Foto © Jess Gleeson
‘Cause I can’t get my shit together
In this aeroplane bathroom
I’m wondering why I haven’t seen myself before
In naked lights and sleepless nights
I’m trying to remember
But the contents of my chest are down there on the floor
(Gordi – Aeroplane Bathroom)
„Do you see yourself unravelling?“ Einen passenderen Einstieg für das neue Album Our Two Skins der australischen Folk-Pop-Künstlerin und Produzentin Sophie Payten, besser bekannt als Gordi, könnte es mit Blick auf die Beweggründe für das Zweitwerk der 27-jährigen kaum geben (hier unser Juni-Interview). Kaum hat sie die Prüfungen für ihre Zulassung als Ärztin hinter sich gebracht, als sie sich durch das Ende einer langjährigen Beziehungen neu mit ihrer sexuellen Identität auseinandersetzt – unmittelbar vor dem Hintergrund des zur gleichen Zeit in ihrer Heimat stattfindenden Ehe-für-alle-Referendums und ihrer katholisch geprägten Erziehung. Dieser Wirbel an sich auseinander dröselnden Umwälzungen ihrer persönlichen Welt trieb die Sängerin, in einen Zustand innerer Abgeschiedenheit. Und gab schlussendlich den Anstoß zu Our Two Skins. Das Album ist in seiner ganzen atmosphärischen Aura, die das Werk umgibt, eine bedingungslose Chronik der Auseinandersetzung einer Künstlerin mit ihrer eigenen Identität und wie sie diese in ihrer Welt behaupten kann.
„A big theme of the record is: there is nothing to hide behind“, äußert Payten selbst über die Songs ihres Albums. „We didn’t have all the bells and whistles. You’re just standing there, with your hands in your pockets going: this is me. This is it. This is all I have.“ Die existenzielle Natur, die hier inhaltlich vorherrscht, lässt sich auch musikalisch nachverfolgen, und zwar direkt vom ersten Klavierton vom ersten Song Aeroplane Bathroom. Fein akzentuierte und bald verhallende Akkorde leiten den zerbrechlichen Gesang von Payten ein, der nichts weniger als einen inneren Zusammenbruch inszeniert. Für ganze sechs Minuten hält sich diese Spannung aufrecht, entwickelt zum Ende hin durch den gefühlvoll vorgetragenen instrumentalen Charakter eine sphärische Spannung und entlässt uns als Zuhörende schließlich zart hinaus, bevor dann das weitaus rhythmischere Unready in seinen eigenen Bann lockt. Hier, wie auch auf dem folgenden Sandwiches warten zwei poppigere Stücke auf, irgendwo zwischen Folk und Electronica – die zwar die melancholische Atmosphäre des Openers brechen, aber Gordis Talent für vielschichtige Produktionen offenlegen. Es folgen im Herzen des Albums mit Volcanic und Radiator ein Balladenpaar, das in seiner wundervollen Fragilität an Aeroplane Bathroom fast heranreicht. Die beiden Stücke beschreiben den inneren Drang, einer geliebten Person nahe zu sein und ergründen dabei ineinander verstrickte Gefühlswelten, wie etwa im bewegenden Volcanic, das zu den stärksten Stücken von Our Two Skins gehört: „I have these moments where I panic / When I shut down and go manic / So eruptive and destructive like within I am volcanic“. In ähnlicher gefühlvoller Manier präsentiert sich Look Like You, während Limits und Free Association wieder poppig-rockigeres Terrain betreten.
Von seiner zutiefst innerlich zentrierten Thematik und der musikalisch fragil und sphärisch veranlagten Stilistik ist Our Two Skins von Gordi ein Werk, das in dieser Form einzigartig fesselt und an Stellen gar zu Tränen rühren in der Lage ist – so gewaltig wirkt diese elegante Ästhetik, die sich hier präsentiert. Aus der inneren Isolation und einer persönlichen Krise heraus, höhlt sich die Australierin auf ihrem Album selbst aus und macht sich dabei verletzlich wie nie zuvor. Dass unter der ersten Schicht auch eine zweite liegt, davon handeln und zeugen die zehn Lieder mit eindrucksvoller Aussagekraft. Hier bleibt wirklich nichts im Verborgenen. Am Ende tröstet es dann doch einfach sehr, wie aus innerer Orientierungslosigkeit und persönlichem Schmerz derart verzaubernde Kunst entstehen kann, die im Prozess der Verarbeitung zugleich eine verändernde Schönheit offenlegt.
Gordi – Our Two Skins
VÖ: 26. Juni 2020, Jagjaguwar
http://www.gordimusic.com
https://gordi.bandcamp.com
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