© Foto: Birgit Kaulfuss / Cover-Artwork: Pfadfinderei
“Ich bin kein Mann der großen Worte” – so schreibt es Sebastian Szary, seinerseits ein halber Teil Modeselektor und ein Drittel Moderat in dem Grußwort seines eigenen Fotobands Backstage Tristesse. Anders kam es uns schon im April 2016 vor, als wir ihn und Sascha Ring in Wiesbaden interviewten. Damals ist eben an diesem Tag die dritte Moderat Platte III erschienen. Als wäre die III ein Omen sitzen wir fast genau drei Jahre später in den heiligen Hallen von Monkeytown Records. Zwar ohne Sascha Ring (der ja fast zeitgleich als Apparat wieder neue Musik veröffentlicht), dafür mit neuer Modeselektor-Platte. WHO ELSE heißt das Schmuckstück und erscheint heute, am 22.02.2019.
WHO ELSE? Auf welche Frage ist das die Gegenfrage?
Szary: Ja, die große Frage war überhaupt, wie die Platten heißen soll. Ey, wir haben so viele verschiedene Titel-Ideen gehabt. Manche gingen auch in die politische Richtung. Sie sollte eigentlich »One United Power« heißen, was ja ein großartiger Titel ist. Viele haben aber einfach eine andere Assoziation dazu. Zum Beispiel zu einer Sprüher-Crew. Wir haben uns also weiter gefragt. WHO ESLE war einfach die perfekte Antwort darauf. Da waren sich alle einig. Siehste. Manche Sachen sind auch so unausgesprochen. Einfach so: Sieht jut aus. Geiler Name. Ist der Albumtitel. Wir haben’s. Man kann da jetzt alles reinlegen. Aber vor allem: Wir haben uns viele Jahre in ganz anderen Bereichen bewegt, jetzt sind wir zurück. Einer muss es ja jetzt mal wieder machen.
Jetzt ist euer letztes Album mit Modeselektor doch schon etwas her. Wie war es nach der ganzen Moderat Geschichte wieder zu Zweit zu arbeiten?
Szary: Die Arbeit mit Moderat ist mit drei Leuten. Das Diskussionpotenzial ist deswegen viel höher. Wir konnten sehr schnell Entscheidungen treffen bei Modeselektor. Wir haben uns gewissermaßen ein bisschen darauf vorbereitet. Zwei Jahre gesammelt, ein halbes Jahr Angst gehabt und dann in nur einem Monat zusammen geschraubt. Das war ein guter Workflow. Ansonsten haben wir technisch gesehen unsere Software gewechselt. Wir haben mit einem Programm das Album produziert, mit dem wir vorher noch nie gearbeitet haben. Wir haben uns außerdem neue Speaker geholt. Das sind alles materielle Sachen, wo sich erstmal jeder denkt: oh, schön am prokrastinieren, die Modeselektoren!
Das ist aber nen Riesen Ding, ja?
Szary: Ey ja! Mit den letzten Speakern haben wir das dritte Moderat Album gemacht. Wir dachten nur: Ey, wie geht denn das überhaupt? Die haben so scheiße geklungen, haha!
Eigene Labels, das Kuratieren von Bühnen und Alben, eigene DJ-Sets und zwei Bands: Wie schafft ihr das alles?
Szary: Erstmal zu den beiden Bands. Es kann immer nur eine Band in dem Moment geben. Die andere Band hat ja 2017 im September die Arbeit erstmal niedergelegt. Moderat ruht erstmal. Da weiß man auch nicht wann und wie wieder was kommt. Ich kann die Frage wirklich nicht beantworten.
Ich werde sie Dir lieber gar nicht erst stellen.
Szary: Die Label-Arbeit nimmt nen großen Teil ein, aber wir haben ein starkes Team, das uns hilft. Die kreative A&R-Entscheidung liegt aber bei uns. Die ist auch ziemlich schnell getroffen. Der Funke muss sofort überspringen. Betonung: LabelS. Ende 2015 haben wir 50 Weapons beerdigt, weil einfach auch die Zeit reif war, dieses Kapitel zu schließen. Dann haben wir lange überlegt, wie wir weitermachen. Monkeytown ist ein Fels in der Brandung. Wir hatten trotzdem immer wieder die Idee ein kleines, feines Label an den Start zu bringen. Ausrichtung war klar. Es geht um ein Club-Label. Clubmusik, vor allem Techno. Da liegt ja unsere Stärke. Wir haben uns noch ein bisschen Zeit gelassen und dann kam irgendwann die Idee ein altes Label, was ich Anfang der 90er ins Leben gerufen hatte, namens Seilscheibenpfeiler, wieder zu beleben.
Wie kam diese Idee auf?
Szary: Der Seilscheibenpfeiler ist ein industrielles Bauwerk in meinem Heimatort am Rande von Berlin. In Rudersdorf. Da ist die Baustoffindustrie, da gibt es einen großen Tagebau. Wo Kalkstein gebrochen wird. Für Zement. Dort fanden damals von 1993 bis 1994 unsere ersten Partys statt. Erst illegal, dann offiziell. Da haben wir dann auch eben das erste Label gegründet: Seilscheibenpfeiler. Vor einiger Zeit kam die Idee von Gernot: ey wat is eigentlich mit Seilscheibenfeiler. Lass das doch einfach wieder beleben. Wir haben dann die erste Platte noch mal raus gebracht. Und jetzt läufts ohne große Pläne, wenn was reinkommt, bringen wir es raus.
Die Berlin-Verwurzelung ist natürlich bei allem was ihr tut sehr stark zu spüren – trotzdem seid ihr die letzten Jahre viel durch die Welt getourt. Wie wichtig ist euch der Austausch mit internationalen Acts?
Szary: Der Austausch ist ziemlich wichtig. Wir denken natürlich ständig darüber nach, mit wem wir gerne zusammenarbeiten würden. Da hat man dann so Namen auf dem Tisch. Dann kommt aber die Frage, was realisierbar ist. Auch die Frage ob wir uns mehr junge Künstler suchen sollten oder lieber auf die zurückgreifen, die wir schon haben. Aufgrund von Scrollverhalten bei diversen Apps fallen uns dann so Leute auf. Gernot hat dann zum Beispiel Tommy Cash angeschrieben. Der Typ ist total irre und wir dachten das könnte passen. Wir haben ihn angeschrieben und er hat prompt geantwortet.
Wie kam die Zusammenarbeit mit Flohio zustande?
Szary: Eigentlich wollten wir Skepta fragen. Wir hatten dann unsere UK-Agentin, die auch Skepta verbucht, gefragt. Die meinte nur so »das ist ja ne tolle Idee. Ich krieg den schon selber nicht an die Leitung. Aber ich hab da jemand. Die ist ganz jung und frisch, die ist super.« Das war dann Flohio.
Wie habt ihr das ganze verbunden? Also euren Track und ihre Art zu rappen?
Szary: Wealth ist ja eigentlich schon ein Grime-Track. Die Elemente der Genres sind ja gewandert. Es ist nicht so, dass sich das klar abtrennt. Das ist ein fließender Übergang. Du hast auch House-Elemente im Grime. Es ist eben total durcheinander gewürfelt. Es definiert sich meistens über’s Tempo. Auf jeden Fall war dann dieser 140pm Track, dieses Grundgerüst da, was nur aus getuneten Toms bestand. Daraus hat sich dann der Track entwickelt. Dann haben wir das hier mit ihr aufgenommen. Und sie hat einfach unglaublich schnell getoastet. Unglaublich viel gerappt. Es hat wirklich Spaß gemacht mit ihr zu arbeiten.
Sind die Möglichkeiten, Musik zu produzieren grenzenlos? Und könnte das zum Problem werden?
Szary: Was nämlich passiert, wenn die Möglichkeiten grenzlos sind: Undone – cmd+z. Als ich angefangen habe, gab es nur einen Undo-Schritt. Es ist unvorstellbar. Auch das Angebot dieser ganzen Software-Paketen und Synthesizern. Eigentlich ein ziemlicher Overdoze. Der Reiz ist natürlich immer da, neues auszuprobieren. Ganz selten passiert es aber, dass es wirklich ein nachhaltiges entscheidendes Ding ist. Am Ende greift man doch immer wieder auf Schere und Stift zurück.
Ihr habt einen hohen Anspruch an eure Live-Umsetzung – was erwartet den Konzertbesucher bei der anstehenden Tour?
Szary: Wir sehen das immer als Theater. Wir können uns da nicht einfach mit nem Tisch hinstellen und dann peformen. Wir arbeiten ja mit der Pfandfinderei, unsere langjährigen Kumpels und Partner. Da wird gerade kräftig entwickelt. Also den Besucher erwartet auf jeden Fall eine audiovisuelle Show. Ohne Laser aber mit viel Licht. Passt alles zum restlichen Erscheinungsbild.
Und ohne Affenkostüme.
Szary: Haha, ja ohne Affenkostüme! Der Affe findet schon noch statt aber er ist auch genauso erwachsen geworden. Der hat sich auch verändert. Er ist zeitgemäßer, abstrakter geworden. Auch in einer Krypto-Sprache – gibt also vielleicht auch ein paar Rätsel in der Show. WHO ELSE.
Modeselektor – WHO ELSE
VÖ: 22. Februar 2019, Monkeytown Records
www.modeselektor.com
www.instagram.com/modeselektor_berlin
Modeselektor Tour:
02.03. Alte Kongresshalle, München
07.03. Halle am Berghain, Berlin (sold out)
11.03. Halle am Berghain, Berlin (sold out)