PORTICO QUARTET – Art in the Age of Automation

Wenn so ein Text das Wort Jazz im ersten Satz enthält, mögen manche direkt denken: „Och nee! Komm mir bloß nicht schon wieder mit einer dieser neumodischen, elitären Jazzbands, die ihr totes Genre wieder auferstehen lassen soll. Alles affektierte Idealisten! Alles…“ Verzeihung, Bedroomdisco-Lesende sind natürlich offene und mit wenig Vorurteilen belastete Musikliebhaber. Und sie werden belohnt, denn Portico Quartet sind die exakte Antithese zur obigen Borniertheit. Die Band aus London ist Teil der relativ jungen Jazzgeneration, deren Musik nicht außerhalb der weiten Grenzen des Genres beschrieben werden kann. Die musikalische Philosophie dieser Bands kennt man durch prominente Vertreter wie BadBadNotGood oder GoGo Penguin. Keine Einzelperson, sondern das Kollektiv stehen im Mittelpunkt. Keiner muss sich beweisen, die Musik entsteht aus dem Zusammenspiel.

Art In The Age Of Automation ist bereits das vierte Album der Briten. Trotz des Labelwechsels zu Gondwana knüpft es direkt an seine Vorgänger an: Die außergewöhnlichen Klänge der Hang und das über allem schwebende Saxophon sind weiterhin stilgebend. Die Kombination mit Drums, Bass und Keyboards lässt sich schwer beschreiben. Hört man nur einzelne Ausschnitte der sich teilweise stark verändernden Songs, könnte man teilweise meinen, eine House-Platte oder den neuesten Track von Jamie xx entdeckt zu haben. AITAOA als elektronisch zu beschreiben, wäre angesichts der vielen organischen Klängen aber auch unangemessen.

Gerade diese Mischung macht Songs wie den Opener Endless so unglaublich interessant. Elektronische Samples bilden hier eine Bühne, auf der das Saxophon seine charakteristisch minimalistischen Melodienkreise zieht. Die Hang sorgt gleichzeitig für Spannung und rundet den Klang ab. Der Einsatz der Streicher im zweiten Teil erinnert an Bonobo. Der Track wird vielschichtiger, das Ende bekommt eine melancholische Note. Ein weiterer herausstechender Song ist A Luminous Beam. Auf dem Fundament einer sehr dominanten Rhythmusgruppe bauen sich Flächen und Tonfolgen auf, die in einem hiphop-geeigneten, ausladenden Outro abschließen. Dieses sehr hohe qualitative und experimentierfreudige Niveau wird leider nicht während der ganzen Spielzeit gehalten. Gerade das Aufregende und Besondere der besseren Songs fehlt z.B. auf Current History oder dem Titeltrack. Insgesamt ist aber trotzdem kein Totalausfall dabei.

Insgesamt ist AITAOA ein unglaublich vielschichtiges und aufregendes Instrumentalalbum geworden. Die Musik ist weder antiquiert noch gestelzt. Den Erfolg, den Genrekollegen und generell moderne Jazzmusik in den letzten Jahren erfahren, hätten sich Portico Quartet nun schon zum vierten Mal auch mehr als verdient.

Portico Quartet – Art In The Age Of Automation
VÖ: 25. August 2017, Gondwana Records
www.porticoquartet.com
www.facebook.com/porticoquartet

Jonathan Hirschhäuser

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