Foto-Credit @ Kim Hiorthøy
Einige Zweifel und Mühen soll Kelly Lee Owens die Arbeit an ihrem zweiten Album gekostet haben. Immerhin drei Jahre hat es bis zu seiner Veröffentlichung gebraucht, in denen die Britin sich mitsamt ihrem musikalischen Output infrage stellte. Als Gegenmittel diente schließlich auch ein halbes Radiohead-Cover, das folgerichtig die vielsagend Inner Song betitelte Platte eröffnet. Ein halbes Cover? Tatsächlich hat Owens für den Opener Arpeggi nicht nur Thom Yorkes Weird Fishes weggelassen, sondern konzentriert sich ganz auf das hypnotische Blubbern der Maschinen, das durch ihre Version schwebt.
Mit der wiedergewonnenen Leichtfüßigkeit bringt Owens auch den neuen Sound ihres Albums auf den Punkt: der Beat muss nicht erst aus schweren Klangtexturen herausfinden, sondern kommt direkt und packt zu. Tracks wie Melt!, in das Owens Samples von EisläuferInnen und schmelzenden Gletschern einbaute, machen die Klimakrise zum technoiden Vergnügen, das sich auch vom dichten Netz aus Subbässen und verhallten Gesangsspuren, das sie zuvor in On auslegt, nicht stoppen lässt. Im Gegenteil: ihr Sound ist clubbiger denn je.
Damit setzt Owens nicht bloß da an, wo sie 2019 mit der Single Let It Go / Omen aufhörte, sondern erinnert an erste Veröffentlichungen wie die 2016 erschienene EP Oleic. Damals bereits mit von der Partie war auch Koproduzent James Greenwood (Ghost Culture), mit dem sich Owens vergangenen Winter für die Aufnahmen von Inner Songs erneut im Studio einschloss. Sie lernte ihn, neben berühmten Kunden wie Andrew Weatherall, während ihrer Arbeit in einem Londoner Plattenladen kennen, die sie ihrem Job als Krankenschwester in Manchester vorzog. In der Metropole sollte die gebürtige Waliserin schließlich vom Indie-Rock zur elektronischen Musik umsteigen und 2017 ihr selbstbetiteltes Debüt vorlegen.
Auch wenn sich Inner Songs mit seiner Zielstrebigkeit von den dunklen Träumereien des Vorgängers löst, kann von einer Trennung zwischen verklärten Synthesizerflächen und hämmernden Bassdrums keine Rede sein. Den besten Beweis dafür bringt Owens mit Corner Of My Sky, für das der große John Cale – ebenfalls ein Waliser, der den Gang nach London und später zu den Velvet Underground nach New York antrat – altersweise Vocals beisteuert, bevor sie die schwingenden Dubbässe in das psychedelische Night überführt. Keine zehn Minuten liegen zwischen dem Klingeln der Gebetsglocken, Cales seufzendem „The rain, the rain, thank God, the rain“ und Owens sphärischem Gesang über pumpenden Clubsound.
Die Zusammenarbeit mit dem Avantgardisten Cale schließt dabei nicht nur biographisch den Kreis, sondern liefert mit dem pulsierenden Night auch beinahe die Antithese zu dem eher vorhersehbaren Elektropop von L.I.N.E., mit dem sich das Album einen kleinen Durchhänger leistet. Auch Jeanette konzentriert sich lieber auf gediegenes Dahincruisen, anstatt an das flimmernde Ende von Re-Wild anzuknüpfen. Das Grundgerüst aus blubbernden Synthesizern – in einem Interview bezeichnete Owens ihr Studio frei nach Aphex Twin als „Analogue Bubble“ – steht dennoch für einen eigenständigen Sound, der die Tracks zusammenhält.
Vom Zweifeln und Mühen, das die Entstehung von Inner Song begleitet haben soll, ist also nur wenig zu spüren. Stattdessen liefert Kelly Lee Owens mit ihrem zweiten Album, pointiert wie nie, eine ausgesprochen clubtaugliche Synthese aus Traumgebilden und analogem Bubblebath.
Kelly Lee Owens – Inner Song
VÖ: 28.08.2020, Smalltown Supersound
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