Black saints and a lady
Playing knockoff soul
A punk rock romantic
Slumped on the kitchen floor
Nuns in stress position
Smoking Marlboros
Lolita is weeping
The bride is beautiful
Masseduction – I can’t turn off what turns me on
Masseduction – I can’t turn off what turns me on
Masseduction – I hold you like a weapon
Mass destruction – I don’t turn off what turns me on
(St. Vincent – Masseduction)
Nervös, bombastisch, mitreißend: So beginnt das dritte Studioalbum von St. Vincent alias Annie Clark – und so zieht es beinahe durchgängig vorüber. Nach 13 Songs hinterlässt es einen erschöpft. Was hier zu hören ist, ist kaum zart oder gefällig – ähnlich einem komplizierten Text, der sich nicht vor dem Schlafengehen lesen lässt, durch den man sich zuweilen sogar durchbeißen muss, im nächsten Moment wieder eine Passage verschlungen hat, plötzlich drei Seiten weiter ist – und am Ende definitiv einen Wissenszuwachs hat, den man nicht missen möchte. Masseduction lässt einen zurück mit sensationell-sperrigen Ohrwürmern, nachhallenden zuckenden Gitarren-Effekten und Song-Zeilen, die teils so gar nicht zu dem vermeintlichen Pop-Charakter passen. Oder doch?
Auch wenn St. Vincent dieses Album als ihr bislang persönlichstes Werk deklariert steht fest: Die Künstlichkeit der Performance, des Pops, der Figur St. Vincent – all das stellt sich zwischen den Tönen und Zeilen dar. Und nur so lässt sich St. Vincent rezipieren: als Gesamtkunstwerk. So mitreißend, so knallig, so poppig hat sie dieses bislang selten präsentiert, umso mehr im Mittelpunkt und über allem stehend, bleibt gerade dadurch das Artifizielle, dem sich bei ihr alles in den Dienst stellt. Immer wieder scheint in den Lyrics das angekündigte Authentische durchzuschimmern, nur um im nächsten Moment vor verkopfter, beinahe bis ins Unhörbare gesteigerte Mehrdeutigkeit zu strotzen und stets ist klar: Kein Ton, kein Bild, kein Wort kann hier für sich stehen.
Und so fällt es fast schwer, die Songs nur für sich zu betrachten oder sie einem klaren Genre zuzuordnen: Noch immer dominieren das Fragmentarische, das Hektische und die geballte, wummernde Intensität, die aus der Verbindung der Song-Segmente entsteht. Und auch die verfremdenden, effektverzerrten Gitarren des Vorgängers sind bekannt, auch wenn diese immer mehr mit den akustischen Grenzen der Synths verschwimmen. Kurze Ruhepausen bieten vermeintlich melancholische Songs wie Happy Birthday Johnny oder New York, bevor sich der präzis-kalkulierte akustische Spannungsbogen weiterzieht, der dann in Songs wie Los Ageless oder Masseduction sensationell gipfelt. Manchmal mag es fast zu mehrdeutig, zu verkopft, zu schwer zugänglich klingen, um es einfach nur gut zu finden.
So wie St. Vincent schon auf ihrem Vorgänger Album St. Vincent die Performance über alles gehoben hat, ob in ihren starr-choreografierten Shows oder der Überinszenierung ihrer Persona in ihren Videos, so wird auch das ganze Konzept um dieses Album in einer Überstilisierung zum Ausdruck: Pinke Lackstiefel, quietschender Latex, Leo-Tanga und die Aussage, dieses Album sei nun vollkommen aus der Ich-Perspektive zu betrachten. Wie all das im Detail zu deuten ist – dafür braucht es Zeit, Aufmerksamkeit: Masseduction fordert eine Wahl – es lässt sich vorbeiziehend anhören, wofür es sicher nicht geeignet ist und trotz der herausragenden musikalischen Momente in seiner gehetzten Widerspenstigkeit möglicherweise sogar Stress hinterlässt. Oder es lässt sich einordnen in St. Vincents Universum der Künstlichkeit.
Bei Letzterem wird man schnell aufmerksam auf die Doppeldeutigkeit, die Tiefe und Vielschichtigkeit dieses Albums: Ob aus Masseduction plötzlich „Mass destruction“ wird, ob die nicht nur unterschwellige Kritik an der Gesellschaft und ihrem Umgang mit Medikamenten, dem Schönheits- und Jugendwahn oder Gender-Normen rauszuhören ist oder ob das vermeintliche Liebeslied New York so vor Pathos strotzt, dass es sich im Kontext von St. Vincents Schaffen einfach nicht als das rezipieren lässt, was es vorgibt zu sein und beinahe wie ein Häppchen wirkt, das sie den Leuten hinwirft, die sich mehr für ihre vermeintliche Authentizitätsdarstellungen hinter der Künstlichkeit interessieren zu scheinen als für ihre Musik.
Doch genau darin besteht die Kunst von Annie Clark – nichts ist, wie es scheint. Sie zeigt sich in knappem Latex und Leoparden-Print auf und lässt sich doch niemals eindeutig als sexualisiertes Objekt verstehen, sie singt von der aus den Klatsch-Spalten bekannten zerbrochenen Beziehung, aber würde sie diese ernsthaft in der Öffentlichkeit verhandeln? Sei es poststrukturalistisch, postfeministisch – hörenswert ist es allemal und sichert St. Vincents Platz als eine der wichtigsten Performerinnen der aktuellen Pop-Kultur erneut und bestimmt für einige Zeit.
St. Vincent – Masseduction
VÖ: 13. Oktober 2017, Loma Vista Recordings
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