Foto-© Charlotte Patmore
The point is that you feel my company
You know I’ll never be too far
If you’re looking for somebody
I’m here
(Let’s Eat Grandma – It’s Not Just Me)
Das zweite Album ist immer so eine Sache. Der Erwartungsdruck ist in der Regel, wenn das Erstlingswerk überraschend eingeschlagen ist, besonders hoch. Das ist auch der Fall beim britischen Duo Let’s Eat Grandma. Nicht nur sind die Kindheitsfreundinnen Rosa Walton und Jenny Hollingworth aus dem Städtchen Norwich selbst dem Teenageralter entwachsen, auch ihr Musikstil hat sich verändert. Ihr Debütalbum I, Gemini von 2016 sorgte für ein Aufhorchen in der Musikszene. Ihr düsterer, psychedelischer Pop experimentierte mit verschiedenen Stilen: Mal ließen sich die wie Zwillinge anmutenden, unzertrennlichen Freundinnen zu Rapeinlagen hinreißen, dann griffen die Multiinstrumenalistinnen abwechselnd zu Synthesizer, Oboe, Gitarre, Xylophon und anderem Klangwerk. Gerade ihr leicht gruselig anmutendes Auftreten machte den Reiz von Let’s Eat Grandma aus. Dieser ist nun leider an vielen Stellen verloren gegangen.
Am düstersten ist vermutlich noch der instrumentale Einspieler Whitewater, der Assoziationen mit dem Debüt weckt und dann vom folgenden Song gebrochen wird. Eine Anspielung auf die Weiterentwicklung der Musikerinnen? Weniger psychedelisch stattdessen extrem poppig kommt die Auskopplungssingle Hot Pink, mitproduziert von der aus L.A. stammenden Produzentin Sophie, vom neuen Album daher. Daringeht es um das Missverständnis von Weiblichkeit und Maskulinität – das schlägt selbstverständlich ein in die Kerbe aktueller Diskurse, einen wirklich spannenden neuen Beitrag leisten sie damit nicht. I’ll be waiting for you wirkt holperig, was schade ist, da der Song bei seiner Songstruktur doch sehr simpel gehalten ist und als eingängiger Popsong funktionieren könnte. Rosa und Jenny sind keine ausgebildeten Sängerinnen, was sie schon auf ihrem Debütalbum ausmachte, war ihre Kreativität und Experimentierfreude. Nun klingen die meisten Lieder aufgrund einer fehlplatziert wirkenden Durchrationalisierung stattdessen irritierend und teilweise eintönig. It’s Not Just Me überzeugt hingegen als stimmiger Bubblegum-Popsong, auf das das Albumcover abgestimmt sein könnte. In schillernder Regenbogenfarben-Ästhetik zeigen sich Rosa und Jenny dort gewohnt ernst ohne Lächeln auf den Lippen.
Falling Into Me baut sich langsam aber stetig auf, 80s Synthesizer ebben und fluten abwechselnd ab und vermögen einem bei ihrem stetigen Wellengang mitzunehmen. Tatsächlich mitreißend ist der immer wieder prägnant einsetzende Bass im Kontrast zu ihren zarten Stimmen bis die von ihnen gewohnte Oboe letztendlich den Zenit des Songs darstellt. Dass Pop viele Gesichter hat, findet an dieser Stelle seinen Beweis. Auch der Artpop-Song Donnie Darko folgt einem ähnlichen Aufbau. Hier sind die beiden ihrer technoiden Spielfreude ganz treu geblieben. Der Sog, der sich beim monotonen Rythmus am Synthesizer dank treibender sphärischer Einspieler aufbaut, ist unumgänglich.
Da Experimentieren und Ausprobieren zum Älterwerden dazu gehören, ist es im Grunde nicht überraschend, dass sich Rosa und Jenny auf ihrem zweiten Album in neue Gefilde vorwagen. Schade nur, dass der ursprüngliche Charme der Freundinnen dabei etwas verloren geht. I’m All Ears wirkt professionalisiert, schon zu inszeniert und hält dabei leider weniger Überraschungsmomente parat. Das Album vergeht ohne große Aufregung und wirkt dabei wie ein Pop-Album, das genau das und doch mehr sein möchte. Ein wenig fehlt die Inspiration – nur älter und Erwachsen werden reicht da leider nicht aus, auch mit der Unterstützung unterschiedlicher erfahrener Produzenten nicht. Ein drittes Album ist dennoch mit Spannung abzuwarten, denn das kreative Potential von Let’s Eat Grandma ist ungebrochen und schimmert an genügend Stellen immer noch durch.
Let’s Eat Grandma – I’m All Ears
VÖ: 29. Juni 2018, Trangressive Records
www.letseatgrandma.co.uk
www.facebook.com/thelegofgrandma