I know the path we walk is not a gentle climb
I know come off cold, closed off, living selfish
But I don’t say too much
No need to say too much
And on the lake and the waterside
Right there I chose to love you till the day we die
(S. Carey – Emery)
S. Carey hat ein Album mit wunderschönen Songs geschaffen. Eine Platte durchgehender Harmonie, die zum Träumen anregt. Und genau das ist das Problem. Zunächst führt Carey uns in eine leuchtend-schöne Welt, offensichtlich zu einem seiner Rückzugsorte, in welchem er vor Problemen Zuflucht findet. Und dafür ist man ihm zunächst dankbar. An diesem Ort wird jeder Song mit Liebe arrangiert und die Kompositionen treffen den wohlgesonnen Teil des Unterbewusstseins: Man darf die Dunkelheit vergessen und im Licht spazieren. Wie in einem Spätsommer, der für die Ewigkeit bestimmt ist und sich anfühlt, als ob er niemals endet. Doch wie jeder Ausflug in eine heile Welt, wird auch Hundred Acres unbefriedigend, wenn man zu lange darin verweilt.
Eine Ausnahme ist der Song Emery, an welchen sich Carey nur 2 Minuten gewagt hat. Dieser fährt eine lautere Gangart, man könnte für Carey-Verhältnisse fast schon von aggressiv sprechen. Doch nach diesem Experiment erleben wir wieder eine Stimme, die sich nur scheu und zaghaft durch Arrangements und Wälder wagt. Man hat das Gefühl, dass da noch was geht, doch S. Carey lässt sich auf kein Wagnis ein. Er schreitet stets auf den sicheren Pfaden. Nirgends liegt ein Stock, über den man stolpern könnte und falls es regnet, dann nur nachts, wenn man sicher im Luxus-Campingplatz sein Smartphone auflädt.
S. Carey ist zu gut für diese Welt. Der wunderbare Musiker aus Wisconsin ist einer, der Lärm, Krach und Geschrei meidet, und somit auch jeglichen Konflikt. Das ist wohl der größte Kritikpunkt an diesem schönen Album: Es ist harmonie-süchtig. Nicht, dass wir mehr Konflikte bräuchten, nicht dass wir mehr Geschrei nötig hätten. Im Gegenteil: Ich bin Carey dankbar für diese Auszeit. Aber das nur über die Länge von drei bis vier Songs. Danach mangelt es an Abwechslung. Ich nehme ihm die ewige Harmonie nicht ab. Entsteht Schönheit und Katharsis nicht aus Schmerz? Wirklich aufatmen und ehrlich weinen kann ich, wenn ich verstanden habe, wodurch eine Figur in Film – oder Song – gegangen ist und wie sie damit umgeht. Und wodurch ist Carey gegangen? Welche Ratschläge kann er mir geben? Wie geht er mit Konflikten um? Was hat er zu Lärm und Geschrei zu sagen? Das erfährt man nicht, stattdessen träumt er. Er ist nicht greifbar, sondern schwebt, wie seine Stimme, unantastbar über uns hinweg. Als Liebhaber von Konzept-Alben, die mir eine Geschichte erzählen, kann ich dieses Album nicht als solches sehen, sondern als Dauerwerbesendung immerwährender Sonnenstrahlen. Doch selbst die können böse sein. Die Dosis macht es, und die hat Carey leider überzogen, so wundervoll die Songs auch sind.
Und hier schenkt er mir dann doch Erkenntnis: Zu begreifen, dass ich sein Album nicht durchhören kann, sondern seine Songs einzeln hören muss, obwohl ich ihm das nicht antun will. All die Songs haben ihre absolute Daseins-Bereichtigung, sie sind gut, doch sie leiden unter ihren genauso hell leuchtenden Brüdern und Schwestern. Ich kann sie nur einzeln genießen, bzw nur drei hintereinander, dann brauche ich eine Pause. Vierzig Minuten Harmonie sind schwerer auszuhalten, als ich dachte. Vielleicht bin ich auch nicht bereit für Careys Achtsamkeit und nicht fähig, mich länger als zehn Minuten auf seinen Rückzugsort einzulassen. Die Zeit wird kommen, an welchem ich das Album durchhören kann. Solange werde ich mir die Songs einzeln heraus picken und an einen alten Mann denken, der seinen Frieden gefunden hat, und den Hinweis auf die Dunkelheit nicht mehr braucht, um sich am Leben zu erfreuen.
The more you know, the less you see
The more it’s coming back to me
The more I see you
(S. Carey – More I See)
S. Carey – Hundred Acres
VÖ: 23. Februar 2018, Jagjaguwar
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