Draußen vor den Mauern fängt es an sich zu bewegen
es steht der Dummheit bester Freund und zeigt Flagge mit der Hand
Draußen vor den Türen fangen wir an im Schlamm zu stehen
Weil Pflastersteine so schön schweben, ich fühle auch in mir ein Beben
(…)
Früher da im Osten wollte ich im Wedding sein
Und heute soll das enden
Ich ließ mich von euch blenden
Es leuchtet tapfer die Union
Ein Licht aus hohler Emotionalen
So kalkuliert der Westen“
(Klez.e – Mauern)
Klez.e waren noch nie für klangliche Bescheidenheit bekannt. Und auch textlich regiert der Pathos. Pop heißt bei Klez.e immer auch Abgehobenheit und Verkünstellung. Vom Feuer der Gaben bediente sich religiöser Symbolik und Sprache und diskutierte dabei die Macht von Glauben. Flimmern und auch Leben daneben waren so etwas wie kryptische Medienkritik. Und jetzt Desintegration. Klez.e behalten ihre pompöse symbolisch aufgeladen Stil bei.
Wagners Opulenz als Popmusik, das kann auch verstören und abschrecken. Wie eine Wand, die die filigranen Kompositionen versperrt, wo zu viel Sendungsbewusstsein ist, hört keiner mehr richtig hin. Und so muss man sich mehr denn je darauf einlassen um dieses Album zu mögen. Wie an einer schmierigen Wand, rutscht man zunächst ab an Opulenz und Pathos. Doch das spannende an Klez.e Alben ist, dass man sich gleichzeitig abwenden möchte von diesem Zuviel und doch mit Faszination nicht weghören kann.Auch weil das Album ein Musterbeispiel künstlerischen Vorgehens ist, ein verzahntes Ganzes aus Text, Klang, Zitat und Musik zu schaffen, wirkt es dabei immer einwenig kalt und abweisend konstruiert. Genau wie die Sounds auf Desintegration: elektronisch, unnahbar und das Gegenteil von heimelig.
Dazu Tobias Sieberts dünne Stimme, die nie wirklich voll wird, selbst wenn sie schreit. So wie das Subjekt in Sieberts Texten in einer großen, unbegreiflichen Welt verloren scheint, verliert sich auch sein dünne Stimme zwischen all den großen Worten und pompösen dunklen Klängen und unterstreicht so das Gefühl einer beklemmenden Einsamkeit. Die Ohnmacht des Individuums angesichts von Staatsintrigen, Krieg und gesellschaftlicher Verunsicherung, wird in Klang gegossen. Und so zeichnet Desintegration vor allem eine einsame Welt: kalt, metallisch unbequem.
Die Texte bedienen sich all dieser großen Worte und bleiben dabei doch immer kryptisch, offen für Interpretation. Selten ist klar, wer diese „Du“ ist, mit dem in den Texten gestritten und gehadert wird. So wie in November,wenn heißt „So kalt, arrogant. Wir erleben eine neue Distanz, all die Narben auf deinem Sand, diene Welt brennt schon lang. Ich weiß nicht was das verspricht. Ich halte dich fest, ich weiß, dass du uns verletzt. Fühl ich Wut, aus Prinzip, weil alles immer eh auf dich zielt, mein Bereich, den du lenkst, wenn du Geschichte aus dir sprengst.“
Die Texte erscheinen als eine Verdichtung von Wirklichkeit, wie das Zappen durch Nachrichtenportale, in denen eine Krise, voyeuristisch beleuchtet, die nächste jagt. Wenn sich auf Nachtfahrt in gedankenverlorenem Singsang die Schicksalsmelodie von Love Story zwischen die Erzählung von Staatsintrigen und „Krieg im Wirtschaftswald“ mischt, wirkt das wie der Versuch nicht hinhören, nicht hinsehen zu wollen, auf die verfaulten Ecken dieser Welt.
Nun kann man dieses Album wohl nicht besprechen ohne auf die Parallelen zu The Cure zu sprechen zu kommen. Denn nicht nur der Albumtitel ist eine Reminiszenz an deren Album Disintegration von 1989. Auch der Sound lehnt sich daran an. Das ganze Album klingt nach dem Wave der 80er. Und dieser liefert zusammen mit Sieberts Texten wohl eine der passendsten Beschreibungen isolierter Individuen in einer sich verdüsternden Gesellschaft voller Ängste und Unsicherheit. Desintegration beschriebt eine beklemmende Dystopie, die nicht mehr all so fern scheint. Ein unheilvolles Bild der Gegenwart, das sich bietet wenn das Sozialsystem zusammenfällt.
Klez.e – Desintegration
VÖ: 13. Januar 2017, Staatsakt (Universal Music)
http://www.klez-e.de
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