Foto-© Julia Szymik
Konzeptalben sind in den letzten Jahren selten geworden. Eine LP mit durchgängigem Erzählstrang ist an sich schon ein Statement: Hier gibt es mehr zu besprechen, hier geht es nicht nur um eine Reihe an Hits. Mavi Phoenix hat in der Tat sehr viel zu erzählen. Im Musikvideo zu Bullet In My Heart spricht der oberösterreichische Sänger, Songwriter und Rapper im Juli des vergangenen Jahres zum ersten Mal von seiner Gender Dysphoria. Heute erscheint bei seinem selbstgegründeten Label LLT sein Debütalbum Boys Toys. Auf der Platte geht es um einen künstlerischen Zugang fernab von Genres und Stil-Erwartungen, um Selbstfindung und Männlichkeitsnarrative. Dabei deckt die Platte auch chronologisch diverse Phasen von Mavi Phoenix’ Schaffen ab. Während das Finale Who I Am zwei Wochen vor Fertigstellung des Albums geschrieben wurde, entstand Post Summer noch bevor Mavi öffentlich vom Thema Trans* sprach.
Wir haben Mitte März mit Mavi telefoniert. Im Interview erzählt er, dass sich das Konzept des Albums auf fast schon unheimliche Weise selbst ergeben hat, wie es war, eine Karriere als Künstlerin zu beginnen und dann als Künstler weiterzumachen und dass hinter der Beschäftigung mit Geschlechter-Stereotypen eigentlich die Fragen stehen: Wer bin ich und wer möchte ich sein? Außerdem sprechen wir mit ihm über Instagram und die Nähe zu Fans, die österreichische Musikszene und 90er-Jahre-Ästethik.
Erst einmal herzlichen Glückwunsch zu deinem Debütalbum Boys Toys, das am 4. April erscheint. Wie aufgeregt bist du?
Ich freue mich jetzt einfach, ich kann’s kaum erwarten.
Ich habe gelesen, dass du schon mit 13 beschlossen hast, internationaler Superstar zu werden.
Wer nicht?
Was würdest du sagen, wie läuft es damit?
Ich glaube, es hat sich ein bisschen geändert. Ich habe jetzt schon einmal einen kleinen Löffel Berühmtheit kosten dürfen und es schmeckt teilweise gar nicht so gut. Ich kann es verstehen, wenn man das nicht werden will. Jetzt ist es eher so, dass ich mich freue, Musik machen zu können, Konzerte zu spielen und einfach ein bisschen was rauszugeben in diese Welt.
Zum internationalen Gedanken würde aber passen, dass du auf Englisch schreibst. Schwingt der mit oder hast du einfach das Gefühl, du kannst dich auf Englisch freier ausdrücken?
Es war auf jeden Fall ein internationaler Gedanke dabei. Aber es hat sich auch von Anfang an authentischer angefühlt, weil ich hauptsächlich englische Musik konsumiert habe und immer noch konsumiere. Deshalb war es für mich eigentlich gar keine Frage. Weil ich alles auf Englisch gehört habe, habe ich automatisch auch auf Englisch geschrieben. Ich würde daran auch nichts ändern. Das hat sehr gut für mich funktioniert. Ich war schon früh mit der englischen Sprache in Kontakt, ich war im englischen Kindergarten und der englischen Volksschule, deswegen war das für mich keine schwierige Entscheidung.
Boys Toys wurde unter anderem in L.A. und Berlin aufgenommen, da zeigt sich auch nochmal ein internationaler Ansatz. Fühlst du dich auch in der österreichischen Musikszene zu Hause?
Ja, mittlerweile schon. Ich wusste vorher gar nicht, dass es so eine ausgeprägte Wiener Szene – würde ich jetzt mal sagen – gibt. Erst als ich angefangen habe, Konzerte zu machen und in Wien gespielt habe, habe ich das gemerkt. Das war mir am Anfang nicht bewusst. Es gibt auch sehr viel gute Musik, die aus Wien kommt.
Deine Platte ist ein Konzeptalbum, was für ein Debüt sehr ungewöhnlich ist. War das von Anfang an der Plan?
Nee. Es war alles komplett anders geplant. Es war ja nicht einmal geplant, dass Mavi Phoenix ein männlicher Künstler ist. Wir – und ich selber auch – haben eigentlich aufgebaut auf eine Künstlerin, die einfach ihr Ding macht. Als dann für mich im Laufe des letzten Jahres diese Transgender Sache spruchreif wurde und ich beschlossen habe, dass ich damit in die Öffentlichkeit gehen will und das auch zum Thema meiner Musik machen will, hat sich alles natürlich ergeben. Auf einmal hatte ich zwölf Songs oder mehr, die sich irgendwie um dieses Thema drehen. Weil es mich beschäftigt und ich zu 100 % jeden Song geschrieben habe. Es ist für mich ein Coming-of-Age-Album, ein Selbstfindungsalbum.
Die Songs stammen auch aus sehr unterschiedlichen Phasen in deinem Schaffen und auch in deinem Leben. War es eine Herausforderung, sie zu verbinden und auf einer Platte zusammenzubringen?
Gute Frage, ich glaube nicht. Es hat sich alles so schön ergeben, dass es fast schon gruselig war. Auf einmal hatte ich so viel zu erzählen und zu berichten. Und auch musikalisch war auf einmal alles viel freier. Wenn man die Platte hört, merkt man, dass es überhaupt nicht krampfhaft passiert ist. Alles hat in mir geschlummert und kommt jetzt einfach raus.
Was würdest du selbst sagen, worum es in Boys Toys konkret geht?
Ich würde sagen, der Ansatz von Boys Toys ist ein bisschen egoistisch – weil ich über meine Probleme, meine Realität und meine Gefühle schreibe. Ich habe aber auf jeden Fall bewusst versucht, dass es nicht nur Menschen anspricht, die trans sind, sondern, dass es jeden Menschen ansprechen kann. Diese Gefühle – Wer bin ich? – das hat jeder von uns schon einmal gehabt. Ich habe das Gefühl: Welcher Mann will ich sein? Aber das ist eigentlich die Frage: Welcher Mensch will ich sein? Ein anderes Gefühl ist zum Beispiel: Bin ich männlich genug? Das lässt sich auch auf andere Fragen übertragen, die sich jeder schon einmal gestellt hat: Bin ich klug genug, bin ich schön genug, …? Ich glaube, dass es universelle Fragen sind, die in meinem Fall auf dieses Thema zielen, aber im Grunde sind es existenzielle Fragen zu seinem Wesen und zu seinem Sein, die sich jeder von uns schon einmal gestellt hat. Es ist auch ein sehr tiefgründiges Album. Es geht um Gefühle und darum, sie zuzulassen. Sich nicht zu schämen für seine Gefühle oder für das, was oder wer man ist. Ich glaube, dass das die Essenz des Albums ist. Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Und sich nicht dafür zu schämen, wenn man das dann einmal herausgefunden hat – oder auch.
Die verschiedenen Männlichkeitsnarrative, die du erwähnst und der Umgang damit, sind auch großer Teil des Albums. Sind wir als Gesellschaft endlich über Grönemeyers Wann ist ein Mann ein Mann? hinweg?
Ich wünschte, ich könnte „Ja“ sagen. Ich glaube aber nicht. Vielleicht ein bisschen – um die Hoffnung zu wahren. Ich merke in meinem Umfeld und bei mir, dass Rollenbilder krass in unseren Köpfen sind. Ich sehe es bei mir, dass Toxic Masculinity etwas Reales ist, das uns alle betrifft. Sexismus sowieso. Ich muss mich selber immer wieder erinnern. Ich ertappe mich zum Beispiel dabei, dass ich denke: „Das ist weiblich, wenn du das sagst. Das ist blöd, wenn du das machst, denn du bist jetzt ein Kerl.“ Ich erkenne das sofort und kämpfe dagegen an. Ich bin zwar ein Kerl, aber ich darf genauso heulen oder über irgendwas reden, was jetzt nicht super männlich ist – das ist eh alles Bullshit. Trotzdem ist es in jedem von uns extrem verankert. Ich habe die außergewöhnliche Situation, dass ich als Frau durch das Leben gegangen bin. Ich weiß, wie es ist, als Frau gesehen zu werden und als Frau in dieser Gesellschaft zu leben. Und es ist nicht geil. Nicht nur für mich, weil ich mich unwohl in meinem Körper und mit meinem sozialen Geschlecht gefühlt habe, es ist auch so einfach extrem unfair, was für ein Ungleichgewicht herrscht. Ich hoffe, dass ich irgendwie dazu beitragen kann als Mann – wenn ich hoffentlich 100%ig als Mann angesehen werde – zu sagen, Toxic Masculinity is real. Und Sexismus is real.
Ist das auch ein Thema, um das es in deiner aktuellen Single Fck It Up geht?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe trotzdem diese Frustration in mir, die auch im Album widergespiegelt wird. Und dieser Trotz. Dieses kindliche „Ich bin ein großer starker Mann“. Eigentlich der totale Bullshit, aber es ist etwas, womit ich mein ganzes Leben konfrontiert war. Und dass ich jetzt beweisen will, dass ich ein richtiger Kerl bin. Das ist eigentlich vollkommen verblödet. Aber ich bin auch nicht davor gefeit, solche Gedanken zu haben.
Zu deinem Job gehört auch Social Media. Es wird gerade von jungen Künstlerinnen und Künstlern erwartet, dass sie dort aktiv sind. Wie siehst du diesen Aspekt deiner Arbeit, ist das überhaupt Arbeit für dich? Wie ist das für dich, dich so eng austauschen zu können?
Es ist auf jeden Fall Arbeit für mich und ich versuche, diesen Aspekt klein zu halten. Am Ende des Tages bin ich Musiker und das ist meine Stärke. Ich bin kein Blogger. Wahrscheinlich bin ich irgendwie Influencer, aber ich versuche mich selber daran zu erinnern, dass ich Musiker bin, dass das mein Talent und meine Berufung ist. Sobald sich bei mir zeigen würde, dass ich mehr Arbeit in meinen Instagram-Kanal als in meine Musik stecke, würde ich mir wünschen, dass mir jemand eine Ohrfeige gibt. Es ist trotzdem extrem wichtig und ich habe auch gemerkt, dass sich mit dem Outing meine Beziehung zu den Fans geändert hat, dass es viel enger ist. Ich versuche auch teilweise, mit Fans einfach auf Instagram zu reden oder zu schreiben, wenn sie etwas von sich erzählen. Ich bin seit dem Outing persönlicher geworden auf Instagram. Die Leute haben das sehr gut aufgenommen und sind auch mit mir persönlicher geworden. Das finde ich schön.
Du hast in einem Instagram-Video über deine Gender Dyshoria gesprochen und danach 500 FollowerInnen verloren, aber auch viel Rückhalt bekommen. Du hast geschrieben, dass du nervös vor dem Schritt warst. Aber retrospektiv fühlt er sich also richtig an?
Ja, das würde ich schon behaupten. Es gab keine andere Wahl. Es musste sein.
Hast du das Gefühl, dass du jetzt einfach in eine andere Schublade gesteckt wirst oder fühlst du dich freier als vorher?
Es ist ein bisschen beides. Ich fühle mich auf jeden Fall viel freier, aber ich muss für mich selber aufpassen, dass ich nicht von einer Schublade – Frau – in die nächste – Mann – gehe. Dass ich vorher das Gefühl hatte, ich bin nicht weiblich genug und jetzt nicht denke, ich bin nicht männlich genug. Aber das liegt auch bei mir und ich glaube auch nicht, dass die Leute das erwarten.
Du hast deinen Followerinnen und Followern erst Gender Dysphoria erklärt, dann über die Pronomenwahl bei Queer-Identitäten aufgeklärt. Kann es auch anstrengend sein, immer wieder Aufklärer zu sein oder machst du das gern?
Es ist eine komische Position, weil ich eigentlich ein extrem lustiger und fröhlicher Mensch bin und einfach auch entertainen und Musik machen will. Ich bin kein Aktivist in dem Sinne. Aber natürlich sehe ich es auch als Privileg an, Leute darüber aufklären zu können, weil es wichtig ist.
Zum Thema fröhlich fallen mir deine Videos ein. Vor allem Fck It Up hat so eine starke, sehr bunte und energiegeladene 90s-Ästhetik. Was inspiriert dich da?
Bei Fck It Up war es mir extrem wichtig, meinen eigenen Stil zu dokumentieren und das, was ich cool finde, festzuhalten. Das Video zu Boys Toys habe ich mit einer krassen Künstlerin gemacht und die Art Direction hat sie dominiert. Ich war natürlich 100 % damit einverstanden und finde es cool, so wie es ist. Aber ich wollte noch ein Video machen, das zeigt, welchen Stil und welche Ästhetik ich feiere. Dass es so 90s ist, kommt auch daher, dass ich gerade sehr viel Friends schaue. Ich bin ja auch ein 90s-Kid.
Wie ist das, wenn du mit anderen zusammenarbeitest, bist du da sehr bei dir oder saugst du alles um dich herum auf? Bist du ein Kontrollfreak?
Ich glaube nicht, dass ich ein Kontrollfreak bin, aber ich bin auf jeden Fall so, dass ich bei jeder Sache 100 Mal draufschaue, bevor es unter Mavi Phoenix rauskommt. Das ist so, wie wir das auch beim Label handhaben. Mein Management und ich haben das Label gegründet. Wir sind zu dritt, mittlerweile zu viert und wir sind einfach Freunde. Wir besprechen viel, es gibt niemanden, der über den anderen hinweggeht, was Entscheidungen betrifft. Aber die letzte Entscheidung liegt immer bei mir, was teilweise auch sehr, sehr schwierig für mich ist, weil ich nicht gerne Entscheidungen treffe. Mir ist einfach wichtig, dass alles aus einem Guss kommt.
Vielen Dank für das Interview!
Mavi Phoenix Tour:
29.-30.08. Golden Leaves Festival, Darmstadt
03.11. Stuttgart, Im Wizemann (Studio)
04.11. Köln, Luxor
05.11. Bremen, Lagerhaus
06.11. Bielefeld, Movie
08.11. Hannover, Faust
09.11. Leipzig, Naumanns
01.12. München, Ampere
09.12. Berlin, Lido
10.12. Hamburg, Uebel & Gefährlich
11.12. Frankfurt, Zoom