SOCCER MOMMY – color theory


Foto-© Brian Ziff

I’m thinking of her from over the ocean
See her face in the waves, her body is floating
And in her eyes, like clementines, I know that she’s fading
And the light of the sun is only a daydream

(Soccer Mommy – yellow is the color of her eyes)

Mit ihrem Debütalbum Clean wurde Soccer Mommy zur Identifikationsfigur vieler HörerInnen. Sie spielte ausverkaufte Touren, große Festivals und Support-Gigs für Vampire Weekend und Paramore. Und weil man nur für die erste Platte das ganze Leben Zeit hat, musste Sophie Allison, wie Soccer Mommy richtig heißt, danach lernen, unterwegs zu schreiben. Heute erscheint das Ergebnis bei Caroline – ihr zweites Album color theory. Trotz des Schreibens Backstage, in Hotels oder im Tour-Van ist das Werk kein Road Trip-Soundtrack, sondern widmet sich als eine Art Katharsis den anhaltenden psychischen und familiären Problemen, die die 22-jährige Künstlerin seit ihrer Pubertät prägen: „I wanted the experience of listening to color theory to feel like finding a dusty old cassette tape that has become messed up over time, because that’s what this album is: an expression of all the things that have slowly degraded me personally. The production warps, the guitar solos occasionally glitch, the melodies can be poppy and deceptively cheerful. To me, it sounds like the music of my childhood distressed and, in some instances, decaying.” Trotzdem klingt color theory nicht wie eine traurige, schwierige Platte – die unbequemen Wahrheiten werden mit eingängigen Melodien und Arrangements gepaart, was dem Album eine interessante Vielschichtigkeit gibt.

Die zehn Songs sind in drei Abschnitte und Farben eingeteilt: Beginnend mit Blau widmet sich Allison den depressiven Episoden und Erinnerungen an Selbstverletzung. In den Texten werden sich sicher viele Menschen, die Erfahrungen mit Depressionen haben, wiederfinden. Auf bloodstream singt sie zum Beispiel: „There’s someone talking in my forehead that says I’ll never be enough“. Einige Zeilen klingen so allgemeingültig, dass man sich erinnern muss, dass sie über sich und ihr Leben singt. Auch im ruhigen royal screw up – in dem ihre hier sehr jung klingende Stimme anfangs nur von einer akustischen Gitarre begleitet wird, bekommen ihre Lyrics vor allem dann Gewicht, wenn man sich vor Augen hält, dass es hier um Selbstoffenbarung geht. Um ihr eigenes Leben und über das Aufwachsen mit einer Mutter mit einer unheilbaren Krankheit.

Im gelben Abschnitt geht es dann weiter mit Songs über geistige und körperliche Krankheiten. Die Abwärtsspirale der Gitarren im Refrain von crawling in my skin erinnern an leichten 90er-Indiesoftrock und beschwören einmal mehr das Retro Feeling der Platte. yellow is the color of her eyes ist nicht nur Mittelpunkt, sondern auch Herzstück der Platte. Hier wird ihre Entwicklung als Songwriterin besonders deutlich. Der sieben Minuten lange Song handelt von Verlust-Ängsten um die kranke Mutter: „On ‘yellow is the color of her eyes,’ I sing about a period when I was on an international tour and kept feeling like my time with her was ticking away.” Tuckernde Indiegitarren paaren sich mit leichten psychedelischen Momenten und einem ultramelodischen, aber tieftraurigen Gesang. Wenn Allison die Augen ihrer Mutter als Clementinen beschreibt, versteht sie es auf eine ganze besondere Weise, Schönheit und Tragik Hand in Hand aufzuzeigen.

Der finale Teil, repräsentiert von Grau, widmet sich dieser Verlust-Angst und dem Lauf des Lebens dann ganz direkt. Der brillante Song lucy ist der erste unter dieser Rubrik, klingt aber gar nicht tragisch, sondern aufgeweckt. stain beginnt mit etwas sperrigen und sehr rhythmischen Gitarren und entwickelt sich dann in ein warmes Stück Lo-Fi-Pop. Die Verzweiflung, die Allison durchlebt haben muss, wird besonders im letzten Song gray light deutlich. Sie lässt das Album mit den Worten: „And I can’t lose it/the feeling I’m going down/I can’t lose it/I’m watching my mother drown”, enden, bevor die Instrumentierung abrupt abbricht.

color therapy ist ein persönliches und mutiges Album einer jungen Künstlerin, die keine Angst davor hat, ihre Verletzungen und Zweifel zu zeigen. Das Schema der Farbabschnitte ist – vor allem beim Streamen – für die HörererInnen ein bisschen zu verkopft, führt aber dazu, dass sich die Songs in ihrer Intensität steigern. Ein Album, das auf jeden Fall im Ganzen gehört werden sollte, aber einen trotz harter Worte nicht verzweifelt zurücklässt. Das ist vor allem den sprechenden Bildern von Allison und der Produktion von Gabe Max und Lars Stalfors (Mars Volta, HEALTH, St. Vincent) zu verdanken. Man hat das Gefühl, mit color therapy spielt sich Soccer Mommy frei – und daher ist es eine schmerzvolle und tröstende Platte – mit Tiefe und Arrangements, die noch lange nachhallen.

Soccer Mommy – color theory
VÖ: 28. Februar 2020, Caroline
www.soccermommyband.com
www.facebook.com/soccermommymusic

Tour:
08.06. Hamburg, Molotow
09.06. Berlin, Frannz Club
11.06. Köln, Bumann & Sohn

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