Ich bitte Sie, welche Familien hat keine Höhen und Tiefen?
(LaVona – I, Tonya)
Sport-Biopics lieben diese Geschichten der tragischen Figuren, die sich gegen alle Wiederstände durchsetzen und letztlich als Außenseiter alle Herzen gewinnen – inklusive natürlich dem Titel, der Medaille oder dem Rekord! Die Geschichte von Tonya Harding ist keine dieser Geschichten, I, Tonya ist keines dieser Biopics!
Tonya (Margot Robbie) ist ein Kind aus armen Verhältnissen, ihre Familie zerrüttet, ihre Mutter Kettenraucherin, die sich nicht wirklich liebevoll um ihre Tochter kümmert. Dennoch ermöglicht sie es ihr beim örtlichen Eiskunstlauf-Training teilzunehmen. Ein Sport der Privilegierten wie es scheint, doch Tonya holt schon kurze Zeit später Siege gegen weitaus ältere Eiskunstläuferinnen nach Hause. Jahre später wird ihr ihre Herkunft immer wieder vor Augen geführt, denn obwohl sie sehr talentiert ist, wird sie in ihren Augen immer wieder zu schlecht bewertet. Denn es gibt zwei Noten bei der Bewertung, die faktische der Technik und die subjektive der Präsentation. Drum braucht sie etwas besonderes, um irgendwie herauszuragen. Kurze Zeit später gelingt ihr als erste Frau in einem Wettkampf einen dreifachen Axel zu springen – ein gewagter Sprung, den sich kaum andere Läuferinnen überhaupt auszuprobieren trauen. Es ist ihr Moment – vergessen ist ihr armes Elternhaus, die lieblose Mutter, der gewalttätige Ehemann – sie ist an der Spitze ihres Sports. Doch wer hoch hinaus will, schlägt häufig hart auf dem Boden der Tatsachen auf und so geht es auch Tonya, die daraufhin immer wieder versucht den Sprung zu wiederholen und nie um eine Ausrede verlegen ist, warum es nicht mehr klappt.
Bei den olympischen Spielen wirkt sie abgelenkt und ihr Stern scheint schon zu versiegen, als das olympische Komitee beschließt, dass die nächsten Spiele schon in 2 Jahren stattfinden, statt in vier. Tonya hat ein neues Ziel und während sie fleißig trainiert, hecken ihr etwas debiler Freund und sein noch beschränkterer Kumpel einen Komplott gegen ihre stärkste Konkurrentin Nancy Kerrigan aus. Dieses läuft komplett aus dem Ruder und kurze Zeit später fliegen Tonya, ihrem Mann und seinen Drahtziehern die Scheiße um die Ohren, das FBI hängt an ihren Hacken und ihre Kariere ist ein für alle Mal beerdigt, während sie eine der meist gehassten Personen der Welt ist.
Craig Gillespies Film I, Tonya setzt eine charismatische Frau in den Mittelpunkt einer Geschichte, die komplett aus ihrem Blickwinkel mit nachgespielten Interviews verziert, ein verzerrtes, aber dafür umso unterhaltsameres Bild der Geschehnisse um die Karriere von Harding skizziert. Immer wieder glaubt man seinen Augen nicht, hat das Gefühl mit der vermeintlichen Täterin sympathisieren zu müssen, während immer wieder allerhand erschreckende Details verharmlost und aberwitzig dargestellt werden. Ein aufrichtiges Bild der Geschehnisse bekommt man so durch den Film nicht, er kratzt aber an der Oberfläche der Person Tonya und ihrer nächsten Mitmenschen, sowie der Eiskunstlaufszene und des damaligen medialen Großereignisses. Kurzweilig erzählt, großartig gespielt (grandios Allison Janney als Mutter, sowie Margot Robbie in der Hauptrolle) und sehr gut besetzt, verliert sich der Film teilweise in Klischees – trotzdem ist er großes Kino und gehört zu den unterhaltsamsten und besten Filmen des Jahres bisher.
I, Tonya (USA 2017)
Regie: Craig Gillespie
Darsteller: Margot Robbie, Sebastian Stan, Allison Janney, Julianne Nicholson, Jason Davis
Kino-Start: 22. März 2018, DCM