Berufswunsch: Comedian
Multi-Talent Sharon Van Etten ist wieder am Start: Ihr neues Album ist genau wie sie und doch ganz anders: Offen, ehrlich und zum ersten Mal auch elektronisch. Nebenher hat sie so ziemlich alles gemacht, was man kreativ und privat so anstellen kann. Ein Gespräch über Freundschaften, Muttersein und Karrierepläne.
Vor vier Jahren veröffentlichte Sharon Van Etten ihr Erfolgsalbum “Are We There”. Vier Jahre lang war es solomusikalisch dann etwas stiller um die Amerikanerin. Vier Jahre in denen sie mehr Projekte realisierte, als in so manches Menschenleben passt. Sie hat einen Sohn bekommen, spielte in der Netflix-Serie “The OA” mit, studierte Psychologie und arbeitete mit der Regisseurin Katherine Dieckmann zusammen, für die sie den Soundtrack zum Projekt “Strange Weather” schrieb.
Dieckmann ist eine der ersten Personen, der Van Etten auch von ihrer Schwangerschaft erzählt. Die beiden Frauen verbindet spätestens seit ihrer Zusammenarbeit eine tiefe Freundschaft. “Ich hatte richtig starke Ängste. Ich dachte: Mit meinem Lebensstil, meinen Tourneen, meinen ganzen Projekten würde es unmöglich sein, ein Kind großzuziehen.” erklärt van Etten. Diekmann habe sie zur Seite genommen und ihr verdeutlicht dass ein Kind zu bekommen kein Zustand, sondern eine Entwicklung sei. Und vor allem: Dass es hier nicht um Perfektion geht. “Dieser Moment hat mich tief bewegt. Ich hab gemerkt, dass sie mir das zutraut und dann habe ich es mir auch zugetraut.” beschreibt Van Etten die Schlüsselszene zu ihrem neuen Lebensabschnitt als Mutter. Passenderweise ziert das neue Album “Remind Me Tomorrow” eine reale Fotografie. Eine aus dem Familienalbum und -alltag Dieckmanns. “Ich liebe dieses Bild. Es zeigt so viel: Chaos und Unbekümmertheit. Kindheit und Familienleben – unpoliert.” Sie lacht laut.
Ein Gespräch mit Sharon Van Etten ist direkt intensiv. Sie baut schnell Nähe auf und man hat das Gefühl, man könne mit ihr alles teilen. Jeden Gedanken, jede Erkenntnis, jedes Geheimnis. Und sie lädt einen ein in ihre Welt und kann diese so gut schildern, dass man das Gefühl hat, man sei Teil derselben – auch in einem 30 Minuten Interview. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir beide Frauen im selben Alter sind, beide dieselben Bedenken haben – aber kurz ist es so, als würden wir uns ewig kennen. “Frauenfreundschaften sind essentiell. Sie haben mich persönlich und beruflich weitergebracht.” Van Etten hält kurz inne “Manchmal haben sie mich auch gerettet.”
Es sind nicht nur die vielen Projekte und persönlichen Umstellungen, die Van Ettens Fans vier Jahre lang auf ihr fünftes Studioalbum warten liessen. Sie brauchte auch einfach mal eine Pause von der Gitarre – bisher war diese allerdings zentral für Van Ettens Songwriting. “Ich habe dann experimentiert und auch mal zur Elektronik gegriffen. Davon zeugt die neue Platte auch.” beschreibt sie ihren neuen Wurf. Neben den Synthies, die man nun häufiger hört, ist sich Van Etten aber sehr treu geblieben: Sie lässt ihre ZuhörerInnen ganz nah ran. Sie offenbart sich und ihre Gedanken, den Schmerz der Welt, die Liebe ihres Lebens und die Ängste in der Nacht.
Einen Burn-Out hatte van Etten übrigens nie. Auch nicht das Gefühl, dass ihr alles zu viel wird. “Vielleicht liegt das daran, dass ich mit meiner Arbeit ja auch mein Innenleben verarbeite. Das ist ja im Prinzip auch eine Art Abschalten oder Katharsis und das tut der Seele gut.” Hat Sharon Van Etten denn noch irgendetwas auf ihrer To Do Liste, was sie neben dem Schreiben und Performen von Musik, dem Vertonen von Filmszenen, dem Schauspielern, Studieren und Muttersein noch machen möchte? “Ich wäre gerne Comedian.” sagt sie ernst. Und erzählt, dass sie glaubt ein super Standup-Comedian zu sein. Sie habe auch schon angefangen zu üben. Sie habe gelernt: Man muss bereit sein, sein Innerstes zu offenbaren. Dann kann man auch ein guter Comedian sein. Wenn das jemand kann, dann Sharon Van Etten.