Europe is lost, America lost, London lost
Still we are clamouring victory
All that is meaningless rules
We have learned nothing from history
People are dead in their lifetimes
Dazed in the shine of the streets
But look how the traffic’s still moving
The system’s too slick to stop working
Business is good. And there’s bands every night in the pubs
And there’s two for one drinks in the clubs
And we scrubbed up well
We washed off the work and the stress
Now all we want’s some excess
Better yet; A night to remember that we’ll soon forget
(Kate Tempest – Europe Is Lost)
4:18 Uhr. Da bist du entweder betrunken oder du schläfst. Mit hämmernden Synapsen wachliegen ist dagegen so ziemlich das Beschissenste, was dir um diese Uhrzeit passieren kann. Diese Uhrzeit und dieses Gefühl hält ‘Let Them Eat Chaos’ – das neue Album von Kate Tempest – zusammen.
“It’s 4:18 AM
At this very moment
On this very street
Seven different people in seven different flats
Are wide awake
They can’t sleep
Now
Of all these people
In all these houses
Only these seven are awake
And they shiver in the middle of the night
Counting their sheepish mistakes”
Kate Tempests Protagonisten leben alle in der selben Straße, kennen sich nicht, liegen aber zur gleichen Zeit wach. Sie kämpfen mit Einsamkeit, Versagensängsten, Verlust, Enttäuschungen und der Gesellschaft. ‘Europe Is Lost’ gewinnt so gleich auf mehreren Ebenen an Bedeutung. Das System hat uns im Griff, wir leiden nur im Stillen, während um uns herum alles vor die Hunde geht: “Sleep like a gloved hand covers our eyes, The lights are so nice and bright and lets dream, But some of us are stuck like stones in a slipstream, What am I gonna do wake up? We are lost.” Und wenn wir dann mal wachliegen: Wohin mit den Sorgen, wohin mit dem hämmernden Gewissen, das der blecherne Beat des Songs permanent unterstreicht?
Die mittlerweile mehrfach ausgezeichnete Lyrikerin hat hier Album und Buch gleichzeitig geschrieben. Die Geschichten sind so eng miteinander verwoben, dass man sich manchmal selbst durch diese Straße wandern sieht. Gemma ist die erste in der Geschichte, die bei ‘Ketamine for Breakfast’ in die Nacht starrt. Kate Tempest wechselt dabei zwischen Spoken Word und Rap und ändert damit stetig die Perspektive. Sie ist Erzählerin, sie ist Beobachterin und irgendwie auch selbst Gemma. Man hängt an ihren Lippen, dabei lohnt es auf jeden Fall auch auf die Beats zu hören. Die brummen eher düster aus dem Hintergrund, aber es ist immer wieder Platz für eingängige Melodien, wie bei ‘We Die’ und ‘Whoops’. Man vergisst hier fast ein bisschen auf die Musik zu achten, denn man möchte wissen, was die wachliegenden Menschen gemeinsam haben und ob sie sich gegenseitig helfen können. Man möchte die Geschichte hören.
Bei ‘Pictures On A Screen’ ist nun Bradley wach. Guter Job, gute Wohnung, er lebt augenscheinlich ein gutes Leben und doch liegt er wach und zweifelt: Ist das alles? Umgeben von einem schimmernd tagträumenden Sound, begeben wir uns in seine Gedankenwelt und sie ist voller Reue und Angst. Schwermütig geht die Geschichte weiter mit Zoe (‘Perfect Coffee’), die zwischen all ihrem Kram sitzt, den sie eigentlich gar nicht braucht. Der Klang ist zwar heller geworden, aber wirkt in seiner Höhe sarkastisch. Man ist wach, aber eigentlich ist man es auch nicht.
Kate Tempest fordert mit dieser Platte jeden Funken Aufmerksamkeit, den man nur aufbringen kann. Mit ‘Tunnel Vision’ schließt sich dieses Buch mit einer eindringlichen Dystopie. “Poor kids shot dead, Poor kids locked up, Poor kids saying “This is the future that you left us?”” Die Platte hinterlässt einen paralysiert, als läge man selbst gerade um 4:18 Uhr wach. Kate Tempest hat damit einen völlig neuen Maßstab in Sachen Konzeptalbum gesetzt.
Kate Tempest – Let Them Eat Chaos
VÖ: 07. Oktober 2016, Caroline
www.katetempest.co.uk
www.facebook.com/katetempest