Foto-© Bettina Theuerkauf
„Seit ich Musik mache, wollte ich immer etwas haben, das nur meines ist.“ So entschied Max Rieger 2013 neben seinen Bands Die Nerven und Die Selektion und diversen Produzenten-Tätigkeiten mit all diese gewalt sein erstes Soloprojekt zu verfolgen. Und mit diesem veröffentlicht er nach 4 Jahren mit ANDERE sein neues Solo-Album am kommenden Freitag via Glitterhouse Records! Wir sprachen mit dem Musicaholic und erfolgreichen Produzenten (Drangsal, Ilgen Nur, Jungstötter, Mia Morgen…), Jahrgang 1993, über sein neues Solo-Album, den Gitarrenlehrer der Nation, poetisierte Sprache, den Unterschied zwischen Produzententätigkeit und für sich selbst zu produzieren und vieles mehr! Unser Interview!
Hallo Max! Wie geht es dir und wie hast du die letzten Monate wahrgenommen?
Ich fand es ehrlich gesagt größtenteils recht angenehm. Es war ganz interessant, als Corona los ging und plötzlich alle Probleme damit hatten daheim zu bleiben, da dachte ich mir, dass das eigentlich seit Jahren mein Leben ist. Ich pendle eigentlich eh nur zwischen Studio und daheim und hab mir dann zwei Monate lang mein Studio als Homeoffice eingerichtet, weil ich zu dem Zeitpunkt kein Fahrrad hatte und nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren wollte. Aber ansonsten hat sich nicht so unglaublich viel verändert bisher, außer, dass natürlich jetzt eine gehörige Portion Zukunftsangst mit dazu gekommen ist, die aber eigentlich auch schon vorher angebracht gewesen wäre.
Am 06.11. kommt ja dein zweites Album raus, dessen Entstehungsprozess sich über vier Jahre gezogen hat, aber trotz der bevorstehenden Veröffentlichung, sagst du selbst, dass du das Album „hasst“. Schwingt da teilweise vielleicht der Druck der zweiten Platte mit?
Ne darum geht’s nicht, es ist ja auch nicht das zweite Album, was ich in meinem Leben mache. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, aber es sind ja einige. Ich hab auch gar keine Angst wie die Platte aufgenommen wird, sondern in dem Zitat, auf das du anspielst ging es eigentlich mehr darum, dass, wenn man nach so einem vierjährigen Prozess das Album vor sich hat, alle Entscheidungen getroffen sind und sich nichts mehr daran rütteln lässt. Das ist immer ein sehr schmerzhafter Moment. Vor allem weil ich mich auf dem Album auch was getraut habe und jetzt ist es nicht mehr „Mal gucken was ich mit der Idee mache“, sondern ich habe mich so entschieden, dass das hier jetzt ist, was es ist und so bleibt es auch, das lässt sich jetzt nicht mehr ändern. Meine allererste Reaktion darauf war wirklich „Was hab ich da getan?“. Aber jetzt ein paar Wochen und Monate später, kann ich es selbst auch als Polemik einordnen was ich da gesagt hab. (lacht) Natürlich finde ich es nicht furchtbar! Ich bin jetzt auch vermehrt gefragt worden, ob das nicht eigentlich ein Grund wäre dieses Album nicht zu veröffentlichen, wenn ich’s doch so schlimm finde, aber ich glaube, dass die Kraft dann darin besteht, dass man es trotzdem veröffentlicht und sich sozusagen auch etwas nackt macht. Darum geht’s eben, wenn man die ganze Zeit zu sehr darauf bedacht ist sich nicht nackt zu machen, dann kann man auch nichts von Substanz veröffentlichen, dann ist man eigentlich bloß in einer Spirale der Angst vor sich selbst.
Ich hab gehört, dass dein Einstieg in die Musikwelt etwas holprig war, weil du als Kind keine Lust auf Klavierunterricht hattest. Wie kam es denn dann dazu, dass du als Jugendlicher die Begeisterung an Musik entdeckt hast und angefangen hast Gitarre zu spielen?
Mein Bruder hatte angefangen Gitarre zu spielen, also hat er irgendwann eine Gitarre bekommen und Unterricht und dieses Peter Bursch Gitarrenbuch. Peter Bursch ist ja der Gitarrenlehrer der Nation.
Ja das Buch hatte ich auch!
Ja Hammer! Hammer Typ! Und dann meinte ich zu meiner Mutter, dass ich auch Gitarrenunterricht haben will, sie meinte dann aber, dass der Zug abgefahren sei, das hätte ich mir verspielt, das würde wieder enden wie beim Klavier. Dann hab ich mir eben mit Peter Burschs Hilfe Gitarre spielen selbst beigebracht, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Das war so der erste Step, der zweite Step kam dann, als ich zum ersten Mal ein Musikprogramm am Computer hatte, das war eigentlich da wo es dann geklickt hat. Da hab ich dann gemerkt, dass mir das Spaß macht. Bei mir an der Schule gab’s einen iMac und da gab‘s dieses GarageBand drauf, da muss man gar keine Ahnung haben, da zieht man einfach irgendwelche Loops rein und man kann direkt innerhalb von ein paar Minuten etwas machen, was sich nach Musik anhört. Da hab ich dann immer die Mittagspausen verbracht und hab dort eben angefangen Musik zu machen.
Also war das dann quasi genau wie beim Gitarre spielen so ein learning by doing Ding?
Ja genau, ich hab das ja nie gelernt, ich kann auch keine Noten lesen und hab keine tontechnische Ausbildung oder sowas. Eigentlich bin ich absoluter Quereinsteiger, bloß weil ich Freude daran gehabt hab und ich gemerkt hab, dass das das ist, was ich machen will. Aber ich wollte es auch nicht studieren, weil ich immer nur das lernen wollte, von dem ich denke, dass ich es brauche und bin bisher denke ich auch ganz okay damit gefahren.
Ich wollte gerade sagen, es scheint ja mit deiner Methode ganz gut zu laufen!
Du bist ja auch nicht nur als Musiker in der Musikszene tätig, sondern vor allem auch als Produzent. Gibt es für dich einen Unterschied, ob du etwas für dich selbst oder für andere Künstler*innen produzierst? Beziehungsweise ist es einfacher Input von anderen Personen zu bekommen oder ist es einfacher dich nur mit dir selbst auseinanderzusetzen?
Es ist auf jeden Fall viel schwieriger mich nur mit mir selbst auseinander zu setzen und auch mich zu entscheiden, was ich selber eigentlich möchte. Deswegen dauern all diese gewalt Alben auch immer so lange, weil es einfach super anstrengend ist und ich alles doppelt und dreifach umdrehe und versuche es von allen Seiten zu betrachten. Wenn ich produziere und mit anderen Leuten arbeite, dann ist dieser Druck direkt geteilt. Wenn zwei Leute in einem Raum sind und die holt etwas ab, dann ist das geil. Wenn man aber alleine da sitzt, dann muss man ja immer wieder mit sich selbst ausmachen, ob das eine gute oder eine schlechte Entscheidung ist, was man da gerade tut. Deswegen kann ich ganz klar sagen: Für und mit anderen Musiker*innen zu arbeiten ist viel einfacher.
Neben all diese gewalt hast du ja noch dein Soloprojekt Obstler, deine Band Die Nerven und produzierst gleichzeitig für viele weitere Künstler*innen. Ist es manchmal anstrengend diese hohe Frequenz zu halten. Beziehungsweise sind im Kontrast dazu Projekte wie all diese Gewalt und Obstler so etwas wie „me-time“?
Obstler ist mehr ein, ich sag mal „Spaßprojekt“, im Sinne von, dass es mir Spaß macht daran zu arbeiten, ich erwarte davon auch überhaupt nichts. Den Großteil der Zeit schäme ich mich eigentlich eher dafür, dass es zu viel Aufmerksamkeit bekommt. (lacht) Ich mache das halt und will es dann auch nicht in der Schublade verschwinden lassen. Ich denke dann, dass ich das irgendwie okay finde und deswegen möchte ich das dann raus bringen, aber dann bekommt es plötzlich zu viel Aufmerksamkeit.
Aber eigentlich ja schön, dass du deiner Kreativität dann so freien lauf lassen kannst, deine Freunde noch mit ins Boot holst und ihr einfach Spaß an der Sache habt.
Ja das Ding ist nur, dass das im letzten Jahr dazu geführt hat, dass mein Name plötzlich auch mit Black Metal in Verbindung gebracht wurde. Damit habe ich ja überhaupt gar nichts zu tun, ich hör überhaupt kein Black Metal, ich hab keine Ahnung davon und ehrlich gesagt find ich auch die ganzen Leute die Black Metal machen und hören ziemlich scheiße. Das ist immer bloß wie so ein Ventil. Als ich mein Studio durch Corona nach Hause verlagert habe, dachte ich, jetzt wo die ganzen Straßen so leer sind, ist das doch genau der Richtige Zeitpunkt um so ein Black Metal Album zu machen. Mehr sollte es aber auch nicht sein. Ich glaube, dass es nicht so bald was neues von Obstler geben wird, ich denke ich habe das Ding jetzt erstmal fertig erzählt.
Ist denn dann all diese gewalt für dich eher Arbeit oder eher „Freizeit“?
Ich glaube nicht, dass man das so einfach sagen kann. Es fühlt sich an wie Arbeit, aber ich mache es in meiner Freizeit, vielleicht könnte man es so sagen. (lacht)
Du hast über die Platte ANDERE gesagt, dass du Sprache nicht poetisieren willst. Bedeutet das, dass du deine Musik somit zugänglicher für die Hörer*innen machen willst, oder ist es für dich leichter in klaren Aussagen zu schreiben?
Beides wahrscheinlich ein bisschen. Also ich stelle fest, je simpler Texte sind, desto besser steige ich drauf ein und je simpler Texte sind, desto besser sind sie auch. Weil sie nicht groß um etwas herumreden und weil sie nicht so mystifiziert sind. Statt zwei Worten würde ich eigentlich immer gerne eins benutzen und statt einem würde ich eigentlich am liebsten gar keins benutzen, aber das schaffe ich leider nicht. (lacht) Und ja genau, natürlich Zugänglichkeit, ich bin nicht absichtlich angetreten um irgendeine Nische zu bedienen, sondern ich mache halt die Musik, die sich für mich richtig anfühlt und offensichtlich ist das, was sich für mich richtig anfühlt nischig. So versuche ich es immer mir selbst zu erklären, aber es ist nicht so, dass ich mich hinsetze und sage, dass ich was machen will, was nur die Wenigsten verstehen. Ganz im Gegenteil, ich will eigentlich, dass es immer nachvollziehbar ist und dass es verständlich bleibt in was auch immer es ist.
Beeinflussen denn die anderen Musiker*innen, mit denen du als Produzent zusammen arbeitest deine Arbeit an deinem Soloprojekt? Zum Beispiel bei Erfolgreiche Life ist mir aufgefallen, dass der Sound auch in Teilen auf einem Drangsal oder Mia Morgan Album zu finden sein könnte.
Alles beeinflusst den Sound! Sowohl natürlich die Musik an der ich arbeite, als auch die Musik, die ich höre. Es ist alles immer ein geben und nehmen.
So weit ich weiß hat dich ja auch Marylin Manson vor allem in deiner Jugend extrem geprägt, nimmt auch sein Sound nach wie vor Einfluss auf deine Art Musik zu machen?
Er hat mich auf jeden Fall geprägt, ich hab aber später auch festgestellt, dass der eigentliche Sound, der mich wirklich abholt nicht an Marylin Manson liegt, sondern eben an Trent Reznor von den Nine Inch Nails. Ich würde immer noch sagen, dass er einer der Schlüsselproduzenten und -musiker in meinem ästhetischen Verständnis von Songwriting und Produktionsstil ist. Er hat mich auf jeden Fall geprägt, ist immer noch eine wichtige Person.
Das vergeht wahrscheinlich auch nie, selbst wenn die Musik vielleicht irgendwann schlecht wird.
Ja genau, wie zum Beispiel auch bei Marylin Manson, das ganze Zeug, was da seit 2002 oder so raus kommt ist unerträglich. Erst jetzt neulich kam ja ein neues Album von ihm raus, mit einem Country Produzenten und das ist echt eine Katastrophe. (lacht) Aber bei Trent Reznor ist das nicht so, der ist dann auch in die Filmmusik und hatte dadurch die Möglichkeiten weiterhin das zu machen, was er will. Oder auch, dass er die Band Nine Inch Nails von einem finanziellen Lieferungsdruck abkoppeln konnte, was eigentlich das beste für deren Musik war. Auch wenn ich mir jetzt eben nicht alles anhöre was Nine Inch Nails raus bringen, merkt man, dass er den Luxus hat mit der Band das zu machen, was sich für ihn richtig anfühlt, das ist eigentlich das Wertvolle daran. Genau das finde ich total inspirierend.
Du sagst, dass du verletzlicher bist, wenn du alleine arbeitest, bist du vor Solo-Releases aufgeregter, weil die Verantwortung quasi bei dir liegt?
Kann ich jetzt noch nicht beurteilen, weil es jetzt immer noch einen Monat hin ist. Aber ich glaube jetzt in dem Fall bin ich bereit. Das Album ist jetzt schon eine Weile fertig und ich habe mich damit abgefunden, ich freue mich einfach auf den Tag, an dem es raus kommt, weil es mir dann nicht mehr gehört. Ich will nicht mehr, dass es mir gehört. Ich würde es jetzt gerne loslassen, das wär ganz gut für mich.
Nach vier Jahren ist das dann wahrscheinlich auch total befreiend oder?
Ja total! Ich freue mich sehr auf den Tag.
Wenn du unseren Leser*innen drei Songs empfehlen könntest, die Jede*r mal gehört haben sollte, welch wären es?
Vielleicht nicht Songs, aber ich könnte auf jeden Fall mal ein Album nennen und zwar von Talk Talk – Spirit of Eden, wenn man mich fragen würde was mein Lieblingsalbum ist, dann würd ich wahrscheinlich dieses Album nennen. Unglaublich. Wirklich Unglaublich!
Und dann eigentlich alles von Alice Coltrane, aber vor allem Turiya Sings, auch ein wahnsinnig tolles Album. Dann würde ich noch ein Album reinpacken von der Band Swans, was mich seit acht Jahren begleitet und trotzdem nichts an seiner Kraft einbüßt, das finde ich total erstaunlich. Und zwar das Album the Seer.
Ich kann mir vorstellen, wenn man viel im Musikbusiness arbeitet, gerade du als Produzent, dann ist es wahrscheinlich schwierig Musik noch genauso toll zu finden wie man sie vielleicht früher fand oder?
Ja, weil es sich auch alles so entzaubert, das ist halt der Preis, den man leider zahlt, wenn man sich den ganzen Tag mit Musik auseinander setzt. Plötzlich kann man keine Musik mehr hören und deswegen habe ich diese drei Alben gennant, die könnte man auch als Raumduft benutzen (lacht), weil sie eine Atmosphäre und eine Stimmung schaffen. Und irgendwie haben alle drei Alben auch etwas unklares und etwas verwaschenes, an dem man sich nicht festhalten kann. Ich glaube wenn man sich zu sehr an etwas festhalten kann, dann entzaubert sich das irgendwann. Diese drei Alben haben gemein, dass ich nicht weiß, wie man so etwas machen kann, natürlich verstehe ich es technisch, aber welche Milliarden Entscheidungen getroffen werden müssen, dass es das ist, was es ist finde ich bis heute echt erstaunlich. Unglaublich erstaunlich.
Das ist aber generell spannend, wie kleinste Entscheidungen den Sound von etwas und ein Album im Ganzen im Endeffekt beeinflussen.
Ja genau, es ist ja nicht eine Entscheidung, die man trifft, sondern es sind hunderte Kleinstentscheidungen, die man dann jeden Tag fällt und irgendwann ist es dann fertig und ein Resultat aus diesen ganzen Kleinstentscheidungen. Wenn dann noch was außergewöhnliches daraus geworden ist, dann finde ich das immer irgendwie magisch.
Magisch ist glaube ich ein gutes Schlusswort! Max, ich danke dir für das Gespräch und viel Erfolg mit deinem Release!
Ich hab zu danken!