There’s nothing to lean on
There’s nothing to heal from
I was thinking of building a church in a third world country
To hone my soul
I was thinking I would document it all
On Twitter and Instagram
And talk about it constantly.
I was thinking of becoming really rather cultured
And selling my TV to make more room for books
That I’ll never start or finish
but might get me laid.
(LIFE – Thoughts)
Der Algorithmus populärer Internet-Suchmaschinen ist Kingston upon Hull, Heimatstadt der britischen Postpunk-Band LIFE, alles andere als wohlgesonnen. So findet sich in den Suchvorschlägen nicht nur die Ergänzung „worst place to live“; deutschsprachige NutzerInnen werden darüber hinaus auf eine kürzlich erschienene ZEIT-Reportage verwiesen: „Wer den Brexit verstehen will, muss in den Norden Englands fahren.“ Vielleicht hat sich das 2013 gegründete Quartett deshalb gegen eine weboptimierte Bezeichnung und für den Namen LIFE entschieden, der sich auch als kompromissloses Statement gegen vorschnelle Etiketten für die Küstenstadt und ihre BewohnerInnen lesen lässt.
Ebenso konsequent präsentiert sich die Band nun auf ihrem zweiten Album A Picture Of Good Health. Drehten sich die Songtexte auf dem Vorgänger Popular Music noch um Donald Trump, Waffenbesitz oder die Sparmaßnahmen der britischen Regierung, wenden die MusikerInnen sich eineinhalb Tourjahre und ein Glastonbury-Debüt später ihrem Innenleben zu. Bereits der Einstieg Good Health setzt den ersten Themenstrang des Albums: über drängenden Basslinien und Drums klagt Sänger Mez Sanders-Green voller Bitterkeit über die Leere nach dem Verlassenwerden: „And it feels like your life must mean something / But it points to nothing“. Ähnlich resigniert präsentiert sich Never Love Again, in dem sein Bruder und Co-Texter Mick zu einem höhnischen wie eingängigen Backgroundchor die Gitarre kreischen lässt. Das stets hohe Tempo nimmt die Band zwischendurch nur in Bum Hour heraus. Eindrucksvoll beweisen die MusikerInnen hier ihre Fähigkeit, die schneidenden Lyrics mit präzisen Dynamikwechseln zu unterstreichen. So kontrastiert Mez’ gefährliches Flüstern „I just want to lie and sleep in, man” den krachenden Refrain „And all my mates are out of town this is the bum hour calling”.
Was diese Texte dabei von der endlosen Masse zu (Pop-)Musik verarbeiteten Herz-schmerzens abhebt, ist die schonungslose Offenheit, mit der die Band ihr Innerstes nach Außen kehrt. In Half Pint Fatherhood bricht Mez mit erdrückenden Rollenbildern und singt über seine mentale Gradwanderung als alleinerziehender Vater: “I could really be a father / Supping on the beer / Lips dry / Eyes fried / Shaking at the fear”. Die von düsteren Postpunk-Riffs untermalte Verwundbarkeit erinnert dabei zu Recht an die mittlerweile Mercury Prize-nominierten IDLES, die aus ihrer Verletzlichkeit heraus ähnlich kraftvoll toxische Maskulinität und Fremdenfeindlichkeit thematisieren.
Mit den Freunden und Tourkollegen teilen LIFE auch die aus der Selbstbetrachtung ergebende Gesellschaftskritik. Ob polemisch wie in Pissants (“I love / The backroom labels / I love / Your cocaine tables“) oder in It’s A Con über Konsumverhalten spöttelnd, wo sich die Band nicht zu schade für aus stereotypen Werbeslogans zusammengesetzte Strophen ist („New blend / Low salt / Exotic“) – zuverlässig treibt das minimalistische, aber feine Grundgerüst die HörerInnen von Song zu Song. Einen textlichen wie musikalischen Höhepunkt setzt dabei Thoughts mit pointierten Zeilen über die Leere hinter dem Selbstdarstellungswahn in sozialen Netzwerken. Das lyrische Ich urteilt hier nicht von oben herab, sondern legt seine eigene Selbstenttäuschung offen: freimütig gibt es zu, es werde auch die neuerworbenen Bücher niemals lesen – hofft aber dennoch, durch den Anblick wenigstens sein Sexleben aufzubessern. Nach einem gekonnten rhythmischen Wechsel gipfelt der Song schließlich in einer stumpfen Aufzählung menschlicher Grundbedürfnisse: „I was thinking about food / I was thinking about sex / I was thinking abut booze / I was thinking about what’s left“. Denn bei allen Versuchen, sie zu übertünchen, offenbart der Mensch nur noch deutlicher sein inneres Tier.
Die dreizehn präzisen, aber nie zu kontrolliert wirkenden Songs schaffen damit einen Balanceakt zwischen Beichte und zynischer Beobachtung. Die Band präsentiert sich musikalisch wie inhaltlich gereifter, ohne dabei den Bezug zu ihren Wurzeln zu verlieren. Wer also A Picture Of Good Health hört, wird vielleicht nicht den Brexit verstehen – will aber dafür umso mehr nach Hull fahren, um LIFE zu sehen.
LIFE – A Picture Of Good Health
VÖ 20. September 2019, Afghan Moon
www.facebook.com/lifebanduk
www.lifeband.co.uk
LIFE Tour:
29.09. MTC, Köln
30.09. Molotow, Hamburg
05.10. Musik & Frieden, Berlin
08.10. Kranhalle, München