Foto-© Bruno Tenschert
Neues Jahr und damit wieder Luft für neue Erfahrungen, neue Impulse und genauso neue Lieblingsmusik! Und dafür sorgt der Januar – unsere Lieblingsalben des Monats gibt es hier:
1. Bombay Bicycle Club – Everything Else Has Gone Wrong (VÖ: 17.01.2020)
Der Erfolg des vierten Albums So Long, See You Tomorrow brachte Bombay Bicycle Club nach langen Touren erstmal ans Ende ihres Schaffens, weshalb das Quartett um Sänger und Gitarrist Jack Steadman Anfang 2015 erstmal eine Pause ankündigte. Alle wollten sich auf ein Leben neben der Band konzentrieren und sich anderweitig musikalisch austoben (Steadman veröffentlichte als Mr Jukes ein Solo-Album, MacColl machte seinen Master, Bassist Ed Nash nahm ein Album unter dem Namen Toothless auf und Suren de Saram blieb als vielgefragter Session-Musiker weiter auf Tour). Doch letztlich vermissten alle das gemeinsame Arbeiten an Songs – weshalb sie letztes Jahr den Faden wieder aufnahmen und uns nun endlich ein neues Album präsentieren. Es handelt von Hoffnung und Rückbesinnung, Sicherheit und Geborgenheit zu finden, in dem, was man liebt, während alles um einen herum langsam zerfällt – “Keep the stereo on, everything else has gone wrong“. BBC waren selten besser als auf diesen elf Songs, willkommen zurück!
2. Georgia – Seeking Thrills (VÖ: 10.01.2020)
Georgia Barnes ist die wahrscheinlich heißeste Newcomerin, die das Vereinigte Königreich im Moment zu bieten hat. Mit ihrem Vornamen als Künstlernamen bewaffnet sorgte sie Anfang des vergangenen Jahres mit ihrer Single About Work The Dancefloor für ordentlich Aufregung, reihte sich ein zwischen elektronische Pop-Hymnen von Acts wie Robyn oder Róisín Murphy und tingelt seitdem bei ausverkauften Shows, über Festival-Auftritte und hochrangige Support-Slots über die Bühnen dieser Welt. Nun steht das Zweitwerk der ehemaligen Kate Tempest Drummerin in den Startlöchern und zeigt welche Bandbreite zeitgeistiger Pop annehmen kann.
3. Pinegrove – Marigold (VÖ: 17.01.2020)
Das neue Pinegrove Album beginnt und endet mit einem Atemzug – dazwischen ist es eine dringende, wie reinigende Meditation und ein ausgedehnter Siegeszug durch Alt-Country, Indie-Rock und zerebralen Humanismus. 2010 von den Jugendfreunden Evan Stephens Hall und Drummer Zack Levine gegründet haben Pinegrove bisher drei Alben veröffentlicht – Everything So Far (2015), Cardinal (2016) und Skylight (2018) – die ihnen die Herzen der Kritiker, sowie eine große treue Hörerschaft zu Füßen legte. Ihr Sound wird gemeinhin als introspektive Party Musik oder energische Folk-Musik beschreiben – auf jeden Fall verbinden sich darin kathartische wie originelle Strukturen mit unbändigen Melodien, nachhallenden Lyrics und emotionsgeladenem Ton. Da macht auch Marigold keine Ausnahme, nicht ohne aber auch plötzlich neue Wege zu wählen und einem direkt und unvorbereitet emotional den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
4. Poliça – When We Stay Alive (VÖ: 31.01.2020)
Bei den ersten drei Alben fokussierte sich Poliça-Frontfrau Channy Leaneagh inhaltlich darauf die Welt und ihre Beziehungen innerhalb dieser neu für sich zu strukturieren. Auf When We Stay Alive entdeckte sie die Kraft darin ihr innerstes Ich neu zu ordnen. Denn als sie Anfang 2018 beim Eiskratzen vom Dach ihres Hauses fiel, zertrümmerte sie einen ihrer Lendenwirbel und zog sich Verletzungen ihrer Wirbelsäule zu. Folglich musste sie monatelang ein Korsett tragen und konnte sich nur eingeschränkt bewegen. Trotzdem beschäftigt sich Poliças viertes Album nicht ausschließlich mit dem kräftezehrenden Unfall. Vielmehr geht es auf dem Album um die erlösende Kraft, die eigene Geschichte neu zu schreiben, um wieder gesund zu werden und die eigene Identität zurückzugewinnen. Der Albumtitel ist eine Referenz an die forwärtsgewandte Bewegung im Leben – unsere Erfahrungen, ob gut oder schlecht – und die Auseinandersetzung mit der Stärke, die wir darin finden.
5. Algiers – There Is No Year (VÖ: 17.01.2020)
Der dringliche Sound der Algiers klingt auf dem neuen Album There Is No Year noch etwas fiebriger als auf den Vorgängern. Während Sänger und Multiinstrumentalist Franklin James Fisher seine geschliffenen Lyrics von der Kanzel herab predigt, ist der wummernde Synthesizer der nervöse Puls, um den herum der unverwechselbare Klang der Band kreist – angetrieben von der Rhythmussektion um Matt Tong (ehemals Drummer bei Bloc Party) und Ryan Mahan. Für den Nachfolger zum Zweitwerk The Underside Of Power holte man sich die Produzenten Randall Dunn (Sunn O))) und Ben Greenberg ins Studio, um dem futuristischen Post-Punk-R&B eine neue Textur verpassen. Industrial-Sound geladene Klangwelten, die an Scott Walker in seiner 4AD-Ära oder Iggy Pops und Bowies Berlin Phase erinnern, treffen auf eine Synthese aus Marvin Gaye und Fever Ray. Auf There Is No Year bleiben Algiers unberechenbar und werden in Zeiten politischer Verwerfungen zu einer wichtigen und lauten Stimme. Ihr hitziger Soul setzt dabei nicht nur Seelen in Brand, sondern heizt auch gleichermaßen den politischen Diskurs an. Die Musikwelt braucht Agitatoren wie Algiers mehr denn je – heute und für alle Zeiten.
Wiederkehrer: Patrick Watson – Wave (VÖ: 18.10.2019)
Patrick Watson haben wir zu Unrecht lange links liegen gelassen und in diesem Zuge auch gar nicht erst groß in das neue, sechste Album Wave reingehört als es im Oktober des letzen Jahres erschienen ist. Welch großer Fehler! Seit Anfang Dezember läuft die komplette Discografie nun aber zumindest auf Dauerrotation, was Waves wohl zu so etwas wie dem perfekten Einstieg in das Schaffen Watsons macht, der darauf das Gefühl von einer Welle erfasst zu werden beschreibt, wenn man erkennt, dass alles, was man im Leben hat, in einem Moment weggewischt werden kann. Um dann zu lernen, wie man dabei nicht ertrinkt. Große Geste, große Gefühle, große Melancholie, die einen umhüllt, aber nicht erdrückt und noch umso besser nicht runterzieht. Und das obwohl Patrick während der Entstehung des Albums seine Mutter verlor, genauso wie seine Beziehung und auch den Ausstieg seines langjährigen Drummers verkraften musste. In den Songs geht es darum, dass man manchmal ein Liebeslied auf sich selbst singen muss, wenn es niemand sonst tut, sich vom Klang tragen zu lassen und zu lernen, zu vertrauen, dass man wieder auftauchen wird. Kurzum: ein Must-Hear für die dunklen Jahreszeiten, das die Tage nicht ganz so dunkel erscheinen lässt.