Beim Hören von Benjamin Clementines Musik fühlt man sich ein wenig als stünde man vor einem modernen Kunstwerk: Was drücken die einzelnen Elemente aus? Wie passt es als großes Ganzes zusammen? Vielleicht ist er aber auch genau deshalb mit seinem Debüt vor zwei Jahren zum Kritikerliebling geworden. Man muss die Musik nicht sofort vollkommen verstehen, um zu merken, von welch guter Qualität sie ist. Die Frage nach dem Zusammenhang der einzelnen Songs bleibt auf dem Neuling I Tell A Fly allerdings oft unbeantwortet.
Das Feuilleton wird wieder lieben, dass sich der junge Brite musikalisch weiterhin nicht in eine Schublade stecken lässt. Die soulige Stimme und das teilweise sehr klassisch eingesetzte Klavier sind wie beim Vorgänger die Hauptbestandteile. Weitere Bestandteile wirken sorgfältig ausgewählt und sind häufig erfrischend unorthodox eingesetzt. Gerade das Cembalo bringt Clementine durch häufige und ungewöhnliche Einsätze zurück en vogue. Gemeinsam mit massiven Chören, die sich an sanften Sologesang mit milden Drum-and-Base Schlagzeug oder an ein dramatisches Stimmenchaos reihen, ergibt sich so ein abwechslungsreiches Klangbild. Dadurch sind Analogien zu Opern-Musik nicht nur auf Basis der Songtitel möglich. Zu Beginn von Phantom of Aleppoville reihen sich mehrere Szenen aneinander, in welchen auf Normalität Militär und Chaos folgt, welches wiederum durch Ruhe aufgelöst wird. Quintessence hingegen wirkt mit sanftem Gesang über unabhängigem Solo Klavier hingegen wie eine Arie. Auch sonst bleibt das Cembalo nicht das einzige Element aus der Klassik – viele der Titel bilden Brücken zu klassischen Musikstücken.
Leicht verdaulich ist diese Liebhaberinnen-Musik wohl nicht. Wer sich aber darauf einlässt wird Freude daran haben, immer neues zu entdecken und wird das etwas abgedrehte Gesamtkunstwerk zu schätzen lernen. Wer nicht dazu bereit ist, sich mit der Musik aktiv zu befassen und eigene Interpretationen zu bilden, wird mit I Tell A Fly auf Dauer nicht glücklich werden.
Benjamin Clementine – I Tell A Fly
VÖ: 29. September 2017, Caroline
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