KAMAAL WILLIAMS – Wu Hen

Kamaal Williams © Glauco Canalis

Kamaal Williams - Wu Hen Cover
Foto-Credit © Glauco Canalis

Auf eines legt Kamaal Williams alias Henry Wu großen Wert, wenn jemand seine Musik einordnen will: nein, es sei kein Jazz, es sei Wu Funk, mit dem der gebürtige Londoner erst im Duo mit Drummer Yussef Dayes (Black Focus, 2016) und dann als Solokünstler (The Return, 2018) über die Hauptstadt gewordene Antithese zum restlichen Brexit-Königreich für Aufsehen sorgte – kein unberechtigter politischer Seitenhieb, scheiterte die erste USA-Tour doch an der Abschottungspolitik des geistesverwandten Grenzenfreunds auf der anderen Seite des Atlantiks. Aber zurück zum Wu Funk: irgendwo zwischen J Dillas eklektischen LoFi-Beats, Herbie Hancock in einem Club im Londoner East-End und der rauen Wut von UK Garage soll er oszillieren, sich an allen Essenzen bedienen, ganz London Underground sein. Inzwischen legt Williams, aufgewachsen in Peckham, einem Viertel im Süden Londons und assoziiert mit der dortigen Jazz-Szene (u.a. Zara McFarlane, Moses Boyd, Shabaka Hutchings), sein drittes Album, Wu Hen, vor – und auf seinen Stilmix noch eine Schippe drauf.

Führte The Return noch unmittelbar den Sound von Black Focus weiter, beginnt Wu Hen einigermaßen überraschend: Street Dreams startet mit Harfe und Saxophon, untermalt von den Streicherarrangements des Multitalents Miguel Atwood-Ferguson, der auf akzentuiertes Flimmern und Flirren statt schwieliger Paste setzt. Kommt jetzt die Abkehr vom kühlen Sound der Vorgänger, der immer zwischen Abgeklärtheit und Low-Rider-Imponiergehabe wanderte?

Nicht ganz, denn die Telefonstimme mit dem schweren Londoner Akzent im Intro von One More Time hat recht: wenn sie wollen, sind Williams und seine Crew immer noch very very nasty people – wohlgemerkt im Sinne von garstig – denn so schlängelt sich die dünne Synth-Linie über Greg Pauls punktgenaue Breakbeats. Die Übergänge zwischen den Songs gelingen beinahe nahtlos: reihten die Vorgänger auch mal bloße Skizzen aneinander, verschmilzt Williams‘ jetzt mühelos seinen bisher breitesten Stilmix. Unversehens führen die süffigen Streicher von 1989 die HörerInnen zu Toulouse, in dem das Rhodes erstmals gegen ein Klavier inklusive Big-Band-Attitüde eingetauscht wird. Die Produktion fängt die Weite des Tracks ebenso ein wie den engen Groove von Pigalle mit Quinn Masons Coltrane-Saxophon.

Wenn sich Williams auf The Return als Solokünstler etablierte, dann ist er jetzt auf Wu Hen Leader eines Kollektivs und beschränkt sich auch mal darauf, das Fundament für seine Kollegen zu legen. Im Gegenzug füllen Pauls Percussion und Masons Sax jetzt Muskelspiele wie Big Rick aus, die auf den Vorgängern wohl eloquente Solo-Übergänge zum nächsten Breakbeat-Gewitter geblieben wären. Rick Lee James‘ Bass trägt die Crew in den organischen House-Track Save Me, der schließlich von der Hymne Mr Wu gekrönt wird – eine der Selbstreferenzen Williams, der unter dem Namen Henry Wu auflegt.

Während das Album an der Seite von Lauren Faith mit dem R’n’B-lastigen Hold On langsam ausklingt, muss man sich nochmal den Sprung vor Augen führen, den Williams und Co hier vorlegen: einmal von Broken Beat zu Big Band über Coltrane zu House und zurück zum düster-verträumten Early Prayer, das nochmal den Wind durch die Straßen Londons bläst. Williams, der sich mit Vorliebe durch die Plattenkisten wühlt (und dabei einige hier unerwähnte Inspiration gefunden haben wird), hat mit Wu Hen seinen eigenen Mix zusammengebaut – und die Tracks gleich selbst komponiert.

Betitelt mit dem Kosenamen, den die Großmutter dem kleinen Williams gab, ist Wu Hen sein bisher reifstes Album. Der Londoner beweist nicht nur sein Talent für nahtlose Spannungsbögen, sondern führt einmal mehr seine musikalische Offenheit vor: egal, ob er jetzt ein DJ ist, der Jazz spielt oder ein Jazzer, der den harschen Sound Londons aufsaugt – Williams hat seinen Wu Funk beisammen.

Kamaal Williams – Wu Hen
VÖ 24.07.2020 – Black Focus Records / Roughtrade
www.kamaalwilliams.bandcamp.com
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