The kids are just gettin‘ started
They’ve only just learned how to howl
And most of them throw in the towel
By the time that they turn twenty-three
If you’ve got the taste for transcendence
Than translate your love into action
And participate in a fight now
For a creed you can truly believe
(Ezra Furman – Evening Prayer aka Justice)
Twelve Nudes, das bereits achte Studioalbum des US-amerikanischen Musikers Ezra Furman, gibt dem Publikum gleich zu Beginn ein Rätsel auf: zwölf Mal Nacktheit, aber nur elf Songs? Wer auch immer Nummer Zwölf sein mag: der Titel, inspiriert von der kanadischen Essayistin Anne Carson, gibt den Ton an. In elf ungeschliffen rohen Aufnahmen legt der 32-Jährige die Hüllen aufwendiger Produktion und abstrakter Lyrik ab, präsentiert sich nackt, verletzlich – und vor allem wütend.
Denn Twelve Nudes ist nicht nur sein bisher punkigstes, sondern auch politischstes Album. Amerika im Jahr 2019, es kann einen an den Rand der Verzweiflung treiben. Den Opener Calm Down aka I Should Not Be Alone heult Furman folgerichtig nur so hinunter, begleitet von den an die Rolling Stones erinnernden Whoop Woos seiner Band. Nur nicht in Panik verfallen, sich beruhigen, also calm down? Ein frommer Wunsch, doch es bleibt keine Zeit. Nach bündigen zwei Minuten beginnt mit den stampfenden Beats und ausholenden Gitarren von Evening Prayer aka Justice eine Protesthymne, die all den Zorn kanalisiert. „We music fans go to shows for transcendence; it’s like being called to prayer. But as Abraham Herschel said, ‘Prayer is meaningless unless it is subversive’” ließ Furman schon im Juli unter anderem bei Consequence of Sound anlässlich der Single-Auskopplung verlauten. Und so lässt er seine Stimme den amerikanischen Canyon der Verzweiflung entlangtänzeln, nah am Absturz und Zerbersten, nur um sie für den Refrain mitsamt seiner Hörer/innen wieder einzufangen.
Zwischen die stets unpolierten Gitarrenriffs schleichen sich in Transition From Nowhere To Nowhere die Flötenklänge eines Mellotrons. Während die musikalische Zeitreise hier den frühen David Bowie erreicht, erklärt Furman süßlich, man möge ihn vom metaphorischen Galgen losschneiden, noch seien “too many demons to fight off“. Er und seine Mitstreiter, die hier auf ihren früheren Namen The Visions verzichten, beherrschen diesen Kampf vorzüglich. Ob schneller, fetziger Punkrock wie bei Rated R Crusaders oder der unermüdlich anrollende Donner in Trauma – wuchtig untermalt das Quartett Furmans wütende Anklage: “What makes a girl start a fire in her hall / leave a lipstick scrawl / on the bathroom mirror?”
Es ist das ungemütliche gesellschaftliche Klima, besungen in Thermometer, das Furman dazu nötigt, das Publikum in I Wanna Be Your Girlfriend vorsichtig fragen zu müssen: “Würdet ihr es denn so merkwürdig finden, wenn ich meinen Vornamen zu Esme ändere?” Die Themen Gender und Sexualität prägten bereits den 2018 erschienenen Vorgänger Transangelic Escape und werden in der von Surf-Gitarren getragenen Doo-Whoop-Ballade fortgeführt. Das Bild allgemeiner Empörung, das Furman auf den Aufnahmen zeichnet, gewinnt hier durch den verletzlichen Ausdruck unmittelbarer Betroffenheit nochmals an Schärfe. Sein Jaulen und Schreien, das in einem unumwundenen “Damn!” endet, macht die Thematik umso zugänglicher.
Der offene, skizzenhafte Charakter der Songs, die selten länger als drei Minuten andauern, droht sich jedoch gegen Ende des Albums musikalisch zu erschöpfen. Während ausgerechnet bei My Teeth Hurt der Biss trotz kraftstrotzender Drums nachlässt, müht sich die zu früh endende Abrechnung In America, das Album abzurunden. Auch wenn es gerne mehr sein dürfte, “put it all in a two-minute pop song / A really-mean-it-a-lot song for America” ist keine leichte Aufgabe. Was bleibt also zum Abschluss? Ein dynamisch treibender Schlussakkord, denn bei all dem Mitleid für den Teufel – What Can You Do But Rock’n’Roll?
Ezra Furman – Twelve Nudes
VÖ 30. August 2019, Bella Union
www.ezrafurman.com
www.facebook.com/ezrafurmanmusic
Ezra Furman Tour:
16.11. Luxor, Köln
17.11. Festsaal Kreuzberg, Berlin
23.11. Molotow, Hamburg