Foto © Johnny Eastlund
I am a sundowner
So live and leave
I am a sundowner
Don’t let the sun go down on me
(Kevin Morby – Sundowner)
Als ob das Halblicht der untergehenden Sonne des nordamerikanischen mittleren Westens nicht schon auch so genügend durch die zehn Songs von Sundowner scheinen würde, gibt Singer-Songwriter Kevin Morby seinem Publikum noch eine stimmungsvolle Definition des Titels seiner neuen Platte an die Hand. Ein poetisches Leitmotiv, wenn man so will: „sun·down·er /ˈsənˌdounər/ (noun) – One who feels increased melancholy during twilight hours“, so liest man dieser Tage auf seiner Webseite und findet dort außerdem eine ausführliche und liebevoll ausgestaltete Erzählung des Entstehungsprozesses seines sechsten Albums.
Künstlerische Räume sind oft mit einer Bewegung nach außen verbunden. Vertrautes, wie auch Erlerntes wird hinter sich gelassen, um den Blick für Neues freizustellen. Für Kevin Morby, einem wahren Troubadour unserer Zeit, der nicht umsonst Lou Reed und Bob Dylan zu seinen größten Einflüssen zählt, begann die musikalische Reise, an deren Ende nun Sundowner steht, letztendlich mit der Entscheidung, im Winter 2017 Los Angeles den Rücken zu kehren und wieder in seine Heimatstadt Kansas City zu ziehen. Dort nahmen diese neuen Songs im Zuge der Entstehung seines 2019er Albums Oh My God auf einem Tascam Multitrack-Recorder Form an. Und vor allem die Stunden der sich legenden Sonne, im Winter „icy and distant“ und im Sommer „warm and abstract“ sind Morbys Koordinaten, die Sundowner seine Authentizität und seine warme und organische Struktur verleihen.
Ein paar einfache Akkorde auf der akustischen Gitarre leiten in Valley ein. Und als hätte der junge Bob Dylan seine Stimme noch einmal erhoben, entfaltet Kevin Morby einen weiten akustischen Raum, immer zwischen einer rauen Kantigkeit und sanfter Ästhetik verbleibend. Brother, Sister, nimmt diese Weite auf, auch musikalisch, und lebt von einer subtilen Dramatik und einem Blues, der einfach fesselnd und dabei doch verspielt daherkommt. Der Titeltrack Sundowner führt dann an den atmosphärischen Kern des Werks. Leichte akustische Gitarrenakkorde und der verwegene Klang des Gesangs, der kaum gewollt melodisch akzentuiert wird, eher schleppend und abgewetzt, mischen sich mit einem melancholischen Grundton. „I am a sundowner / Please /Don’t let the sun go down on me“, fleht der Interpret hier. Und es ist dieser schmale Raum zwischen weltabgewandter Melancholie und dem passionierten Aufgehen inmitten dieses Gefühls, das hier beschrieben wird. Eingebettet wird diese Emotion in poetische Bilder des dämmernden Tages, die gemeinsam mit der Zartheit der Musik zu ihrer vollen Blüte gelangen.
Wenn man dem Album etwas ankreiden möchte, dann den Eindruck, dass dieser Flow nur allzu sehr den Ton von Sundowner dominiert. Musikalisch ist vieles ähnlich gestaltet, folgt einem vergleichbaren Impuls, wo man vielleicht mehr Variation erwarten könnte Nach einer Weile fühlt es sich tatsächlich schwer an, sich aus dieser Stimmung, aus dem atmosphärischen „glow“ zu befreien. Doch wenn es sich richtig anfühlt, dann ist das am Ende auch einfach nur konsequent und wird der poetischen Formel, mit der der Künstler dieses Album auflädt, nur gerecht.
Sundowner ist eine melancholische und poetische Versenkung in die abenddämmernden Stunden im nordamerikanischen Naturidyll des mittleren Westens. Dabei gelingt es dem Album, die räumlichen Stimmungen in musikalische Welten zu versetzen, die faszinieren, berauschen und die man nur ungern wieder hinter sich lässt. „Sundowner is my attempt to put the Middle American twilight — its beauty profound, though not always immediate — into sound“, sagt Kevin Morby selbst über sein Projekt. Das ist ihm in wirklich authentischer Weise gelungen.
Kevin Morby – Sundowner
VÖ: 16.10.2020 / Dead Oceans
http://www.kevinmorby.com
https://www.facebook.com/kevinrobertmorby