FRIENDS OF GAS – Kein Wetter

Die Struktur im Marmor
Bringt Ordnung ins System
Der Heizkörper ist warm
Und bringt Ordnung ins System
Wir regulieren die Temperatur, bringen Ordnung ins System
Warm, Kalt, Heiß, Kalt, (…) Lauwarm.

(Im Bad – Friends of Gast)

Foto © Fabian Beger

Wenn man schon, wie die Hamburger Schule lehrt, in dieser Sprache nicht über Sex singen kann, dann bleibt wohl nur das Wetter übrig. Das allerdings hat – so viel sollte auf dem Weg in den nächsten Hitzesommer klar sein – längst seine vermeintliche Unschuld verloren. Die Spielräume, die sich da eröffnen, wissen Friends Of Gas auf ihrem zweiten Album bestens auszunutzen. Nachdem sie 2017 furios mit ihrem Debüt Fatal Schwach los- und letztes Jahr auf der EP Carrara nachlegten, wühlen sich die fünf MünchnerInnen jetzt erneut durch die Trümmerberge.

Du bist erst beim ersten Kapitel / Und du denkst schon ans kapitulieren.“ Ja, über den hereinbrechenden Gitarrenwogen klingt Nina Walsers heisere Stimme – um den Vergleich direkt hinter uns zu bringen – gehörig nach Kim Gordon. Kein Wetter breitet sich in erster Linie um ihre beklemmenden (Umwelt-)Beobachtungen. um knapp gehaltene Schilderungen von Desorientierung und Verfall aus. Dazwischen steht wie eh und je der auf Schrumpfen besungene Boxchampion Kapitalismus im Ring. Während alle anderen schwanken und die Linke schwach herabbaumelt, verteilt er mit Friends Of Gas Kopftreffer: „Und die Munition vermodert unter unseren Haaren / Und wir bleiben unbewaffnet, ohne Schild und Schwert.

Musikalisch wie lyrisch ist es schweres Wasser, graue Flut, die mit voller Wucht gegen betonierte Ohren klatscht. Wenn auch gestraffter und zupackender als die Acht-Minuten-Brecher des Vorgängers, hat das Quintett die gemeinsam mit Notwist-Produzent Olaf O.P.A.L. aufgenommenen Songs keinesfalls glattpoliert. Da kann es einen noch so sehr drängen und zerren, wenn der Krautrock-Bass stoisch über das wüste Land hoppelt: der schroffe, doch immer wieder schillernde Sound bekommt viel Raum und Zeit zur Entfaltung.

Und die HörerInnen rutschen mit hinein, erst überrollt von Waldbrand und Blaiberg, dann nach und nach von den hypnotischen Grooves in Graue Luft eingewickelt. Da stellt Walser, mal flüsternd, mal niederöhrend, schon ungerührt die letzten Fluchtwege zu: „Unsere Liebe ist nur ein in Hollywood gezüchtetes Monster“ bollert der Koksofen, gefüttert mit Holz aus dem Stechpalmenwald. Noch Fragen?

In der zweiten Hälfte des Albums macht sich allmählich eine trügerische Ruhe breit: als hätten all die Surfer-Bands des ewig sonnigen California sich an Steinbecks Früchten des Zorns den Magen verdorben, reiten sie nun mit den Friends auf den Kämmen von Abwasser. Von dem, was danach noch ziellos im bluesigen Strudel umhertreibt, liefert Teilchen eine kurze Bestandsaufnahme. Und siehe da, zwischen matt schimmernden Gitarrenriffs zeigt sich: „Es war einmal, es war einmal der Mensch.“ Der Mythos Aufklärung wird in seine Bestandteile zerlegt: hier schreitet niemand mehr voran. Noch eine letzte Wetterbeobachtung gefällig? „Und die Witterung bleibt gleich, sie stagniert“.

Dass schließlich auf Im Bad doch nochmal ein geschundenes Ich auftaucht, um sich an den systemerhaltenden Funktionen der Technik festzuklammern, weckt da nur falsche Hoffnungen, die Selber keine kompromisslos wegfetzt. Selber wer? Selber was? Was immer am Ende noch übrigbleibt: so gnadenlos, so schön wie Friends Of Gas hat den Zerfall lange keiner mehr besungen.

Friends Of Gas – Kein Wetter
VÖ: 05.06.2020 – Staatsakt
https://www.facebook.com/friendsofgas/
http://friendsofgas.com

Kein Wetter Tour:
04./05.09. Neustrelitz, Immergut Festival
16.10. Chemnitz, Atomino
17.10. Berlin, Zukunft am Ostkreuz
19.10. Hamburg, Hafenklang
20.10. Wiesbaden, Kreativfabrik
21.10. Köln, Bumann & Sohn
22.10. Bochum, Trompete
24.10. Stuttgart, Merlin
10.11. Nürnberg, Z-Bau
11.11. Jena, Rosenkeller
13.11. Saarbrücken, Sparte 4
14.11. Karlsruhe, Kohi

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