Foto-Credit © Landon Speers
Multitasking
You’re so damn good at it
Several thousand things
(Rhythm Research)
Für eine Stadt, die niemals schlafen soll, wurde es dieses Frühjahr in New York aus bekannten Gründen ungewöhnlich still. Umso umtriebiger ging es dagegen unter der erstarrten Oberfläche zu – jedenfalls für Evan Shornstein aka Photay: nachdem der Normalbetrieb aus den Fugen geriet, veröffentlicht der 24jährige Wahl-New-Yorker dieser Tage bereits sein zweites Album binnen drei Monaten.
Das erste, On Hold, erschien im März als Charity-Download zugunsten derjenigen, die diese Zeit nicht mit den schnöden Segnungen des Serienstreamings füllen konnten: zwölf ausgedehnte Ambient-Tracks, zusammengebaut aus verfremdeter Warteschleifenmusik; ein auditiver Warteraum für HörerInnen in Zwangspause. Das zweite, Waking Hours, hatte der in der beschaulichen wie berühmten Nachbarstadt Woodstock aufgewachsene Shornstein da bereits der Stille gewidmet – ein eleganter Zug für einen ehemaligen Schlagzeuger, der durch die Ereignisse der vergangenen Monate umso mehr an Bedeutung gewonnen hat.
Weil diese Widmung längst mit letzter Konsequenz umgesetzt wurde (4’33), konnte Photay sich darauf konzentrieren, ein gleichermaßen quirliges wie meditatives Album aufzunehmen. Als geschickter Soundarchitekt, der Räume erst perkussiv auslotet und dann seine eigenen Bauwerke hinterlässt, bedient er sich dabei einem kontrollierten Chaos aus Samples, Feldaufnahmen, Kollaborationen und live eingespielten Instrumenten. Auf Warmth in the Coldest Acre klappern und klirren Polyrhythmen unmittelbar am Ohr – spätestens seit einer Reise nach Guinea sein favorisiertes Werkzeug. Wie schon auf dem Vorgänger Onism (2017) werden flirrenden Synth-Wände aufgezogen und Etage um Etage aufeinander geschichtet. Einmal oben angekommen, nutzt Photay dann den Ausblick und lässt – durchaus überraschend – erstmals seine eigene Stimme samt sphärischer Pads durch die Weiten schallen. Die klingelnde Percussion am Ende erinnert schließlich an Space Is The Place – noch so ein Ort der Stille.
Die Wanderungen zwischen diesen Orten sind eingebettet in ein ständiges Spiel von Intimität und Distanz: ganz nah sind der samtweiche Gesang und die westafrikanische Harfe, eingespielt von Salieu Suso, auf Is It Right?, die Klavierkomposition A Beautiful Silence Prevails oder die zuckende Percussion auf Change in Real Time. Den weitesten Bogen spannt dagegen Fanfare for 7.83 Hz: der Titel des von wabernden Pfeiftönen durchzogenen Songs bezieht sich auf elektromagnetische, die gesamte Erde umfassende Schwingungen, deren Resonanzfrequenz gemessen – und vertont werden kann. Seine bouncende Basslinie führt dagegen geradewegs in poppige Gefilde, die ihren Höhepunkt – mitsamt verhallten Saxophonsolo – im funkigen The People finden. Photay ist durchgehend auf Rhythm Research und verweigert sich dabei einer klaren Zuordnung: die süßlichen Melodien und Gesangsspuren der Songs mögen an Caribou erinnern, die Drums lösen das titelgebende Versprechen auf Experimente ein, bei denen gleichzeitig ein funky Drummer im Hinterkopf mitwippt: „Multitasking – you’re so damn good at it“.
Am deutlichsten wird der Spagat zwischen Stimmungen und Genres auf Pressure, ein Song, der mit dystopischem Sirenengeheul startet und dank leichtgängigen Beats und Keys unvermittelt zum tanzbarsten Track des Albums mutiert – Brian-Eno-Gesang am Pool inklusive. Die Freude am Ausprobieren bewahrt das Album davor, an der ein oder anderen Stelle ins Gefällige zu kippen – und trägt doch gleichzeitig zum scharfen Kontrast zwischen beidem bei.
Trotzdem ist es eine Freude, Photay bei seinen Ausflügen jenseits der Stille begleiten zu dürfen. Während langsam die gewohnte Hektik auf die Straßen und Plätze der Städte zurückkehrt, reiht sich Evan Shornstein mit Waking Hours selbstbewusst in die Riege ungewöhnlich guter Produzenten ein.
Photay – Waking Hours
VÖ 12.06.2020, Mexican Summer
www.photay.bandcamp.com
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