Foto © Joseph Kadow
Oh, I have all these dark dreams
They come down like concrete
For your entertainment, ah
I’ll name it to tame it
(Giant Rooks – What I Know Is All Quicksand)
Foto © Joseph Kadow
Selten ist ein Debütalbum wohl so akribisch vorbereitet worden wie Rookery, die erste LP der Giant Rooks. Längst reichen die Schatten der einstigen Indie-Newcomer über den Wunderkind-Status hinaus, den sich die fünf Wahlberliner schon früh durch markige Singles wie New Estate, Wild Stare oder 100 mg und drei EP-Veröffentlichungen erspielt haben. Von deutschen Bühnen, über Rom, Paris, bis nach Manchester hat das junge Projekt bereits jetzt schon beeindruckende Hallen mit ihrem frischen Sound gefüllt, die andere Bands erst nach vielen Jahren auf ihren Tourplan setzen. Nun also Rookery. Ein Name der sowohl kritische Selbstbefragung wie ein Statement dessen ist, was die fünf jungen Herren seit Jahren schon eindrucksvoll und mit verfrühter Reife demonstrieren. Wer bin ich überhaupt? Wo finde ich meinen Platz in dieser Welt voller Unsicherheiten? Was gibt mir Halt, wenn der Boden unter mir nachzugeben droht? Fragen, die mitten in den Hohlraum unserer Krise(n) hinein schallen.
Die Giant Rooks haben die vergangenen Jahre intensiv genutzt, um nach dem Sound zu suchen, für den sie einstehen wollen. Das Ergebnis ist mehr als beeindruckend. Gar nicht erst dem Versuch erlegen, sich auf einen Stil festzulegen, schwimmt die Band frei zwischen modernen Einflüssen und klassischen Songstrukturen, tanzt sich dabei frei durch rockige Muster und atmosphärische Hymnen hindurch – röhrende Rhythmen tragen sie sicher durch den melodischen Strom, während die Performance von Sänger Frederik Rabe nach außen „Euphorie“ ruft, aber nicht ohne auch die Kehrseite melancholischer Versenkung zu kennen. Aus dieser speist sich die inhaltliche, die lyrische Seite von Rookery.
Zart und abwartend baut sich als erste Probe The Birth Of Worlds auf, nur von Rabes Stimme und dezenten Klaviernoten getragen. Die anschließende Öffnung des Spektrums lässt dann kurz an die breiten Klangteppiche eines Foals-Songs denken, aber ganz einsortieren will man den Grundriss dieser neuen Welt dann doch nicht. Das folgende Watershed hat bereits zuvor als Single den Weg durch unsere Lautsprecher gefunden und ist poppiger als vieles was man zuvor kannte, trägt sich aber durch den tollen Spagat zwischen fiebrigem Gitarrensound und versierten Dance-Pop-Anleihen. Der Spaß beginnt aber erst richtig ab Track drei, mit Heat Up, wo die Giant Rooks die Richtung deuten, in welche die Reise gehen soll. Beat-lastig, Synths-fiebrig und gesanglich den Grat wandernd zwischen Rap und Pop, taucht die Nummer ab in die Sehnsucht nach dem einen Gefühl: „For the lovers in the nighttime / They move, they move like fireflies / I wanna move, too / I wanna move you“.
Die große Stärke dieses Albums ist, dass die Giant Rooks auf Rookery nicht einen Hit hinter dem anderen herjagen – wer einmal auf einem ihrer stimmungsgeladenen Auftritte gewesen ist, könnte dies durchaus nachempfinden – sondern, dass sie ihr Erstwerk unter das Gerüst einer größeren Architektur aufbauen, die sorgfältig Stimmungen und Schwankungen aufbaut und wieder dekonstruiert. Einem Auf folgt oft auch gleich ein Ab, ohne dass dies jedoch zu gewollt erscheint. Rainfalls etwa, nimmt den Crescendo von Heat Up gekonnt auseinander und fungiert als atmosphärisches, wenn nicht weniger bebende Brücke zu den etwas melancholischeren Stücken Misinterpretations und Silence. Der Dammbruch folgt auf dem Fuße mit dem What I Know Is All Quicksand, ein Rooks-Exemplar erster Güte. „They put me in a cage to see what happens when / You put one in a cell without an escape plan / If I lose my mind before the first attempt / Mmh, oh, I’ll never be free again“, bricht sich Rabes energische vokale Wucht Bahn, während der Song immer die Wage zwischen euphorischem Rocksound und abschwellendem Retro-Pop hält. Inhaltlich steckt hier währenddessen eine Essenz des Albums. Wie behalte ich den Überblick über eine Realität, die mir zu entgleiten droht? „But all I thought I knew has been turned upside down… All the noise in here got way too loud“. Eine Antwort gibt weder dieser Song noch das folgende Wild Stare. Sie verleihen dem Zweifel aber einen poetischen Ausdruck. Und dieser gibt sicher mehr Halt, als vermeintliche Sicherheiten, die nach dem ersten Härtetest in sich zusammenfallen.
Während das leichte All We Are in das hymnische, einem Choral gleichende und mit Autotune-Passagen garnierte (Fans von James Blake dürften sich hier aufgehoben fühlen) Into Your Arms hineingleitet, stellt sich ein Gefühl ein, das, wenn nicht einen versöhnlichen, dann doch zumindest einen Klang der Ausgeglichenheit hervorbringt. Antworten auf die Frage nach dem Wozu? und dem Wohin? geben die Giant Rooks hier nicht. Glücklicherweise, muss man sagen. Aber sie zeichnen mit markigen Aussagen und eingängigen Harmonien ein Bild dessen, was ihre Identität und ihre weitere künstlerische Reise ausmacht. Und sollten uns noch eine längere Zeit im Ohr bleiben.
GIANT ROOKS – Rookery
VÖ: 28. August 2020 / IRRSINN Records
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