Mittags 12.00 Uhr im Karolinenviertel. Es ist 32 Grad warm, die Sonne brennt. Ich stehe in der Marktstraße, esse mein Croissant und betrachte allerlei Krimskrams im Schaufenster. Die kleine Diskokugel, die im Schaufenster hängt, veranstaltet ein schönes Lichtspiel dem ich eine Weile zusehe. Über ihr in dunkelroter Schrift Groove City Record Store. Ich bin mit Marga verabredet, die auf Instagram liebevoll einfach als „Boss“ betitelt wird. Als ich den kruschigen Laden betrete, bläst mir die Luft eines Ventilators in das maskenbedeckte Gesicht. Marga wartet am Tresen auf mich und bietet mir direkt eine kühle Apfelschorle an. Im Hintergrund läuft Jambú E Os Míticos Sons Da Amazônia 1974-1986 (Wie Marga mir später noch mitteilt) – passend zum Wetter.
Marga, wie kamst du/kamt ihr dazu einen Plattenladen zu eröffnen und ist das führen des Ladens & die Motivation dahinter wirklich so „romantisch“ wie es immer dargestellt wird?Ich bin Anfang der 80er nach Hamburg gezogen und habe durch einen Freund die Leute von Zardoz kennengelernt und angefangen da zu arbeiten. Der erste Laden war noch in der Osterstraße. Danach habe ich circa 5 Jahre am Paul-Nevermann-Platz in Altona gearbeitet und da die gesamten Grundlagen gelernt. Von da aus ging es dann irgendwann zu Groove City – nochmal zwischendrin zu Yo Mama – und vor 15 Jahren hab ich ihn dann von meinem Kollegen und dem Gründer Herbert Zorn übernommen.
Wie lange gibt es den Laden schon, wie hat sich die Musikindustrie seitdem verändert und würdest du heute immer noch einen Plattenladen eröffnen?
Herbert Zorn hat Groove City 1992 gegründet – in all den Jahren war es immer ein auf und ab. In den 90ern wurde Vinyl natürlich viel verkauft und mit CDs war man auf der sicheren Seite. Dann kamen die Mp3 und Streamingdienste und der Vinylverkauf brach massiv ein – dann mal wieder eine kleine Welle nach oben… Aber es ändert sich eigentlich ständig.
Vor ein paar Monaten hätte ich die Frage nach einer Plattenladeneröffnung auf jeden Fall mit JA! beantwortet – im Moment wär ich mir da nicht so sicher. Im Moment fehlen alle unsere DJs – alle Musiker, die ein Konzert in der Stadt spielen und damit für viel Umlaufpublikum sorgen. Die meisten jungen Leute können sich keine Platten für 30,00 Euro leisten. Insgesamt geht es uns gut, aber es ist auch immer eine Herausforderung.
Die Corona-Pandemie hatte ja zuletzt noch mal einige einschneidende Auswirkungen sowohl auf die Musikindustrie, als auch alle Bereiche des Tourens und Vertriebs von Musik. Wie habt ihr die Auswirkungen bei euch im Geschäft erlebt, habt ihr vielleicht auch euer Geschäftsmodell angepasst oder irgendwelche Aktionen gemacht – falls ja, wie waren eure Erfahrungen?
Wir haben im Lockdown erstmal alle Neuplatten bei discogs reingestellt – das hat uns gerettet. Wir hatten viel Solibestellungen von lokalen Kunden. Aber dann glücklicherweise auch Bestellungen aus Ländern mit einem richtigen Lockdown.
Marga kramt eine Platte von Pedro Lima raus und streckt mir das leuchtende Cover von Maguidala entgegen.
Diese hier zum Beispiel habe ich bestimmt 10 Mal in den selben Ort nach Kolumbien geschickt, weil sie dort so begehrt war. Bei uns habe ich sie nicht ein einziges Mal verkauft.
Aktuell vermissen wir einen großen Teil unserer Kunden – aber, da wir nicht nur Clubmusik verkaufen, sondern auch viele Alben, geht es einigermassen. Aber wie sich das in Zukunft entwickelt kann ich aktuell nicht vorraussehen. Und wir vermissen es sehr, auch ein sozialer Ort zu sein. Wir machen hier ja immer kleine Veranstaltungen im Laden und haben einen regelmässigen Spot im Pudel Club – das gibt es alles nicht mehr.
Wie ist jetzt eure Situation und welche Langzeitauswirkungen seht ihr derzeit durch die aktuelle Krise für euch und die allgemeine Lage von Bands/Acts, Labels und Musikschaffende?
Ich kann es echt schwer einschätzen – die Welt, von der wir ein Teil sind – existiert im Moment nicht. Ich mag gar nicht daran denken, dass Liveauftritte und Clubabende lange nicht wieder stattfinden können.
Das werden viele kleine Bars (in Hamburg haben ja viele Bars fast jeden Tag einen DJ), viele Clubs und viele Konzerthallen nicht über leben. Und dann werden die Labels und die Vertriebe folgen….
Abseits von der Krise: wie seht ihr ansonsten die Entwicklung des deutschen Musikmarktes im letzten Jahr und wie steht ihr persönlich zu Streaming-Diensten?
Wir sind eher international aufgestellt und arbeiten mit vielen Labels aus aller Welt zusammen. Ich bin aber auch immer sehr froh, wenn die Vertriebe in Deutschland wenigstens eine rudimentär funktionierende Seite haben – es ist mir schleierhaft, warum so viele so schlecht aufgestellt sind…
Ich mag den Leuten nicht vorschreiben, wie sie was hören. Ich verstehe vor allem durchaus, dass man für eine LP nunmal 20-30 Euro ausgeben muss. Und auch, dass man für die Hälfte jeden Monat so viel Musik hören kann wie man will. Viele Kunden entdecken dort aber auch Künstler und Alben, die sie dann bei uns kaufen. Und wenn wir gleichzeitig bedenken, wie schlecht die Radiosender, besonders in Hamburg (!), sind. Dann lernen die Leute wenigstens da was kennen – denn im Radio ja wohl eher nicht.
Auf welches neue Album freut ihr euch persönlich als nächstes und bei welchem erwartet ihr einen Verkaufsschlager bei euch im Laden?
Wir haben gerade Siti Muharam – Siti of Unguja (Romance Revolution on Zanzibar) und lieben es sehr. Es ist von einem neuen Label in London, die eher aktuelle Outernational Musik rausbringen…
Das letzte war vermutlich The Tales People Tell von Kelly Finnigan. Die Frage ist für mich aber schwer zu beantworten – bei uns funktionieren „Verkaufsschlager“ sehr über „Multiplikatoren“, zum Beispiel Künstlerauftritte und die fallen gerade aus.
Nur eine halbe Stunde hat mein Treffen mit Marga gedauert, aber ich habe das Gefühl ich hätte währenddessen eine kleine Weltreise gemacht. Sie erzählt mir auch, dass alle Musik die im Laden zu finden ist auch von ihr und ihren Kolleg*innen selber gehört und ausgesucht wird.
Ich muss den Kund*innen ja auch vernünftig was empfehlen können. Ich kenne quasi jedes Album hier und kann dadurch noch besser Empfehlungen geben. Das ist Musik die mich selber begeistert.
Sie sei aber auch dankbar dafür, dass andere Läden breiter aufgestellt sind und sie auf diese verweisen kann, wenn Kund*innen wegen bestimmter Platten hereinkämen.
Na, wenn jemand Pink Floyd möchte dann schicke ich sie einfach die Straße runter.
Und wenn jemand nicht nur Pink Floyd will – sondern sich auf eine kleine Reise entführen lassen will – dann sind Marga und das Team vom Groove City genau die richtigen. Bevor ich mich verabschiede trinke ich meine Apfelschorle aus und verspreche im nächsten Monat mal wiederzukommen und mich musikalisch entführen zu lassen.
GROOVE CITY RECORD STORE
Marktstraße 114
20357 Hamburg
Mo.-Sa.: 11-19 Uhr
www.groovecityrecordstore.com
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