Foto-© Michael Buisha
Das dritte Album der New Yorker Band Big Thief ist veröffentlich: Es ist gewohnt intensiv, gewohnt schön und changiert zwischen Bitterem und Süßem. Der Albumtitel U.F.O.F. verweist auf Extraterestrisches – mit Frontfrau Adrianne Lenker sprechen wir über das Fremde, das uns so nah ist. Eine Gesellschaftskritik.
Am Ende eines Gesprächs mit Adrianne Lenker weiß man nicht, auf welcher Seite sie denn nun steht: Auf der des Lichts oder der Dunkelheit? Schließt sie Wunden, oder öffnet sie Selbige? Alles nicht so eindeutig – allerdings hat Lenker auch nie behauptet, sie wäre gekommen um klare Antworten zu geben. Weder in ihren Songs, noch in ihren Interviews.
Lenker und ihre Band machen Musik, weil sie nicht anders können: “In meinen Stücken steckt einfach alles, was mich beschäftigt. Alles, was mich verängstigt, erfreut, deprimiert,” erklärt sie. Sie spricht leise, als würde sie Schlafende im Nebenzimmer nicht wecken wollen. “Uns ist egal, ob wir damit berühmt werden oder nicht. Wir wollen die Musik machen, die wir selbst lieben.” Mit Songs wie Masterpiece, Shark Smile oder Paul gab es dennoch Hits – so kann man einige Stücke der ersten beiden Platten durchaus nennen. Ersteres ist ein E-Gitarren-Brett, letztere eher süße Harmonien, alles sind es Songs, die einen aber vor allem mit eingängigen Refrains bestechen. Ganz so einfach machen es uns Big Thief auf ihrem dritten Studioalbum allerdings nicht. Die erste Auskopplung und Plattenopener Contact erschüttert einen erstmal nämlich in aller Tiefe. Der Rhythmus schleppt sich von schwerfälligem Gitarrenlick zum nächsten, wie es der frühe Cobain nicht besser hätte machen können, Lenker haucht darauf zerbrechliche Lyrics wie “I wanna see / To feel my body sinking”, bis alles einstürzt und man nur noch Kreischen hört. Eines, dass sich allerdings erstaunlich gut ins Song-Ganze einfügt. “Das war Zufall. Wir haben das nicht geplant. Ich war im Studio und habe die Lyrics gesungen. Zeilen, die sich mit meinen Depressionen beschäftigen. Und dann brachen alle Dämme und ich habe geschrieen. Das war heftig!” erzählt sie. Heftig ist es auch, ihr dabei zuzuhören.
Auf U.F.O.F. gibt es sie aber dennoch auch: Die lieblicheren Popnummern wie Cattails oder Orange, die eher mit akustischer Gitarre und wenigen Akkorden daherkommen. In Betsy überrascht Lenker wiederum mit einer Stimme, die so gar nicht nach ihr klingt “Auch das: Zufall. Es hat sich richtig angefühlt, das so zu machen.” Und Terminal Paradise mutet als entrückter Walzer an. Als Walzer der Traurigen und Flüsternden.
Die Grundstimmung der neuen Big Thief Platte ist melancholisch, aber nicht hoffnungslos. Immerhin steht das F im Albumtitel für Friend und Lenker erklärt, dass es darum gehen soll, sich das Unbekannte zu eigen zu machen, Beziehungen aufzubauen, zu kommunizieren. Das zumindest ist die eine Seite. “Es geht auch darum, sich mit manchen Dingen zu arrangieren, die sind wie sie sind,” erklärt die Musikerin sanft. Resignation und Hoffnung – offensichtlich zwei Seiten einer Medaille. Lenker zeigt sich aber auch kämpferisch: “Die Welt ist ein schrecklicher Ort, wir machen sie zu einem schrecklichen Ort. Manchmal denke ich: Was ist, wenn die Erde so schrecklich ist, dass nicht einmal Aliens hier landen wollen? Geschweige denn dass sie uns treffen möchten, weil wir so grausam zueinander und zur Welt sind?!” Ein schonungsloser Gedanke. “Ja, aber wir sollten daran arbeiten, dass wir Grenzen überwinden. Das Alien sind wir ja auch selbst. Jeder hat eine unbekannte Seite in sich. Aber der Fremde, das kann auch unser Nachbar sein, der Ausländer, der beste Freund, die Eltern.” Lenker hält mit ihrem Monolog einen leidenschaftlichen Appell wie er aktueller nicht sein könnte: Grenzen bedeuten immer auch ein grundlegendes Ablehnen des anderen. Ziehen wir Grenzen, lassen wir Fremde entstehen und verantworten sie. Kreieren wir nicht also auch das Alien, in dem wir nicht miteinander sprechen, nicht die andere Seite sehen wollen sondern nur in der eigenen Blase bleiben, wo es einfach und eindeutig, aber zuweilen auch einsam und exzentrisch sein kann?
“Wir müssen miteinander reden. Wir müssen Zugang zueinander schaffen. Jeder von uns hat Verantwortung,” sagt sie abschließend. Der aktuelle Zustand der Welt hat Lenker tief aufgewühlt, ihr eigener seelischer Zustand spiegelt sich auch darin. Sie findet versöhnliche Worte zum Ende unseres Gesprächs: “Wenn wir zusammen arbeiten, werden vielleicht irgendwann auch Aliens uns gerne besuchen kommen,” sie lacht kurz.
Big Thief Tour:
03.06. Lido, Berlin – ausverkauft