Foto-© Sebastian Madej
Ein paar Stunden vor Release-Konzert und Veröffentlichung der neuen Platte Junkies und Scientologen haben wir uns mit Thees Uhlmann zusammengesetzt und mit ihm über seine musikalischen Wurzeln, seine Heimat Hemmoor und – wie sollte es auch anders sein – das neue Album geschnackt. Gefühlt viel zu lange war Uhlmann von der Bildfläche verschwunden, jetzt ist er endlich wieder da: “Rock’n’Roll ist eine Kunstform und das Schöne und Interessante ist jetzt, was die Leute damit machen.”
Bevor wir auf dein neues Album Junkies und Scientologen zu sprechen kommen, möchte ich gerne näher auf deine musikalischen Wurzeln eingehen. Wann gab es bei dir den ersten Kontakt mit Musik?
Mein aller erster Kontakt war 1987, die Uhlmann-Familie ist nach Amerika geflogen. Meine Großtante hat in West Chester, in der Nähe von Philadelphia gewohnt. Wir sind abends mit unseren Großcousinen ins Kino gegangen, es lief der Film Rhea M – Es begann ohne Warnung. Der Film basiert auf einer Kurzgeschichte von Stephen King, in der Automobile sich selbstständig machen. Dazu hat AC/DC den Soundtrack gemacht, der Song war Who Made Who und ich habe das im Kino gehört und konnte es nicht glauben. Ich weiß noch, dass es ganz laut war und ich habe meinen Bruder gefragt “Was ist das?” und er hat gesagt “Ich glaube, das ist AC/DC und Carsten Scholz hat eine Platte davon.” Und das war mein Erweckungs-Moment. Danach kamen dann die Scorpions und Iron Maiden und sowas. Also ich muss 12 oder 13 Jahre alt gewesen sein.
Aufgewachsen bist du in Hemmoor, einer kleinen Stadt in Niedersachsen. Gab es für dich dort überhaupt die Möglichkeit dein Interesse an Musik in irgendeiner Form auszuleben? Was konnte man dort als Jugendlicher tun? Ich zum Beispiel komme aus Husum…
Ey, komm – da gab’s Turbostaat und den Speicher!
Das ist korrekt, aber wenn man mal auf große, also so richtig große Konzerte gehen wollte…
Ja, aber das reicht ja, ich meine: Der Speicher und Turbostaat – das ist die perfekte Startrampe in ein reiches und schönes Leben. Und genau das gab’s bei uns nicht. Es gab kein Jugendzentrum, es gab einfach nichts. Wir haben uns das alles selbst erfunden. Weil wir damals keine Subkulturen hatten, haben wir uns alle für Heavy Metal interessiert. Es gab dann in Freiburg einen Heavy Metal-Abend im Jugendzentrum Freiburg ist aber 45 km weit weg – damals eine utopisch lange Reise. Mein Vater hat uns dann gebracht, Stemmi und mich. Ich glaube nicht, dass das eine Anlage war, ich glaube das war ein enorm großer Kassettenrecorder von dem dann Heavy Metal-Tapes liefen. Das kann aber auch Geschichtsklitterung sein, vielleicht waren es auch Platten. Da standen wir dann auf jeden Fall zusammen rum – so Heavy Metal verkleidet und wir haben einfach zusammen gemosht. Ich glaube das sah wahnsinnig süß aus, wir haben auch Stagediving gespielt. Das war ein toller Abend. Ich weiß noch, der Abend war zu Ende und um 23 Uhr wurden wir am Ortsschild wieder abgeholt. Stemmi und ich hatten so viel geheadbangt, dass wir den Kopf nicht mehr oben halten konnten. Der Rest sah dann so aus: Selber Bands gründen, also sich wirklich selbst erfinden. Und für mich war auch die evangelische Jugend ganz wichtig. Bei uns gab es keinen Speicher und kein Turbostaat, bei uns haben sich in der evangelischen Jugend die Leute getroffen, die sich für Musik interessiert haben. Das war wirklich ein ganz komisches Gebräu: Von Leonard Cohen bis zu Death Metal. Es gab also überhaupt kein Problem als Death Metal-hörender Typ in der evangelischen Jugend mitzumachen. Das finde ich im Nachhinein wahnsinnig reizend.
Und wann kam der Entschluss, dass du dort raus musst?
Ich bin sehr lange in Hemmoor geblieben, bis zum Ende meines Zivildienstes. Das waren damals 18 Monate. Ich bin dann im Endeffekt erst mit 21Jahren abgehauen. Dann bin ich nach Köln zum Studieren gegangen. Das war für mich ganz klar: ich wollte dahin gehen, wo Konzerte sind, ich wollte dahin, wo eine Punk-Szene ist. Ich habe damals mit Quest For Rescue aus Leverkusen ein Konzert gespielt. Nach dem Konzert bin ich mit denen nach Leverkusen gefahren und am nächsten Tag habe ich angefangen zu studieren, ich habe dann in extrem kurzer Zeit solche geilen Typen wie Linus Volkmann kennengelernt. Der ist auch gerade nach Köln gekommen und ein Freund hat uns zusammengeführt. Der meinte: “Irgendwie müsst ihr euch kennenlernen, ihr seid beide so ein bisschen komisch. Ihr seid zwar in der Punk-Szene, aber findet Hardcore nicht so geil, weil euch das zu Macho-mäßig ist.” Und das ist natürlich eine schöne Geschichte, auch das wir immer noch befreundet sind und Rainer auf die Idee gekommen ist, dass jetzt vielleicht genau der richtige Zeitpunkt gekommen ist, dass Linus unsere Band-Info schreibt. Das es jetzt so gekommen ist, bedeutet mir sehr viel.
Wie ist dein jetziges Verhältnis zu deiner Heimat? Würdest du wieder zurückkehren und die Großstadt verlassen?
Also wenn das gehen würde, würde ich in der nächsten Zeit umziehen. Ich würde das auf jeden Fall machen. Also ich habe keinen Bock nach Brandenburg zu ziehen, weil ich keinen Bock habe den Leuten dort auf die Nerven zu gehen. Am liebsten hätte ich zwei Wohnorte: Einen auf’m Land und das muss auch gar nicht pittoresk sein, ich würde einfach gerne wieder in Hemmoor wohnen. So komisch sich das auch anhört. Manchmal kommt mir das so vor, als wäre die Stadt für junge Menschen oder für ältere Menschen, die ihre Rente genießen. Aber jetzt gerade mit 45 Jahren scheint es einfach zu viel für mich zu sein, es ist zu groß für mich. Meine Tochter macht sich auch darüber lustig. Aber wenn ich zum Beispiel jemanden sehe, der im Gesicht tätowiert ist und 23 Jahre alt ist und es nicht so eine geile Knast-Tätowierung ist, sondern so eine “Ich habe ästhetische Streifen im Gesicht” ist, dann haut mich das so um. Also erstmal so ganz spießermäßig: Man, was machst du denn?! Aber auch das expressive: “Ich bin so extrem, ich muss mich im Gesicht tätowieren.”. Ich finde das so extrem und ich empfinde es auch als extrem, mir das angucken zu “müssen”. Das ist mir ein bisschen viel zur Zeit. Oder wie meine Tochter sagen würde: “Papa, du hast einfach immer nur schlechte Laune.”
Wenn wir jetzt mal zu deinem aktuellen Album kommen. Vor deinem Album hattest du bereits eine halbfertige Platte geschrieben. Warum hat es diese Platte nicht in den – wie Dieter Bohlen sagen würde – Recall geschafft?
Oh nein, jetzt gebe ich seit zwanzig Jahren Interviews und zum ersten Mal wird Dieter Bohlen zitiert. Dafür gibt es einen Straf-Camp David Pullover auf deine Independent-Weste, das schwöre ich dir. (lacht)
Ja, warum hat es nicht gereicht?
Wir reden ja Indie-mäßig miteinander, oder?
Klar!
Es waren einfach scheiß Texte. Das waren einfach blöde Texte. Das ist glaube ich die letzte Platte, auf der Thees Uhlmann steht. Bei der nächsten Platte muss – es sei denn, es ändert sich wieder was – Thees Uhlmann und Band draufstehen, weil es einfach wirklich eine Band-Arbeit ist. Ich höre immer gerne auf Leute, die mich kennen, die mich mögen und deren Platten-Sammlung ich schätze – so simpel wie das ist, einfach deren Geschmack ich schätze. Und es haben mir Leute gesagt “Versuch doch mal wieder so Tomte-Texte zu schreiben.” und ich habe denen vertraut. Ist auch nicht schlimm, dass ich denen vertraut habe – ich habe solche Texte geschrieben. Und die haben überhaupt nicht gepasst, weil dieser Thees Uhlmann, der 26 Jahre ist, der total angezündet ist, der kein Geld hat, keine Krankenversicherung, der unbedingt seinen Traum leben möchte und aus diesem Gummiband der Verzweiflung des schaffen Wollens geballert hat, den gibt es einfach nicht mehr. Auf doof gesagt: Ich habe 140.000 Sophia-Bücher verkauft, ich stelle mich jetzt nicht mehr hin und sag “Ich weiß nicht, ob das gut ist, was ich mache”. Mir ist das egal, ich bin nicht talentiert, ich bin kein Genie, ich bin einfach Arbeiter, aber offensichtlich finden es Leute gut, was ich mache. Ich zweifle da nicht mehr dran. Ich mache es gerne und Leute finden das geil. Und deswegen gibt es diesen 26-jährigen Thees nicht mehr, der ist tot. Sich versuchen textlich in die Lage zu versetzen, ist künstlich. Das gefällt mir nicht, das bin nicht ich und deswegen war das blöd. Vielleicht wären andere Bands damit zufrieden, vielleicht wäre das toll, wenn jemand solche Texte schreiben würde, aber ich bin nicht der Typ dafür. Mir war es einfach peinlich, mich selber zu lesen, darum habe ich das eingestampft und habe nochmal von vorne angefangen. Das ist der Hauptgrund. Meine Psyche, meine Seele hat keine Korrespondenz in den Texten gefunden, die ich geschrieben habe.
Gut sechs Jahre ist es her, dass du deine letzte Platte veröffentlicht hast, eine lange Zeit. Würdest du sagen, dass irgendwas in der Zeit mit dir passiert ist, hast du dich in irgendeiner Weise entwickelt? Musikalisch? Vielleicht sogar persönlich?
Die billige Antwort ist, wenn ich jetzt sagen würde: Das Leben ist ja eh immer im Fluss. Das stimmt natürlich auch. Aber ich wurde vor zehn Jahren auch schon gefragt, ob mich die Geburt meiner Tochter kreativ beeinflusst hat. Da habe ich gesagt, es gibt in meiner Biographie keinen Bruch – außer, dass meine Biographie ein totaler Trümmerhaufen ist. Es waren zwei geteilte Sachen, die ich in meinen Kopf super easy zusammenfügen kann: Saufen bis um halb drei und morgens um sieben im Nieselregen auf dem Spielplatz stehen. Sei hart zu dir selbst und dann kannst du auch hart zu anderen sein. Die andere Sache ist dann doch: Ich fühle mich immer noch gleich, aber natürlich gibt es da die Außenwirkung der veränderten Umstände, wie Brexit, Trump und AFD – das treibt mich einfach rum. Das treibt mich in den absoluten Wahnsinn. Das ist in mir drin, das ungebrochene Unverständnis gegenüber der Welt: Seid ihr alle verrückt geworden? Also nicht alle, aber 30-40 %. Das ist schon heftig. Das ist auf jeden Fall eine neue Facette in meinem Leben, die ich sehr genieße und deshalb habe ich eine ganz gute Platte geschrieben. Dann wird auch oft gefragt und ich denke auch selber darüber nach, ob es eine Midlife-Crisis ist. Männer über 40, die plötzlich anders werden. Aber ich empfinde keine Midlife-Crisis, weil ich auf der anderen Seite auch einfach sagen muss, dass ich eine Schönheit für mein Leben empfinde, das ist eben auch erst mit 41 Jahren gekommen. Es ist egal wie es mir geht, weil mich das überhaupt nicht mehr interessiert. Schlechte Laune, gute Laune, St. Pauli gewinnt, St. Pauli verliert, Streit hier, Streit da, da löst sich was auf, da fängt was Neues an. Digga, du bist jetzt 45, zumindest hast du gerafft, wer du jetzt bist und das gibt mir ein wahnsinniges Gefühl der Ruhe. Und deshalb glaube ich, dass es überhaupt nichts mit dem älter werden oder einer Midlife-Crisis zu tun hat. Ehrlich gesagt: Wir haben die ganze Punk-Nummer mit Nirvana und so durchgezogen, da kann man sich doch mal ein bisschen aufregen, dass die Welt jetzt gerade rechtskonservativer wird – einfach so. Gerechtfertigter Zorn.
Das habe ich auch gelesen bzw. auch gehört z.B. im Podcast Hotel Matze, dass die Politik dich auch ein bisschen angeregt hat zu schreiben…
Jeeein…obwohl, ja du hast Recht.
Versuchst du denn dann deinen Hörern – also ich will jetzt nicht sagen einen politischen Einfluss zu geben, aber vielleicht eine gewisse Sicht der Dinge oder einen Schubs in eine bestimmte Richtung zu geben?
Also ich sage, ich bin dazu zu klein. Wenn jemand Bock hat dieses Interview zu lesen, dann interessiert er sich für sowas, das ist Kulturtechnik “Ich habe entdeckt, dass ich mich mehr für Elliott Smith interessiere als andere Menschen, ich interessiere mich für Kunst.” Wenn ich jetzt die Antwort geben würde, dass es mit der AFD ganz schlimm ist und man irgendwas machen muss (macht eine kurze Pause)… der Boden ist schon nass, verstehst du? Das was Herbert Grönemeyer jetzt in Wien gemacht hat, das wird wahrscheinlich die wichtigste politische Sache sein in 2019. Ich bin durch Fanzines groß geworden, das hat mich noch viel mehr geprägt als Sex Pistols oder die Toten Hosen oder Tocotronic. Das wurde alles durch Fanzines angezündet, was bei mir später passiert ist. Und da dann so flach zu sein, das ist nicht meine Sache. Ich liebe das bei Casper, ich liebe das bei Kraftklub, ich liebe das bei den Hosen und da ist das so groß, dass es unüberschaubar ist. Bei Kraftklub könnt ihr alles machen, bis auf Heroin und dumm sein. Dumm sein ist auch noch okay, aber politisch dumm sein nicht. Aber wenn ich das sage, dann ist das so eine verlorene Geste. Dann fühle ich mich, als würde ich versuchen mir ein politisches Fleiß-Sternchen abzuholen und das mag ich nicht gerne. Wenn bei Leuten wie mir Entertainment und Politik vermischt wird, da fühle ich mich wahnsinnig unwohl. Was ich aber gerne mache, ist in Ansagen etwas einzubauen, aber auch eben nicht flach. Woran ich glaube, ist Kunst so schön zu machen, dass die Leute, die das hören, nicht auf abgedrehte, politische Gedanken kommen. Ich glaube daran, dass jemand, der bereit ist sich mit Element Of Crime und Kettcar auseinander zu setzen, auch dadurch so viel emotionales Rüstzeug mitgegeben wird, dass man nicht auf sowas hört.
Deine Platte wurde ja neu aufgenommen und innerhalb der Band kam es ebenfalls zu neuen Strukturen. Hinter dem Projekt Thees Uhlmann steckt nun auch eine neue Zusammensetzung an Musikern. Magst du dazu nochmal was erzählen?
Julia Hügel studiert Musikwissenschaften und Skandinavistik – gleichzeitig. Ich habe noch nicht mal ein Studium fertigbekommen und die macht zwei gleichzeitig. Danke dafür. Und die macht mit Jinka ihren eigenen Solo-Kram und hat gesagt, dass packe ich nicht mehr und Tobias Kuhn ist mit dem Produzieren auch immer berühmter geworden und der konnte dann auch nicht mehr. Und bei mir spielt in der Band jetzt ja auch Simon Frontzek, den viele noch als Sir Simon kennen. Der hilft mir schon seit 15 Jahren, wenn mal Not am Mann ist und hat auch schon bei Tomte mitgespielt. Mit dem habe ich die Platte aufgenommen, der hat mich aufgehoben als ich wirklich im Arsch war. Als ich eine ganz leichte Idee hatte, habe ich ihn gefragt, ob er mir helfen kann und er hat gleich zugestimmt, aber gesagt, dass er das nicht alleine macht, sonst würde er psychisch kaputt gehen. Und das war dann Burkini Beach – Rudi Maier und mit dem habe ich dann jetzt die Platte fertig gemacht. Ich habe Simon angebettelt, in der Band zu spielen, er hat ja gesagt. Wir sind jetzt ja auch zu siebt auf der Bühne und Rudi Maier hat immer gesagt “Mann Thees, ne Rock’n’Roll Band mit sieben Leuten auf der Bühne, das ist doch auch irgendwie Quatsch” und ich so “Rudi, ich weiß es doch auch nicht, aber wir haben doch so schön immer gesungen zusammen.” An einem Abend hat uns dann Sven Regener auf eine Party eingeladen. Ich bin dann mit Foto-Ingo dageblieben und Rudi ist zurück nach Berlin gefahren. Dann kam nachts die E-Mail “Okay Thees, pass auf, mir bringt das zu viel Spaß, ich will mitspielen.” – Da kann man doch mal was mit anfangen, das ist doch eine Ansage und ich dann “Digga, du bist in der Band, Mensch!”. Er konnte es einfach nicht ertragen, dass wir dann alleine losgefahren wären. Da ist für mich so viel Zärtlichkeit und Wunsch drin. Mon Chéri – wer kann dazu schon nein sagen. Wir singen so schön zusammen. Die deutschen Beach Boys – kannst du nicht haten. Einfach total gut. Es ist wirklich eine exzellente Band. Wir sind Top 5 der deutschen Bands, die am besten zusammenspielen. You can quote me on that.
Bei deinem Album gibt es auch die Bonus-Veröffentlichung Gold. Wie ist die Idee hierzu entstanden und was mich vor allem interessieren würde ist die Song-Auswahl?
Ich habe den Song Gold von Haiyti wie geisteskrank gehört. Das mag modern sein, mag Autotune sein. Ich finde den Song besser, als jeden Song von mir. Völlig Hamburg zerballert, verliebt – keine Ahnung. Ich finde das ganz tolle Lyrik und eben modern. Nachdem wir einen ganzen Tag gearbeitet haben, habe ich das Rudi und Simon vorgespielt und dann haben wir das einfach gecovert. Das geht im Studio natürlich mal eben schnell. Daraus haben wir eine Northern-Soul-Version gemacht. Das hat mein Manager Rainer in die Finger bekommen und meinte, dass es echt gut ist. Rainers Idee war es noch nach anderen Songs von Frauen zu gucken. Dann kam aber dazu, dass wenn wir auf so ein Terrain vordringen, wir nur Songs von Frauen einspielen wollten, die in der GEMA gelistet sind als Autorinnen und Komponistinnen. Das war schon ein bisschen schwieriger. Wir hatten zum Beispiel auch wahnsinnig Bock auf Hildegard Knef oder Nana Mouskouri gehabt, aber das sind immer Sachen, die von Typen getextet und komponiert wurden. Wir haben uns wirklich vom aktuellsten mit Haiyiti bis zur Punk Band Östro 430 durchgearbeitet. Das ist kein Mansplanining, das ist eine Verneigung, Herausholung und unbedingte Solidarität. Ich bin ja nicht der politischste Typ und lehne das auch ab einfach nur zu schreiben, dass wir mehr Frauen auf Festivals haben müssen, das ist meiner Meinung einfach eine Diskussion, die viel länger ist als ein Tweet.
Das ist aber auch einfach ein aktuelles Thema: Frauen in der Musikbranche, auf Festival – was auch immer. Meine Mutter hat mir gestern einen Zeitungsartikel aus den Husumer Nachrichten abfotografiert, in dem wird u.a. das Reeperbahn Festival angekündigt und im selben Zuge wurde auch über Frauen in der Musik-Branche diskutiert und Studien zitiert. Letztes Jahr z.B. waren auf den US-Festivalbühnen 76% der Musiker männlich. Warum ist das so?
Wie gesagt, das ist eine wahnsinnig lange Diskussion. Ich habe mit 13 Jahren angefangen Gitarre zu spielen wie’n Berserker. Ich habe keine Hausaufgaben gemacht, weil ich Gitarre geübt habe. Und du lernst Gitarre spielen zwischen 13 und 21, weil deine Muskulatur noch nicht fertig ist. Mit 13 lernst du einfach wahnsinnig schnell. Früher wurde zu Mädchen aber noch gesagt, dass sie lieber Querflöte spielen sollen.
Wenn wir mal auf deine Texte eingehen. In Avicci lautet eine Zeile „Kunst wird nicht schlecht, nur weil es viele hören“. Warum ist es in unseren Köpfen oft so krass verankert, dass man Künstler*innen nicht mehr feiern kann, wenn sie auf einmal einen mega Erfolg haben. Warum finden wir Mainstream so kacke?
Ich glaube in aller erster Linie ist es erstmal unsere Blase. Weil die Meinung, die du da reinschreiben wirst und meine Meinung dazu, interessiert da unten beim Fischhändler keinen Menschen. Musik ist für solche Leute ein skurriles Hobby. Die gehen auch nicht ins Museum Ludwig und stehen da vor einer blauen Wand und sagen “Mein Gott ist das schön”. Und Leute wie wir haben eben eine große Zuneigung zu den Sachen, die wir toll finden. Wenn jetzt Elliott Smith’ Musik plötzlich in der Renault-Werbung auftaucht, würde mein Herz auch zusammenzucken. Vieles was Mainstream ist, ist eben schlechte Kunst. Es wird nicht produziert, weil es ein originäres Interesse gibt Kunst zu schaffen. Sondern 80% der Sachen werden hergestellt, um damit Geld zu verdienen. Und wenn dann unsere geliebten Sachen in diesen Bereich kommen, wo es nur um Geld geht, tut es uns ein bisschen weh. Ich muss aber sagen, mit 45 Jahren und als Chef einer Independent-Plattenfirma, wenn ich irgendwelche Leute höre, die quengeln, dass Kettcar früher geiler waren, dann erhebt sich der Zorn Gottes. Meine Toleranz hört bei 27 Jahren auf, alles danach wird weggebrettert.
In deinem Song Fünf Jahre nicht gesungen gibt es eine relativ einprägsame Zeile „Das Leben ist kein Highway, es ist die B73“. Das klingt beim ersten Hören eher trist. Was genau möchtest du mit der Zeile sagen?
Kein Hemmoorer würde über Hemmoor sagen, dass es sehr schön dort ist. Es gibt Sachen, die sind einfach nicht besonders schön, aber es reicht auch die Sache in sich. Das Konstrukt muss stimmen, die Leute müssen sich einig sein, dass es in Ordnung ist. Das ist eben einfach ganz klar gesagt gegen dieses Pseudo-Versprechen von Instagram, dass irgendwie alles geil sein muss. Check meinen Urlaub aus, so Fitness-Models, die sich im Bikini fotografieren in Bali an einem Strand für einen Urlaub, für den sie nichts bezahlt haben und dann dadrunter schreiben “Alle Menschen sind schön.” Das ist moralisch so dermaßen im Arsch. Es wird eine Tiefe vorgegaukelt, die überhaupt nicht da ist und das finde ich halt abgedreht. Ganz ehrlich: es ist infam gegenüber solchen Leuten, Mann und eine Frau, zwei Kinder, ein Job, ein Kindergartenplatz organisieren, und das erste Kind irgendwie durch die Schule peitschen. Das reicht. Wenn das klappt bis die aus dem Haus sind, hast du genug gemacht. Musst nicht ins Fitness-Studio, musst keine Kurse besuchen, kannst ganz normal bleiben, das reicht. Es ist eine unfassbare Leistung das hinzubekommen, ich meine, deswegen lösen sich 50% aller Beziehungen auf, weil es nicht klappt nicht, weil es implodiert. Dann noch den Leuten Druck zu machen von wegen “Das, was ihr versucht wird niemals reichen, denn ich bin besser als ihr” – das finde ich scheiße, deswegen, ne Digga, das Leben ist kein Highway, es ist die B73.
Was erhoffst du dir von der Platte bzw. welche Erwartungen hast du an diese? Oder gehst du da ganz entspannt ran?
Ne, entspannt nicht. Das ist auch das Geile beim Rock’n’Roll – es geht um was. Ich würde auch wahnsinnig gern malen können. Ich kann überhaupt nicht malen, ich bin der Schlechteste, muss ich sagen. Eins der schönsten Sachen, die ich in der letzten Zeit erlebt habe, war als meine Tochter und ich zusammen gemalt haben und ich male immer nur so Quader und mache da Muster rein. Da meinte sie ” Papa, das finde ich ganz hübsch.” Das ist eigentlich noch besser als von Marcus Wiebusch gelobt zu werden. Ich kann aber eben nicht zurück. Rock’n’Roll ist eine Kunstform und das Schöne und Interessante ist jetzt, was die Leute damit machen. Ob die Leute das gut finden, dass mal wieder jemand etwas todernst meint, auch eine Sache verteidigt. Aber zu viel Erwartungen versauen auch die Kunst. Als wir im Vorprogramm für Sven Regener gespielt haben 2001 mit Tomte, war nach Liedern einfach Stille, einfach weil es so komisch rumpelig war. Danach haben wir uns dann beschwert, weil wir alle aus der Punk-Szene kamen und in der Szene hast du immer Applaus bekommen. Und dann meinte Sven: “Thees, Rock’n’Roll ist ein demokratisches Angebot. Die Leute bezahlen hier dreißig Mark und haben damit das Recht erworben, dich scheiße zu finden.”
Thees Uhlmann Tour:
25.09. Mau Club, Rostock
26.09. Glad-House, Cottbus
27.09. Große Freiheit 36, Hamburg – ausverkauft
28.09. Lido, Berlin – ausverkauft
29.09. Ampere, München – ausverkauft
30.09. Stadtgarten, Köln – ausverkauft
07.12. Tonhalle, München
08.12. Garage, Saarbrücken
10.12. Heinrich Lades Halle, Erlangen
11.12. FZW, Dortmund
12.12. Schlachthof, Wiesbaden
13.12. LKA Longhorn, Stuttgart
14.12. Columbiahalle, Berlin
16.12. Capitol, Hannover
17.12. Große Freiheit, Hamburg
18.12. Große Freiheit, Hamburg
19.12. Lokschuppen, Bielefeld
20.12. Pier 2, Bremen
21.12. Palladium, Köln
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