp in Frankfurt. Also sammle ich die beiden am Hessischen Rundfunk ein und nehme sie mit dahin, wo sich Musiker am wohlsten fühlen: in einen Bunker. Im kleinen Proberaum samt Instrumenten angekommen, ist gerade noch so Platz für uns drei. Die beiden wirken müde, haben aber dennoch die Energie mit mir über das neue Album, über ihren Schreibprozess, über Kitsch in der Musik und ihre Selbstwahrnehmung zu reden.

Was hat sich für euch zwischen den beiden Alben geändert?  Also habt ihr etwas anders gemacht als beim ersten Album?

Moritz: Wir haben eigentlich nur eine Sache anders gemacht. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir alle vier zusammen Musik schreiben. Bei der ersten Platte gab es das so nicht, es ist einfach passiert. Ansonsten war eigentlich alles wie bei der ersten Platte.

Wie sähe denn euer Traum-Recording aus?

Francesco: Also mein Traum ist eine Spielwiese zu haben, wo alle gleichzeitig spielen können. Also nicht so, wie wir das jetzt gemacht haben, so hintereinander zeitlich versetzt. Ich würde mir wünschen, dass man in einem coolen Raum gleichzeitig kommuniziert und dabei ist eins nicht besser als das andere. Ich glaube das wäre für uns sehr erfrischend, da jetzt mal einen anderen Ansatz zu wählen.

Habt ihr so etwas wie ein Leitmotiv für die Platte, textlich und musikalisch?

Moritz: Also wir haben ganz viel über die Themen geredet, die die Platte zusammenhalten. Was wir schreiben und singen, hat ja was mit uns zu tun hat und dadurch ergibt sich auch irgendwie ein roter Faden. Aber es ist kein Konzeptalbum. Wir haben uns nicht davor ausgedacht, das ist die Reise von vier Menschen …

Francesco: Hätten wir gerne gemacht, aber dann wäre es noch komplizierter geworden und wir hätten vielleicht noch länger gebraucht.

Aber wäre denn ein Konzeptalbum eine Idee?

Francesco: Ich finde das geil!

Moritz: Wir hatten schon was. Das hatte mit Weltraum und Raumschiffen zu tun.

Francesco: Und Apokalypse!

Moritz: Na klar die Standards – da war einfach alles drin! Da haben wir einen Tag lang drüber geredet, wie das immer so ist und dann doch was anderes gemacht.

Mir ist aufgefallen, dass es in der Presse ganz oft heißt, die Höchste Eisenbahn hätte so eine Leichtigkeit in den Songs oder bestimmte Songs seien leicht. Seid ihr zufrieden mit mit dem Aushängeschild der Leichtigkeit?

Moritz: Es passt noch nicht alles zusammen, was so in Gesprächen an uns herangetragen wird. Ich kann das für mich noch nicht so richtig entschlüsseln.

Francesco: Also ja, weil es für uns eben anders ist, ist es jetzt nicht konträr. Aber gestern hat jemand gesagt, die Platte käme so fluffig daher, und dann hätten es die Texte so in sich. Als ob wir eine Falle gebaut hätten! Schöne Easy Listening Musik, und dann ist aber in den Texten was drin. Klar kann man die Sachen auch kontrastieren. Du kannst auch eine traurige Geschichte über ein schönes Lied machen. Aber oft ist das nicht so bewusst und auch nicht Konzept. Aber wieso meinst du “Seid ihr zufrieden mit diesen Attributen?” Weil du das anders siehst?

Also ich finde Leichtigkeit ist nur bedingt ein Kompliment für Musik. Menschen meinen das positiv, aber Musik Leichtigkeit zu unterstellen macht es zu was Banalem. Dass Musik leicht ist, damit kann ich nicht so richtig was anfangen. Es löst nicht so richtig was Positives aus.

Francesco: Also du meinst das geht dann in Richtung Fahrstuhlmusik.

Ich will das den Leuten nicht unterstellen, aber es löst ja schon was aus. Ich finde auf Musik bezogen Leichtigkeit…

Moritz: Man kann auch sagen, dass es was ist, auf das man sich einigen kann. Es ist nicht so schwer, es ist schön leicht, obwohl man eigentlich erwarten würde, dass deutsche Texte und Musik, in der dann die Wörter so wichtig sein sollen, sowas Schweres hätte. Aber wir hatten so ein Erlebnis in Erlangen. Da hatten wir das Gefühl, wir hätten wahnsinnig gerockt und krass schnell und laut gespielt. Nach uns kam so eine Elektroband. Wir kamen von der Bühne, waren völlig fertig und kamen uns wie die Megarocker vor. Da meinten sie: “Hey Jungs, voll chillig, voll geil.” Und dann haben sie Alarm auf der Bühne gemacht. Das waren zwar auch Welten, aber der hat das halt als chillig empfunden und wir waren völlig fertig.

Wie schreibt ihr eigentlich eure Texte? Nutzt ihr da bestimmte Techniken? Das Zufallprinzip?

Francesco: Es hat schon viel mit Suchen zu tun, und damit, dass man Dinge aufschnappt. Du kannst zum Beispiel irgendeinen x-beliebigen Film anschauen, an einer Stelle Play drücken und der Satz, der dort gesagt wird, mit dem fängst du an oder du nimmst ihn als Sample. Moritz und ich haben ganz viele Texte zusammen geschrieben und dann waren es vielleicht zehn Strophen für ein Lied, das dann letztendlich maximal drei Strophen hatte. Dann baut man so rum.

Moritz: Es entstehen manchmal Zufälle, wenn man etwas schreibt, weiter schreibt, was raus streicht, in einem anderen Textdokument was findet und plötzlich ändert sich die Geschichte. Am Anfang ging es um einen Typen, der kurzsichtig ist und jetzt ist plötzlich nicht er kurzsichtig, sondern die andere Figur. Man checkt das vielleicht selbst gar nicht. Und dann sagt Francesco “Du hast noch gar nicht gemerkt, was da passiert ist. Die andere Figur ist jetzt kurzsichtig!” Man entdeckt es dann quasi neu und da passiert zufällig Inhalt, über den man sich freut.

Francesco: Ich finde das auch immer geil, zu sehen, was da steht und es dann nochmal umzubauen. Ich schreib zum Beispiel immer in Bücher rein, in so Hefte, und Moritz schreibt immer ins Handy oder den Computer. Ich finde das immer scheiße, weil wenn man ins Heft schreibt und es gefällt dir nicht, dann streichst du es durch, aber es ist immer noch irgendwie da.  Aber wenn du es im Computer löschst, dann ist es weg. Und dann hab ich gesehen, wenn Moritz schreibt, stehen da so vier Zeilen und darunter ist eine Müllkippe.

Moritz: Unten ist immer alles, ich lösche nichts! Ich schneide es immer raus, schiebe es runter und da mischt es sich neu. Mareike Mikat, mit der wir beide ein Stück zusammen gemacht haben, macht beim Inszenieren genau das, was mich immer so begeistert hat. Sie sieht irgendwas und sagt dann: “Das ist so. Du bist gelb.” – “Ich wollte aber grün sein.” – “Nee, du bist gelb, aber das hast du selber noch gar nicht gemerkt.” Nach dem Prinzip kann man auch texten.

Francesco: Das kann natürlich bei uns zu Konflikten führen, wenn einer jetzt denkt, er inszeniert die ganze Geschichte. “Nee nee, du bist gelb! Du hast es vielleicht selber noch nicht verstanden!” (lacht) Dann gibt es da auch Totschlagargumente. Felix zum Beispiel mit seinem Meisterwerk-Argument. “Das ist mein Meisterwerk.” “Wollen wir das vielleicht muten oder ein bisschen leiser machen?” “Ey, das ist mein Meisterwerk!”

Eure Musik ist immer wahnsinnig textreich. Dabei finde ich interessant, dass ihr oft Protagonisten habt und damit so eine Distanz beim Schreiben erzeugt. Dann habt ihr aber auch wieder diese Songs wie ‘Blume’, wo ihr einfach ganz offenherzig über Liebe singt, und das wieder so nah ist, dass es mich am Anfang sehr überwältigt habt. Wechseln sich Nähe und Distanz bei euch bewusst ab? Und nehmt ihr das beim Schreiben auch so wahr?

Francesco: Das macht total Sinn, dass du sagst, man baut einen Namen an und schafft Distanz. Das ist so eine Art von Verkleiden. Also wir setzen uns jetzt nicht die Darth Vader-Maske auf. ‘Gierig’ ist zum Beispiel keine Geschichte, in der wir sagen “Ich bin ich und Moritz ist Moritz”, aber trotzdem ist das Lied für mich total persönlich. ‘Nicht Atmen’ ist wiederum nicht so persönlich für mich, sondern da sitzen wir auf einer Wolke, mit weißem Kittel, Schlips, Block und Bleistift und gucken uns die Menschen da unten an. Man kriegt auch oft erst nach einer Weile raus, wie das Lied sich anfühlt und schreibt dann auf die eine oder andere Art weiter. Und das mit den Namen hat sich einfach so eingeschliffen, weil wir beide schon immer Lieder mit Namen drin geschrieben haben.

Moritz: Vorgestern kam jemand zu mir und sagte “Ich heiße so wie die Mitbewohnerin von deinem Freund.” Und ich hab eine Weile gebraucht, bis ich gecheckt habe, dass in einem Lied jemand Lea hieß, und sie hieß eben Lea.

Francesco: Sie hätte auch einfach sagen können “Hi, ich heiße Lea.” (lacht) Dann hättest du sagen können “Ah, wie die eine in meinem Song.”

Stichwort ‘Blume’ – Warum fällt es euch eigentlich so leicht, über Liebe zu singen?  Anfangs dachte ich, das ist zuviel Kitsch, auch wegen der Metapher, aber dann funktioniert er irgendwie doch.

Moritz: Der Blume-Refrain ist von Francesco, und wenn er den singt, dann ist da so ein Grundvertrauen. Ich hab den Refrain nie hinterfragt, sondern das ist was, was er gesagt hat und was ich schön fand. Es gibt einen Refrain auf der Platte – der von ‘Stern’ – da haben wir drüber geredet, ob wir das so sagen wollen. Also weil du gerade von so einer Grenze gesprochen hast, wie zu viel Kitsch.

Franceso: Bei ‘Stern’ war es eben das Wort Stern, weil es so ein komisches Zuhause für Schlagersachen ist. Da haben wir lange versucht, es zu ersetzen, aber es ging irgendwie nicht.

Moritz: Ich mag am Refrain von ‘Blume’, dass er so naiv und einfach das sagt, was so kompliziert sein kann. Das passt zur Prämisse, wie wir das Lied geschrieben haben, dass es eine Utopie der Liebe ist, die riesengroß ist und zweifellos bleibt. Der Inhalt ist eben, dass man es allen sagen kann, weil es total krass wird und supergut. Und diese Metapher einer Blume ist so schön einfach und naiv wie eine Strichzeichnung.

Francesco: Und man muss auch sagen, es ist Musik und kein Gedicht. Das finde ich wichtig. Es gibt viele Liedtexte, die man einfach als Gedichte lesen kann. ‘Blume’ funktioniert für mich mit der Musik zusammen. Dann komme ich nicht zum Hinterfragen, weil der Text so an der Musik dran klebt. Du kannst die Zeile nicht so von der Musik lösen. Manchmal ist es auch fies, manchmal verselbstständigen sich bestimmte Texte und Wörter und bleiben dir dann so als Text hängen. Das ist wie bei ‘Stern’: Wenn ein Satz anfängt mit “Wie ein Stern …”, machen viele den Satz fertig mit “… der deinen Namen trägt”. Da hat man nicht so Bock drauf, so eine Welt aufzumachen. Du willst lieber was anderes machen. Aber so funktioniert das einfach nicht.


Die Höchste Eisenbahn macht sich in zwei Tagen auf zu ihrer großen Herbsttour! Dabei kommen sie nochmal nach Frankfurt und zwar am 1. November. Wir verlosen 1×2 Gästelistenplätze für das Konzert im Zoom Club! Schreibt uns dazu eine Mail an gewinnen@bedroomdisco.de mit dem Betreff “Wer bringt mich jetzt zu der Eisenbahn”!