THE GENTLEMEN – Filmkritik

It’s not enough to act like the king. You have to be the king.

(Mickey Pearson – The Gentlemen)

In der High Society von Großbritanniens organisierter Kriminalität, unter den Gentlemen der Drogenhändler, führt der eingewanderte Amerikaner Mickey Pearson (Matthew McConaughey) sein Geschäft. Er will in den Ruhestand und ist dabei, sein Imperium zu verkaufen. Natürlich läuft das alles andere als wie am Schnürchen. Denn Privatdetektiv Fletcher (Hugh Grant) meint, alle involvierten Akteure und deren Pläne aufgedeckt zu haben und erpresst Mickey. Dieser muss nun zusehen, wie er den Deal doch noch über die Bühne bringt, und zwar ohne seinen Status als König der Gentlemen zu verlieren.

Regisseur und Drehbuchautor Guy Ritchie kehrt nach eher enttäuschenden Werken (King Arthur: Legend of the Sword / Aladdin) mit viel Selbstbewusstsein zu seinen Wurzeln (Bube Dame König grAS / Snatch) zurück. Er liefert ein verzwicktes Szenario mit einem Ensemble voll verrückter Cockney/Mockney Gangster, die mit variierenden Mischungsverhältnissen von schnellem Wortwitz, Drohungen und Gewalt das Alpha-Männchen in ihnen projizieren. Im Ensemble fallen neben Charlie Hunnam, Henry Golding, Eddie Marsan und Jeremy Strong dabei vor allem die Figuren auf, die von Michelle Dockery (Rosalind Pearson) und Colin Farrell (Coach) gespielt werden.

Der Soundtrack fällt, anders als bei zum Beispiel Bube Dame König grAS und King Arthur: Legend of the Sword, nicht auf und bleibt auch nicht im Gedächtnis. James Herbert (Filmschnitt) setzt Guy Ritchies Vision zum achten Mal in vertrautem Stil um. Man behält bei der verschachtelten Handlung den Überblick, ohne durch unnötige Rückblenden bevormundet zu werden.

Trotz allem, und auch wenn der Anfang etwas zu expositorisch daher kommt, sollten sich Fans von Guy Ritchies Krimikomödien schließlich doch gut unterhalten fühlen bei der schrittweisen Enthüllung des vollen Ausmaßes dieses köstlichen Schlamassels.

Abschließend möchte ich noch zwei Themen aufgreifen, bei denen meiner Meinung nach auch leichte Unterhaltung wie The Gentlemen sich nicht einer gewissen Verantwortung entziehen sollte: Rassismus und hohe Absätze.

Coach trainiert in seinem Boxstudio vorwiegend Jugendliche, die sonst als Kleinkriminelle auf der Straße ihre Zukunft zerstören würden. Sein Wortgeplänkel basiert zu großen Teilen auf Rassismus und stützt sich auf Humor, der nach unten tritt. Wie Marc Maron (GLOW / Joker) schon über Todd Philipps (Hangover / Joker) Art von Humor sagte, ist “wirklich, das Einzige, was kulturell zum jetzigen Zeitpunkt fast ganz vom Tisch ist, schamloses nach unten schlagen aus purer Freude am Verletzen von Menschen”. Wenn einem nichts besseres einfällt, als “anderen Menschen Schmerzen zuzufügen, sich unbehaglich oder ausgeschlossen fühlen lassen”, um andere zum Lachen zu bringen, dann sollte man es lieber ganz sein lassen. Zumal Coach in diesen Momenten nicht im geringsten witzig auf die Zuschauer im Kinosaal wirkt.

In der Szene in der Rosalinds Identität über die als Frau von Mickey Pearson hinaus erweitert wird ist das Erste, was wir von ihr sehen ihre Louboutins in Großaufnahme. Bevor wir erfahren, zu wem diese Füße, diese Beine, dieser Hintern und schließlich der Körper im Business-Anzug gehört, wissen wir schon: Weil sie besonders souverän diese 13cm-Absätze rocken kann, zeigt sie, dass sie in ihrer Sexulität sicher ist; mit ihr ist nicht zu scherzen. Sie führt ihr eigenes KFZ-Unternehmen für Luxusautos, wo sie fast nur Frauen einstellt und hauptsächlich wohlhabende Frauen als Kunden zu haben scheint. Wie schon Stella (Thandie Newton), die unnahbare, überlegene Buchhalterin der Superreichen in Guy Ritchies Rocknrolla (2008), die auch High Heels von Louboutin trägt, behauptet sie ihre Position auf hohem Niveau, und zwar sowohl gegenüber Männern als auch Frauen.

Wie früher die Korsette und das Füßebinden werden Absätze immer einschränkender, höher und prekärer. Man läuft unsicherer und schadet auf Dauer Muskulatur, Füße, Knie und Wirbelsäule. In Japan üben seit Jahren viele Frauen den Aufstand gegen High-Heels-Pflicht im Büro und haben in Anlehnung an #MeToo und einem Wortspiel aus den Wörtern “Schuhe” und “Qual” die #KuToo-Bewegung ins Leben gerufen. Ines Conradi verletzt sich in Toni Erdmann den großen Zeh und entfernt sich lieber den Zehnagel in einem verzweifelten Akt von Selbstverarztung/-folter als das unmittelbar bevorstehende Meeting ohne High Heels zu absolvieren.

Eine Studie von der Universität Portsmouth bestätigt, dass hohe Absätze zunächst nur den Effekt haben, feminine, sexuelle Attraktivität zu erhöhen: die Schritte werden kürzer und der Hüftschwung größer. Ob diese Sexualisierung einen Platz zum Beispiel in professionellen Umfeldern hat, ist debattierbar. Laura Dern hebt in Marriage Story mit ihren Outfits ihre Sexualität hervor, läuft allerdings total staksig in ihren High Heels, was sie unseriös und lächerlich erscheinen lässt. Wie Summer Brennen in ihrem Buch High Heel (2019) schreibt, ist die Auseinandersetzung mit hohen Absätzen als “zentrales Element der Ikonographie der modernen Frau” noch lange nicht fertig: “Sind High Heels gut? Sind sie feministisch? Was bedeutet es für eine Frau (oder übrigens auch für einen Mann), sich dafür zu entscheiden, sie zu tragen?”

Selbst Frauen streiten sich darüber, ob sie hohe Absätze tragen sollen oder nicht. Ich für meinen Teil finde, dass sie so schnell wie möglich Geschichte werden sollten, genau wie die Mode aus dem 17. Jahrhundert, als vor allem Männer hohe Absätze trugen, bis man sie fallen ließ, weil sie als zu unpraktisch galten.

Einerseits kann man Guy Ritchie nicht wirklich vorwerfen, dass er diese typische Charakterisierungsweise für Rosalind genutzt hat. Andererseits festigt er mit solcher Unreflektiertheit Strukturen, die dies nicht verdienen. Schließlich ist er auch schon andere Wege gegangen: Die resolute Gabi Teller (Alicia Vikander in Codename: UNCLE) ist auf wesentlich niedrigeren und stabileren Absätzen unterwegs, die sie erst widerwillig anfängt zu tragen, als es ihre Undercover-Rolle erfordert.

The Gentlemen (UK 2020)
Regie: Guy Ritchie
Darsteller: Matthew McConaughey, Hugh Grant, Charlie Hunnam, Colin Farrell, Michelle Dockery, Henry Golding, Jeremy Strong, Eddie Marsan
Kinostart: 27. Februar 2020, Leonine

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