You get what you wanted
You get all you needed
The picture is clearer
More time in the mirror
Everybody wants and needs
(Mildlife – Vapour)
Eine Band genreübergreifend zu nennen, weil sie sich gerade anschickt, einen Weg aus den allergewöhnlichsten Schubladen hinauszufinden, ist ein praktischer Kniff für Musikjournalismus, Musikmarketing und die gemütlichen Gewässer dazwischen. Noch besser aber ist es, wenn sich eine – oder gleich ein ganzer Haufen an Bands – anschickt, ein mehr oder weniger neues Genre zu etablieren. Nachdem Gruppen wie Altin Gün, die Mauskovic Dance Band, Klaus Johann Grobe oder L’Eclair vorgelegt hatten – und die Garagenrocker von The Orielles im Februar diesen Jahres auf den Zug aufsprangen, ist klar: das Psychedelic-Revival ist längst aus dem Schatten der allmächtigen Tame Impala hervorgetreten und hat es geschafft, einen Stil zu etablieren, der origineller ist als der H&M-taugliche Elektropop Kevin Parkers und zugleich virtuoser als die ewig gleichen Gitarren der Surf-Bands. (Deren Reputation ist mit dem beschämenden Ende des Szene-Flaggschiffs Burger Records ohnehin im Sinken begriffen – aber kein Grund für Seitenhiebe: wenn etwas genre- und szeneübergreifend funktioniert, dann Sexismus).
Mit dem australischen Quartett Mildlife, das bereits 2018 mit seinem Debütalbum Phase für Verwirrung sorgte – sollte das etwa moderner Jazz sein? – feilt jetzt eine weitere Band am noch namenlosen Sound, der sich mit Referenzen von CAN bis Herbie Hancock schmücken darf. Zugegeben, die sechs Songs auf Automatic erinnern doch stark an Head Hunters – und selbst für den nur durch Daft Punk vor dem Technik-Museum bewahrten Vocoder ist noch Platz.
Aber der Reihe nach: der Opener Rare Air, eröffnet die Tanzfläche selbstbewusst mit einem Reigen aus Bongos, trompetenden Lead-Synthesizern und verklatschten Vocals. Im Hintergrund zwitschert jedoch ein feiner Acid-Synthesizer vor sich hin, dessen Wiederholungen dem Ganzen eine technoide Spannung verleihen. Auch vom anschließenden Vapour dürften sich die Düsseldorfer Urväter Ralf und Florian bestätigt sehen, vergoldet der Track seinen hübschen Groove doch mit einem stilechten Flöten-Solo. Nachdem dann das mit seinen Folk- und Funkgitarren bouncende Downstream schon die mittlerweile bekannte Wehmut hervorruft, den Spaß in absehbarer Zeit nicht live erleben zu dürfen, fährt das ausladende Citations erstmal einen Gang runter.
Zeit also, sich das mit dem neuen Genre-Begriff nochmal zu überlegen: klar, Space muss rein, sobald nur etwas Hall auf dem Analogsynthesizer liegt; Disco, weil der Bass im Bauchnabel des Viervierteltakts so schön prickelt; und wer Head Hunters sagt, muss auch Fusion sagen, auch wenn der Begriff so ausgelatscht ist wie die Füße nach dem Besuch des gleichnamigen Festivals. Weitere Inspiration gefällig? Memory Palace kombiniert ein House-Piano mit Gitarrenlicks, die aus dem Gesamtwerk George Bensons gerettet wurden, bevor der Titelsong Automatic es endlich bringt, das Daft–Punk-Zitat – und das Spiel mit den Referenzen mit dem Verweis auf jene, die auch schon alles sampleten, kopierten und zusammenschmolzen endgültig ad absurdum führt.
Am Ende macht das zweite Album, den eingangs genannten Bands ähnlich, einfach großen Spaß: nicht, weil sich die Inspirationen auseinanderklamüsern lassen, sondern weil es auf einen Schlag vierzig Minuten grundentspannter Tanzmusik liefert, aus der vor allem die Freude am Musikmachen klingt. So darf sich der mit Erwartungen und Deutungen überfrachtete Pop mal eine Pause gönnen, in der er*sie höchstens über den Unsinn musikalischer Schubladen nachdenken muss. Ein Glück übrigens, dass Mildlife anständige Musiker geblieben sind und längst gesagt haben, sie selbst seien mit dem Etikett genre-übergreifend ganz zufrieden.
Mildlife – Automatic
VÖ: 18. September 2020 – Heavenly Recordings
https://mildlife.bandcamp.com
https://www.instagram.com/mildlife_/