Alin Coen ist Nah. War sie schon immer. Ihre Texte, ihre Bühnenpräsenz, ihre Musik: Alles lässt uns über ihre Schulter schauen, einen Blick auf die innersten Gedanken werfen. Nach einer langen Album-Pause erscheint am kommenden Freitag (28. August) nun auch das Album mit ebendiesem Titel. Und es hält, was es verspricht.
Nähe kann oft mit einer Art von Druck verknüpft werden. Grade heute, wo Verbindlichkeit in jüngeren Generationen fast schon belächelt wird, jeder cooler ist als der/die andere und Distanz beinahe zum Statussymbol wird, fällt es schwer, Dinge zuzulassen, die einem zu nahe kommen könnten. Oder das, was einem das nächste ist, zu teilen. Alin Coen schafft es mit ihrem Album, diese Bedeutung gar nicht erst in Betracht zu ziehen. Sie nimmt uns mit auf die Reise, die sie mit den 12 Songs vorbereitet hat, bietet beinahe vorsichtig an, sich anzuschauen, was sie erzählen möchte. Eine Reise durch Schönheit, Schmerz und alles dazwischen, darüber, wie viel man zulassen kann und möchte. Wie leben wir zwischenmenschliche Beziehungen? Was tut uns gut?
„In den Liedern vermischen sich eigene und fremde Beziehungserfahrungen. Es ist herausfordernd und erfüllend zugleich, sich jedes Mal aufs Neue auf diese Situationen und Stimmungen einzulassen.‟
Totale Intimität, ohne übermäßigen Pathos zu bedienen, so könnte man die Texte des Albums zusammenfassen. Zersetzende Machtkämpfe, Rettungsversuche, Abschied, Liebe. Die ganze Breitseite vom Leben, die sie über die sieben Jahre, die seit dem letzten Studioalbum vergangen sind, gesammelt hat. Angst, dass ihre Musik und die damit einhergehenden Inhalte zu nah sein könnten, um sie zu teilen, hat sie allerdings nicht. Der Prozess, der zwischen der eigenen Erfahrung und dem Song als „Produkt“ steht, verarbeitet die Gedanken schon so weit, dass das persönlichste eigentlich der Spielraum wird, den sie jedem/jeder Hörer*in schenkt. Die Texte sind konkret genug, um ein Szenario darzustellen und lassen dennoch zu, dass die eigenen Erfahrungen und Gedanken es sich zwischen den Zeilen gemütlich machen können.
Wie sie diesen Spielraum schafft? Mit Geduld, Ruhe und Zuhören. Das Songwriting ist bedacht und gibt den einzelnen Gedanken Zeit, zu wachsen: „Für mich sind das ganz flüchtige Momente, in denen ich überhaupt an Textzeilen herankomme. Wie ein Erträumen von Worten, nur dass ich dabei nicht schlafe, sondern einer Stimmung so viel Raum gebe, bis ich dazu etwas erzählen kann.‟
Die Aufmerksamkeit, die dieser Art vom Musik schreiben zu Grunde liegt, spiegelt sich auch in dem, wie sich Alin Coen in der Musikindustrie für sich und andere einsetzt. Anderen Gehör zu verschaffen ist ein großes Thema. Sie engagiert sich für das Netzwerk Music Women Germany, das daran arbeitet, die Sichtbarkeit von Frauen in der Popbranche zu erhöhen. Außerdem hat sie auf Instagram die Challenge #musicwomenwednesday gestartet, bei der sich Musikerinnen gegenseitig covern – auch hier, um darauf aufmerksam zu machen, wie viele großartige, weibliche Musikerinnen es gibt.
„Man muss sich einfach immer wieder vor Augen halten, dass Frauen durch strukturelle Ungleichheit benachteiligt sind. Meiner Ansicht nach müssen Frauen im Musikgeschäft noch viel mehr entscheidende Positionen einnehmen. Die Idee ist, sich gegenseitig Räuberleitern als Aufstiegshilfe zu bauen.”
“Ganz viele Entdeckungen meinerseits kamen dann über den Instagram-Hasthtag der Challenge. Es gibt so viele tolle Frauen! Ich bin so froh, dass von denen, die mitmachen, immer die Rückmeldung kommt, dass es sie total erfüllt hat, das zu machen. Obwohl es total aufwändig ist, jeweils drei Cover! Ich habe bestimmt für jedes Video mindestens 16 Stunden investiert, mit üben, Lied lernen, vielleicht weil ich auch einfach so langsam im Lieder lernen bin (lacht). Aber ich möchte das ja auch richtig verinnerlichen, so ein Stück. Ich muss mir einen Song, den ich mir vornehme, einverleiben. Und das dauert ganz viel Zeit bei mir. Und dann auch noch das Video drehen – dann dreh ich das an irgendeiner Stelle, dann sieht das da total blöde aus, dann muss ich das noch mal drehen, suche mir einen neuen Ort, dann ist da wieder ein Fehler, beim nächsten Video dann noch ein anderer!
Wenn das eine der Sachen ist, die man auf den Social Media Kanälen postet, dann wird man dort sehr langsam. Deswegen kann ich jede verstehen, die davor zurückschreckt und sagt „Ich mach das nicht.“ Ich hatte mir allerdings vorgenommen noch mal mitzumachen, weil ich so gerne noch so viele Leute auf diese Art und Weise featuren möchte!“
Vielleicht ist es aber auch im Großen und Ganzen genau das, was die Sympathie dieser Künstlerin mit ausmacht. Es geht nicht um den tollsten, schnellsten Instagram-Kanal, um ein perfektes Auftreten und das schickste Konzept. Es geht um sie und ihre Gedanken, ihre Musik, die diese Gedanken einkleidet, um das was ihr wichtig ist, wofür sie einsteht, immer wieder und mit beeindruckender Vehemenz. Eine Entspanntheit und Ehrlichkeit, die manchmal den Druck rausnimmt, perfekt funktionieren zu müssen oder zu wollen. Eine Entschleunigung, die gut tut und mit Nah einen optimalen Soundtrack gefunden hat.
Im Track Bei dir singt Alin die Zeile: „Du tust meinem Herzen gut.“ Auf die Frage hin, was ihrem Herzen grade gut tue, antwortet sie lächelnd.
„Das erste was mir einfällt: Ich bin seit drei Jahren Mama. Mein Freund und mein Sohn, wenn die zusammen spielen, das tut meinem Herz auf jeden fall gut: den beiden beim spielen zuzugucken. Und meinem Herzen tut es gut, draußen zu sein. Unter Bäumen zu sitzen. Und meinem Herzen tut es gut, ein Ziel zu haben und das durchzuziehen bis zum Ende. Dieses Album jetzt rauszubringen. Das tut meinem Herzen auch total gut.“
Eigentlich bringt das diese Künstlerin und ihr Album Nah auf den Punkt. Was sind Alin Coen und ihre Musik? Ein Ruhepol, ein Kraftpool, eine Einladung, sich auf sich zu besinnen und das eigene Gefühl zu teilen, wenn man denn möchte. Eine Liebeserklärung an das Leben und daran, dass nicht immer alles gut sein muss, ohne das Vertrauen darin zu verlieren, dass es gut werden kann. Etwas, das vielen Herzen gut tun wird, da bin ich mir sicher.