Photo © Alex Kozobolis
Zu Beginn von Ithaca rollen einige sanfte und langsame Klavier-Arpeggi in die Stille hinein, bald unterstützt von dahinschmelzenden Saxofon-Parts und kaum merklichen Drum-Elementen. Es herrscht noch Ruhe vor dem Sturm, den das britische Jazz-Electronica-Trio Mammal Hands auszulösen in der Lage ist. Und auch ihr mittlerweile viertes Album Captured Spirits ist ein Beleg für die musikalische Gratwanderung zwischen Hypnose und Ekstase, die das Norwicher Dreigespann um Saxofonist Jordan Smart, Pianist Nick Smart und Drummer Jesse Barrett seit ihrem 2014er Debüt Animalia konsequent vorantreibt.
Chaser als zweiter Track offenbart dann die Dynamik von fiebrigen melodischen Ausflügen und einem temporeichen Vibe, der das Stück von vorne bis hinten durchdringt. Das Piano setzt hier diesmal den knackigen Startpunkt, das Schlagzeug und das Saxofon drängen dann schließlich mit dazu und entwickeln einen groovigen und rastlosen Vibe, welcher die sprichwörtliche „Jagd“ musikalisch akzentuiert und den atmosphärischen Pegel für das setzt, was noch folgen soll. Das folgende Late Bloomer lässt sich erst ganz auf einige verträumte Passagen ein und baut sich schließlich fast unmerklich zu einem getriebenen Stück auf, in dem sich ekstatische Saxofon-Solos mit den Grund gebenden Rhythmus-Elementen von Klavier und Schlagzeug vermischen. Hier wird wachgerüttelt, dass der Mund vor Staunen fast offenbleibt.
Den auftreibenden Momenten von Captured Spirits folgen meist gleich versunkenere Melodien, es sind sphärische Tauchgänge à la Versus Shapes, Spiral Stair oder Shoreless, die, wenn immer auch von dezentem Rhythmus bestimmt, das Tempo drosseln und eine gewisse Verträumtheit auslösen. Auch Floating World bietet ein solches, fast düsteres Klanggebäude, wenn sich einige wenige Klaviernoten, umgeben von tieferen Saxofon-Noten, nebelhaft durch das Stück ziehen. Weit komplexer brüsten sich da Stücke wie Riddle und Rhizome, völlig treffend betitelt – hier prallen ausgefeilte Klangformen und Arrangements auf perfektionierte Groove-Strukturen. Atmosphärisch aufgebaut, brechen die Saxofon-Soli mit brachialer Schönheit etwa aus Riddle hervor, lösen sich im Schatten mono-thematischer Piano-Elemente wieder aus dem euphorischen Schwall heraus und verebben schließlich im klanglichen Dunst ihres eigenen Widerhalls. Rhizome steht dem in nichts nach, ebensowenig wie das feurige Into Sparks. Im Vergleich zu so viel vibrierender Energie erscheint das finale Stück Little One fast schon zurückhaltend, hier fließen die Fäden wieder zusammen. Hier schließt sich der Kreis.
Kann man von inhaltlicher Inspiration im Bezug auf ein Instrumental-Album sprechen? Unbedingt, wenn man Saxofonist Jordan Smart glauben will. “Music has the capacity to fill so many spaces in our lives, as I think fundamentally it is a more direct form of communication than even language. In this way it can be refuge, it can be social, it can be revelatory, it can be memory, it can be what we need at a given point in time”, äußert Jordan. Und überhaupt: Gibt nicht gerade rein musikalischer Ausdruck überhaupt eine Ahnung davon, was uns allen durch die Venen und Nervenstränge fährt? Im Bezug auf das Album betont Pianist Nick Smart, wie das Album die thematische Reise von Shadow Work weiterführt. Captured Spirits „ties in with themes that we have touched on before relative to identity and the collective unconscious (‘Shadow Work’). It also toys with the idea of feeling contained/trapped and the need to break out of something and also the idea of people being spirits that are “captured” in a body”.
Mit Captured Spirits haben die Mammal Hands den beeindruckenden Versuch geleistet, eben diese Erinnerungen, Visionen und Ahnungen in eine musikalische Form zu pressen. Herausgekommen ist ein intensives Werk, das wirklich in Atem hält, den Atem auch mal nimmt, vor allem aber über viele, weite Strecken begeistert und in den Bann zieht. Es wird sich lohnen, diese drei Briten in Zukunft noch genauer im Auge zu behalten.
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