Nathaniel Rateliff gibt eher eine schlechte Cinderella ab – muss am Bart liegen. Dennoch wird häufig und gerne die Legende erzählt wie Rateliff über zwei Jahrzehnte erfolglos im Abseits des Musikbusiness fristete. Immer der Geheimtipp, immer die Vorband, immer der Lieblingskünstler von Bands wie Mumford & Sons – nie erfolgreich genug um tatsächlich gut von der Musik leben zu können. Kurz bevor Rateliff also davor war das Handtuch zu werfen um als bodenständiger Gärtner sein Geld zu verdienen, wendet sich das Blatt: Rateliff schreibt neue Songs, holt sich alte Musiker-Freunde dazu und macht mit ihnen statt melancholischer Singer-/Songwritermusik mitreißenden Soul-Pop. „Die Energie war halt gut!“ sagt er und zuckt mit den Achseln. „Ist schon merkwürdig – es gab Monate, da hatte ich nichts zu essen und keiner wollte mich hören. Plötzlich ist alles anders und der totale Wahnsinn geht los.“
Den Startschuss dieses Wahnsinns kann man gut und gerne Jimmy Fallon anrechnen: Rateliff und die Night Sweats performen 2015 in dessen Show das whiskeygeschwängerte S.O.B. und nicht nur Fallon ist völlig aus dem Häuschen. Das selbstbetitelte Debütalbum geht daraufhin ganz gut durch die Decke. Werbedeals, weitere Besuche in namhaften Fernsehsendungen und eine ausgedehnte Tour folgen. Ist das Leben nun also besser als zuvor? Besser, als zu der Zeit, in der Rateliff in seinen Songs noch davon sang, dass das Einzige, was er zu bieten habe die vielen Zettel sind, auf denen seine Songtexte stehen – und die wohl am ehesten dazu taugen verbrannt zu werden, damit man sich wenigstens an ihnen wärmen kann (When Do You See)? „Was heißt schon besser? Natürlich ist es gut, sich nun um bestimmte Dinge keine Sorgen mehr machen zu müssen. Es ist auch ein sehr gutes Gefühl, dass wir mit unserer Musik so viele Leute erreichen und unser Beruf uns extrem viel Spaß macht. Das ist schon ein Privileg.“ Rateliff sieht auch wenn er lächelt aus, als würde er zumindest ein kleines Stück des gesamten Weltschmerzes auf seinen Schultern tragen. Vielleicht liegt das an dem frühen Tod seines Vaters, den Rateliff häufig thematisiert und der ihn offensichtlich stark geprägt hat. Vielleicht hat Rateliff aber auch schon genug erlebt und gesehen und weiß, dass in allem Dunkel auch Licht steckt und das jedes Glück auch seine Schattenseiten haben kann. „Persönliche Beziehungen leiden, wenn man im Jahr nur wenige Wochen daheim ist. Mein letztes Jahr war – trotz allen Erfolgs – emotional recht hart. So ist das eben. Man kann wohl nie alles richtig machen.“
Dieses Jahr erschien das zweite Album der Night Sweats Tearing At The Seams und wurde allseits hoch gelobt. Kein Wunder: Rateliffs Stimme und seine Lyrics sind so ehrlich, so markerschütternd und so ergreifend, dass es eine wahre Freude ist. Seine exzellente Band leistet dazu einen Sound, der erdig aber nicht staubig ist, der nach bestem Vintage-Soul klingt, ohne antiquiert zu wirken und der rockig sein kann, ohne seine Eleganz aufzugeben. „Mein Ziel der zweiten Platte war es, das Songwriting auszubauen. Ich wollte es besser machen und wir haben dieses Mal auch verstärkt als Band zusammen gearbeitet.“ Dennoch sind sämtliche Texte von Rateliff selbst – und wecken wie immer tiefe Sehnsucht nach Liebe, nach unbefahrenen Straßen ohne Horizont, nach Trunkenheit und Rausch und vielleicht sogar nach irgendeiner Art von Freiheit. Sehnsucht bedeutet aber auch immer, dass der aktuelle Zustand nicht genug ist, dass etwas fehlt und irgendwann irgendetwas besser werden kann. „Es ist glaube ich auch so. Ich glaube, genauso funktioniert die Welt. Genau deshalb haben wir Hoffnung oder sind ehrgeizig.“ Rateliff scheint sich über dieses Thema schon häufig Gedanken gemacht zu haben. „Das traurige und gleichzeitig lustige daran ist: Du erreichst nie alles. Irgendeine Sehnsucht bleibt.“ Zum Glück – kann man bei aller Traurigkeit dieser Erkenntnis sagen. Ohne Sehnsucht gäbe es keine Kunst, keine Künstler, die ihr halbes Leben lang versuchen, gehört zu werden und nie aufgeben. Ohne Sehnsucht hätte wohl auch Rateliff niemals die Night Sweats gegründet und hätte uns so nicht nur großartiger Alben beraubt, sondern auch schweißtreibender Auftritte, nach denen man sich fühlt, als hätte man wirklich etwas erlebt und als wäre man allen, die neben einem getanzt haben ein kleines bisschen näher als zuvor. Wenn es das ist, was aus der ewigen Sehnsucht entsteht, können wir froh sein, dass es sie gibt.