SORRY – 925


Foto-© Sam Hiscox

I stayed up all night with a rock ‘n’ roll star
He said
“You’ve got to dress for the part you want
Not who you are”
I stayed up all night with a washed-up rock ‘n’ roll star
He said
“Let me tell you the key to any girl’s heart”

(Sorry – Rock’n’Roll Star)

Die Frage mag banal klingen (und die Antwort – it’s the economy, stupid! – auf der Hand liegen), aber Asha Lorenz und Louis O’Bryen stellen sie seit drei Jahren trotzdem: warum sollten auch Indie-Bands 2020 noch dem breitgetretenen Pfad entlang der Stationen Single-Musikvideo-Album-Tour folgen? Mit diversen audio-visuellen Mixtapes schienen die beiden zunächst auf Genre-übliche Strukturen zu verzichten. Ganz so radikal fällt die Verweigerung jedoch nicht aus, denn mit 925 veröffentlicht das Londoner Duo jetzt (endlich, seufzen Musik-RedakteurInnen) ihr offizielles, reviewbares Debütalbum.

Ein paar Abzweigungen behalten sich Sorry, erweitert um Schlagzeuger Lincoln Barrett und Bassist Campbell Baum, für die üblichen 45 Minuten jedoch vor: wälzen sich im Opener Right Round The Clock noch Saxophon und spöttisch-schnoddriger Gesang geradlinig über den schmetternden Beat, machen die Tempowechsel im düsteren In Unison klar, dass sich Lorenz und O’Bryen den skizzenhaften Charakter ihrer Musik bewahrt haben. Der Wechselgesang und die grundsätzlich minimalistische Ausrichtung mögen zwar bisweilen an The Kills erinnern. Doch die beiden vertrauen nicht länger rumpelnden Drum-Machines, sondern schichten trickreich Baustein für Baustein aufeinander. Hier ein digitales Artefakt, da ein Stutter-Effekt auf den Vocals und im Refrain ein „Uargh!“-Sample eingebaut: In Songs wie Starstruck bleibt kein sprödes Gitarren-Riff unkommentiert stehen.

Ihr Talent für eingängige Refrains bewahrt das Duo dabei wiederholt vor unbequemer Verkopftheit. So werden auf Wolf oder Rosie schwere Drums und leichte Melodien miteinander verzahnt, ohne einerseits zu sperrig und andererseits zu beliebig zu klingen. Nicht immer ist dabei klar, ob hier gerade an der Dekonstruktion eines 00er-Jahre-Indie-Hits gewerkelt wird oder bloß die Entscheidung zwischen Konvention und Aufbruch schwerfällt. Den Hinweis liefern die unschuldig bis gelangweilt-affektierten vorgetragenen Lyrics: ob ein süßliches „And I never thought about you in your underwear / ‘cause I never cared for what was really under there” (Snake) oder simple Zeilen wie „I want drugs and drugs and drugs / I want love” (More) – Lorenz’ und O’Bryens Gesang ist erst von offener Ironie und sarkastischen Untertönen geprägt, dann wieder überraschend verletzlich. Unübersehbar wird dieser Kontrast zwischen der lynchesken Nachtklub-Atmosphäre von Rock’n’Roll Star und dem beschwingtem Heather: auf eine Abrechnung mit dem klischeehaften Bettpartner, der “everything that I wanted to know about love” flüstert, folgt ein sentimentales „And when the hour is gone / We’ll lie like dead birds in the heather / Oh what’s a guy, a girl to do, a boy to do?“

Der Mut, auch mit dem Gitarren-lastigen Fundament des Albums zu brechen, kommt in Ode To Boy schließlich fast zu spät, doch dafür umso überraschender. Über einem Glitch-Gehäcksel, das sich als Verneigung vor Aphex Twin lesen lässt, bereitet ein Kinderchor mit “Can we talk it through like adults / Adults seem to do things that work” dem Album ein Ende nach poppig-süßer Manier. „This is an ode for you, my boy / This is an ode for joy, for joy”.

In welche Richtung es nach dieser Ode an die Freude noch gehen mag – man muss Sorry hoch anrechnen, nicht auf den langsam verebbenden Retro-Wellen zu surfen. Stattdessen ist 925 ein kluges Album, weil es zwar (auch) nach klassischen Gitarren-Chorus-Liebe-Maßstäben funktioniert, sich aber in seinen besten Momenten mit Leichtigkeit daraus befreit. Gleichzeitig ist es ein beeindruckend ausgefuchstes Debüt, mit dem Indie-Rock endlich im digitalen Zeitalter angekommen zu sein scheint. Egal in welchem Format – die Erwartungen an einen Nachfolger liegen hoch.

Sorry – 925
VÖ: 27. März 2020, Domino Records
www.sorryband.co.uk
www.facebook.com/sorrybanduk

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