JAPANISCHES DESIGN seit 1945 – Naomi Pollock

japanisches Design seit 1945

Eine Buchkritik zu einem zunächst speziell erscheinenden Thema, wie der Titel japanisches Design seit 1945 suggeriert, erscheint zunächst etwas ungewöhnlich, beschäftigen wir uns doch normalerweise eher mit popkulturellen, aber alternativen und unabhängigen Lebensentwürfen und -trends. Diese Rezension tanzt also etwas aus der Reihe und ist zum einen der persönlichen Vorliebe des Autors, als auch der puren Qualität des im Dumont Verlag erschienenen und knapp 450 Seiten umfassenden Buches geschuldet.

japanisches Design seit 1945 2Einen ersten Einblick in die Welt des japanischen Designs gibt Masaaki Kanai, Präsident der international agierenden und an der Börse dotierten Designkette Mujirushi Ryōhin, besser bekannt unter dem Namen MUJI. Das Akronym steht dabei salopp übersetzt für den Ausdruck „Keine Marke, gute Produkte“ und ist geprägt von der Materialwahl, dem rationellen Herstellungsprozess und der generellen Simplizität seiner Produkte und ihrer Verpackungen. Lediglich das Design und die pure Nützlichkeit der Produkte sollen den Kunden überzeugen, nicht aber bekannte Namen. Schon in seiner Einleitung erwähnt Kanai immer wieder auftretende Motive, die das japanische Design prägen, wie das unablässige Streben nach Funktionalität und Perfektion, sowie ein Leben im Einklang mit der Natur und Umgebung. Wertvorstellungen, die im Finanzkapitalismus immer wieder an ihre Grenzen stoßen und deshalb von der japanischen Regierung als integraler Bestandteil der Kultur bewusst gefördert wurden. Made In Japan ist für ein Produkt als handwerklicher und designtechnischer Ritterschlag zu verstehen – damals, wie heute.

In den ersten Kapiteln werden die Giganten der japanischen Designgeschichte beleuchtet. Die Auswahl blendet nicht durch ihre enorme Strahlkraft, sondern gräbt tiefer und arbeitet die Implikation der Künstler für das moderne japanische Design deutlich heraus. Egal ob es sich um die unperfekte Natürlichkeit der Textilentwürfe von Jurichi Arai, die minimalistischen Poster von Yūsaku Kamekura oder die umfassende Wärme von Naoko Fukasawas Produktdesign handelt: Japanisches Design seit 1945 bildet wie viele Designbücher nicht einfach nur Objekte ab, sondern nimmt sich die Zeit, um Hintergründe ausführlich zu beleuchten und Geschichten zu erzählen. Noch ein wenig mehr über japanische Kultur und soziokulturelle Treiber erfährt man in den eingestreuten Essays, von unter anderem der Autorin Naomi Pollock, über Raumgestaltung und Stuhldesign. In Japan kamen klassische Stühle mit Beinen erst seit der Öffnung für den Rest der Welt, also während der Meji-Zeit (1868–1912), auf – vorher spielte sich das häusliche Leben in Japan auf dem Fußboden ab. Somit hat der uns bekannte Stuhl in Japan eine noch sehr junge Geschichte, die vor genanntem Hintergrund eine neue Bedeutungsebene bekommt.

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Die restlichen Kapitel beschäftigen sich mit Designern und Alltagsikonen, die in die Kategorien Tische & Stühle, Essen & Trinken, An & Aus, Werbung & Verpackung, Tuch & Textil und Lifestyle & Freizeit unterteilt sind. Immer wieder stolpert man über bekannte Designerzeugnisse, wie die ikonische Kikkoman Flasche für Sojasauce oder Entwürfe der Technik-Giganten Sony oder Yamaha und freut sich über die hochgradige Darstellung des japanischen Designuniversums. Komplettiert wird das Buch durch ein Verzeichnis aller Designer, kurzen Anmerkungen und Tipps für weiterführende Literatur. Ein wunderbar rundes Paket also.

Japanisches Design seit 1945 ist mehr als ein gewöhnlicher Bildband, sondern verdeutlicht Zusammenhänge zwischen einer faszinierenden Kultur, wie sich ihre Besonderheiten in künstlerischen Entwürfen niederschlagen und wie sie im historischen Kontext einzuordnen sind. Damit bietet das Buch mehr als das simple Betrachten von schönem Design und erschliesst damit mannigfaltige Interessengebiete. Abgerundet wird der großartige Gesamteindruck durch ein tadellose Verarbeitung: Mit seinem adaptierten A4-Format (etwas weniger hoch, dafür etwas breiter) wird den über 700 Abbildungen der nötige Raum geboten, um zu wirken. Dabei bleibt japanisches Design seit 1945 trotzdem handlich genug, man will es immer wieder in die Hand nehmen. Eine Bewegung, die wir ohne Einschränkung empfehlen können, genau wie das Buch japanisches Design seit 1945.

Japanisches Design seit 1945 – Naomi Pollock
Übersetzung: Annika Klapper, Nina Goldt
448 Seiten; ISBN: 978-3-8321-9984-5
VÖ: 13.10.2020, Dumont Verlag
58 Euro

Fred

Fred ist 32 Jahre, wohnt in der Pop-City Damstadt und mag Hunde, Pizza und Musik.

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