Foto-© Flavien Prioreau
I think the game gives you clues
and then you follow the path
and then you go
and then you fight
and then you earn things
and then the game tells you more clues to the next destination
(Chassol – I Think The Game Pt.2)
Was macht ein Spiel aus? Freude. Spaß, Kreativität, die Fähigkeit zu improvisieren. Aber auch einen Rahmen: Regeln, Vorgaben, Herausforderungen. Christophe Chassol jedenfalls sprüht nicht nur vor Improvisationskunst, sondern spielt nach einem ganz eigenen Regelwerk: Ultrascore hat der französische Komponist das Verfahren getauft, mit dem er Sichtbares, Sprache, Geräusche und Gesang zu audiovisuellen Werken verwebt. Ob die Sprachmelodie eines Satzes oder der Rhythmus einer Bewegung – alles kann zum musikalischen Fundament werden. Was sich zuerst noch wie kompliziertes Getüftel liest, klingt in der Umsetzung umso leichtfüßiger und eleganter, wie Chassol schon auf seinen drei Vorgängeralben bewiesen hat. Nach diversen Filmsoundtracks und Zusammenarbeiten mit den R’n’B-Größen Frank Ocean und Solange widmet sich der gelernte Pianist auf Ludi jetzt ganz dem namensgebenden Spiel. Also, woraus setzt sich das nochmal zusammen?
Da ist der Wettkampf in Dribbles & Beats: ein ploppender Basketball auf dem Asphaltboden gibt den Takt für Schlagzeug und Drums vor; die Satzfetzen vom Spielfeld werden zur Synthesizer-Melodie und schlängeln sich um schnelle Dribblings und durchdachten Spielaufbau. Oder der Rauschzustand, in den das Spiel verleiten kann, wie die Achterbahnfahrten von Rollercoaster: zu schwebenden Chören steigt die Bahn hinauf, Fahrgeräusche und das aufgeregte Geplapper der Insassen setzen ein und mit ihrem ersten Kreischen beginnt das nervenaufreibende Auf und Ab, untermalt von stakkatoartigen Akkorden.
Da ist auch das Nachahmen in Tetris Synth und Tetris Crystal, wenn Chassol erst sprunghaft die Versatzstücke der Melodie wie die ikonischen Bausteine jongliert, um danach zwei SängerInnen zu begleiten, die sie gemeinsam im Studio einüben. Dabei wird kein abruptes Stocken und kein Fehler ausgebügelt, sondern mit in die Komposition aufgenommen. So erhebt er Lachen und Klatschen einerseits zur Basis großer Musik, andererseits fordern sie nicht nur sein Regelwerk heraus, sondern machen die Kompositionen nahbar. Ob die tobenden Kinder in Savana, Céline, Aya oder die Sprachspiele von Le Jeu De La Phrase – auch der Zufall bestimmt das Spiel. Da kann auch das Zusammenspiel von Bass und Rhodes-Piano noch so sehr grooven, Chassol bricht trotzdem immer wieder mit den Hörgewohnheiten, die einen makellos abgerundeten Song erwarten.
Wenn sich also diese Arten des Spiels meistern lassen, wie es Hermann Hesses Roman Glasperlenspiel vorschlägt, an den sich das Doppelalbum lose anlehnt, dann kürt sich Chassol mit Ludi hörens- und sehenswert zum Gewinner. Anstatt sich dabei in komplexe Jazzgrooves zu versteigen, findet er in seinen Songs – man kommt angesichts all der Chöre und glockigen Klavierklänge kaum um den banalen Ausdruck herum – die Schönheit im Alltäglichen. Oder weniger harmonisch ausgedrückt: Mon dieu, selten klang ein „Oh f*ck!“ so melodiös.
Chassol – Ludi
VÖ: 6. März 2020, Tricatel
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