„I think I killed my plant from over-watering it
Things don’t grow the same in the wintertime
I slipped on the stairs, winding myself of air
I can’t do anything but lie here for a moment“
(Braids – Snow Angel)
Foto © Melissa Gamache
Wer mit Braids noch den zurückhaltenden Sound ihres 2011 erschienenen Debüts Native Speaker oder die Melancholie des Nachfolgers Flourish / Perish verbindet, muss sich für Shadow Offering wohl erst wappnen: so glatt, so wuchtig, ja beinahe theatralisch – und zugänglich wie nie. Aber ist deswegen auf Album Nr. 4 der drei KanadierInnen gleich alles so „pointless, pointless, pointless“ wie die im pumpenden Young Buck besungene Affäre?
Keine Frage, die Intimität und Verspieltheit der ersten beiden Alben haben Braids gegen melodramatische Selbstgespräche in Hymnenform eingetauscht. Die trägt Frontfrau Raphaelle Stanwell-Preston allerdings mit beeindruckender stimmlicher Wucht vor. Mal süßlich gehaucht, mal zum Himmel hochgejauzt – das nach dreijähriger Pause entstandene Werk des Trios ist ganz auf die Dreißigjährige zugeschnitten. Dass sich davon abgesehen auch für eine Indie-Band wie Braids die Uhr weiterdreht (wenn auch tendenziell rückwärts), zeigt kaum ein Song so gut wie das epische Eclipse (Ashley): wahlweise lässt es sich als Verneigung an Kate Bush oder, wenn nach zweieinhalb Minuten ein gedämpftes Klavier einsetzt, überdrehte Parodie ihres früheren Selbst hören.
Mit der gleichen Selbstsicherheit, die die Band diese Pop-Hügel erstürmen lässt, demonstrieren sie ihr gewachsenes musikalisches Können: Just Let Me ist ein minimalistischer Track mit perlenden Radiohead-Arpeggios, einem Massive–Attack-Refrain – und mittendrin einer unerwarteten Akustikgitarre. Denn wie sich die Gruppe gemeinsam mit Produzent Chris Walla (Death Cab For Cutie) durch die Songs kombinieren, mag bewährten Mustern folgen – umso gewiefter sind die Sounds, die sie dabei aufeinanderschichten: satte Synthesizer-Texturen, tippelnde Percussion oder wabernde Klangteppiche.
Die Tüfteleien werden da fast vom Pomp überstrahlt, obwohl er ihnen doch erst den Glanz jenseits des Generischen verdankt. Nicht immer fügt sich Standell-Prestons Gesang so nahtlos in den Mix wie in Upheaval ii oder dem anklagenden und doch viel zu leichtgängigen Fear Of Men („Get your shit together / I’m tired of your excuses“). Wer da frei nach Emma Goldman vermutet, darauf vielleicht das Tanzbein zu schwingen, aber sicherlich keine Revolution machen zu können, soll mit Snow Angel sogleich eines Besseren belehrt werden: wo eben noch hymnische Berieselung erfolgte, erinnert Standell-Preston die HörerInnen in einem von einem krautrockigen Groove getragenen spoken-word-Part drängend an ihre (weißen) Privilegien. Aus dem anfänglichen Duktus einer Instagram-Caption („Remind us that life is still beautiful here“) schält sich da, mal banal („The polar bears are floating away on a brick of ice“), mal umso bedrückender (“I wanna be a mother, but I shouldn’t bring another”) ein Patti-Smith-Pamphlet heraus. Nicht nur inhaltlich ein heilsamer Ausbruch, sondern auch mit seinen konzentrierten neun Minuten, die das Korsett der restlichen Vier-Minuten-Songs sprengen.
Die anschließende Ehrenrunde fahren Braids im ruhigen Tempo, bevor sie zum Finale von Note To Self nochmal alle Register ziehen. Die wuchtigen Drums schütteln die einen nochmal wohltuend durch (dem Rezensenten bleibt dieser Effekt offensichtlich verwehrt), die anderen fragen sich, warum eine musikalisch so reife Band am liebsten mit der Konfetti-Kanone schießt.
Braids – Shadow Offering
VÖ 19.06.2020 – Secret City Records
https://www.facebook.com/braidsmusic/
braidsmusic.com
Tour:
29.11.20 – Berghain Kantine (Berlin)
02.12.20 – Club Manufaktur (Schorndorf)