SPIRIT FEST – Mirage Mirage

Es war nach dem Notwist-Konzert vor ein paar Jahren, während gerade die Lichter angingen: als hätte die Band die einigermaßen durchgeschüttelte Menge noch einmal in den Arm genommen, bevor sie sie in die regnerische Nacht entließ, schallten aus den Lautsprechern Tenniscoats mit Song For A Friend: „In the places we will be / Thoughts of you come back to me / Walk to you and walk with you / In the light between“.

Das japanische Duo, deren Mitgliedern Saya und Takashi Ueno aufgedrückte Genre-Labels ebenso wenig gerecht werden wie der Spannweite von The Notwist, hatte da in deren Sänger Markus Acher schon lange einen Fan gefunden. Aus seiner Bewunderung ist mittlerweile freundschaftliche Zusammenarbeit geworden: Spirit Fest ist, gemeinsam mit Cico Beck aus der New-Weird-Bavaria-Szene und dem Briten Mat Fowler (Jam Money) nicht weniger als eine kleine, aber feine Supergroup des Frickelns und Träumens. Ihre Größe im Kleinen lässt sich nicht zuletzt an den Aufnahmeorten ablesen: Wohnzimmer- und Heimstudios in München – und für Mirage Mirage, bereits die dritte Veröffentlichung, jetzt auch in Tokio.

Zu einer Zeit, in der alle gezwungenermaßen die Möglichkeiten von Zimmer, Küche, Bad ausloten, führen Spirit Fest vor, dass Rückzüge nicht in Abschottung enden müssen. Ganz im Gegenteil, wirken die sparsamen Gitarrenakkorde, die sich vom Opener Yesteryears über das gesamte Album ausbreiten, doch wie eine ausgestreckte Hand. Bald greifen freakiges Klappern und Rascheln zu, erklingen verrauschte Voice-Samples und schließlich der zerbrechliche Gesang von Saya und Acher. Wenn dann in Zenbu Honto (Every Thing Is Everything) ein für Spirit-Fest-Verhältnisse schwerer Vierviertelbass nach sieben mantraartigen Minuten in einem heulenden Synthesizer-Finale endet, ist das keineswegs verkopft, sondern unglaublich nahbar. Begleitet von tröpfelnden Klavierakkorden laden die Songs ein, sich selig im Takt zu wiegen – ohne sich zu schade zu sein, an all dem Wohlgefühl Zweifelnden ihre Spielfreude wortwörtlich entgegen zu tröten.

Damit gelingt der Gruppe in ihrer wundersamen Kleinteiligkeit eine gekonnte Balance zwischen melancholischen Ausflügen und beinahe provokanter Naivität. Lockert mit Circle Love ein süß versponnener Bossa samt jazzigem Gastauftritt von Acher-Bruder Michael die meditative Seligkeit auf, münden anschließend die gedämpften Klänge von Mohikone und The Snow Falls On Everyone in collageartiger Wirrnis. Wer möchte, kann versuchen, den Mitgliedern die einzelnen Bestandteile zuzuordnen; Tenniscoats die minimalistischen Gitarrenakkorde, Beck und Fowler die schrägen Sounds und Samples, Acher den an Notwist erinnernden Dub-Beat von Swim Swan Song. Oder war es andersherum? Die freigebige Neugier, die gemeinsam aus allen Songs klingt, macht es ohnehin überflüssig, die Gruppe auseinander zu dividieren.

Nur wer im Wohnzimmer auch tanzen will, findet außer der Single-Auskopplung Mirage selten das richtige Tempo. Eine Ausnahme bildet zum Abschluss Saigo Song: wenn zum Finale nochmal die ganze Band aufspielt, bleibt man ratlos zurück, wie sich trotz (oder wegen?) solcher Zurückhaltung so eine mitreißende Dynamik entfalten kann. Wer nicht zur Hausmusik einladen kann, wer Jams und Konzerte vermisst, wird jetzt – und zu jeder anderen Zeit – in Mirage Mirage nicht bloß Trost, sondern über alle vier Wände hinweg unbeschwerte Freude an der Musik finden.

Spirit Fest – Mirage Mirage
VÖ: 15.05.2020 – Morr Music
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