FLUCHT AUS PRETORIA – Filmkritik

You are the white Mandela!

(Schnepel – Flucht aus Pretoria)

Es gibt Geschichten im Leben, die sind so unglaublich, dass sie eigentlich nur aus einem Film stammen können. So eine wahre Geschichte ist das Leben von Tim Jenkin, einem weißen Anti-Apartheid-Aktivisten, der aus einem Gefängnis in Südafrika floh. Kein Wunder also, dass früher oder später diese Ausbruchsgeschichte zu einem Drehbuch verarbeitet wurde. Doch leider bewegt sich Regisseur Francis Annan mit Flucht aus Pretoria an einem so wichtigen Thema wie der Apartheid vorbei und verpasst, diesen düsteren Abschnitt der Geschichte aufzuarbeiten.

Die Apartheid war ein rassistisches System der Unterdrückung, dass die Menschen Südafrikas nach ihrer Hautfarbe unterschied und trennte. Bis zu ihrem Ende 1994 kämpften unzählige Aktivist/innen gegen die Trennung von weißen Menschen und Schwarzen, wie Nelson Mandela, später der erste schwarze Präsident Südafrikas, aber auch weiße Aktivist/innen wie Tim Jenkin und Stephen Lee.

Nach einer politischen Aktion, bei der Flugblätter gegen das herrschende System auf der Straße verteilt wurden, werden Jenkin (Daniel Radcliffe) und Lee (Daniel Webber) zu langjährigen Haftstrafen im Gefängniskomplex Pretoria verurteilt. Es ist ein hartes Urteil, das symbolisch für die autoritären Strukturen Südafrikas steht, in dem politischer Aktivismus brutaler bestraft wird als Mord. Doch Jenkin und Lee planen schon ab dem ersten Tag ihrer Haftstrafe den Ausbruch.

Und genauso schnell wie die Pläne für die Flucht entstehen, verliert sich der politische Aktivismus beider Protagonisten im Film. Rassismus und Apartheid sind nur noch entfernte Probleme, die ab und zu in kleinen Szenen aufblitzen und wieder verschwinden. Kern der Geschichte wird dagegen die Anfertigung von hölzernen Zellenschlüsseln und die stete Angst davor, erwischt zu werden. Aus einem spannenden, politischen Thriller wird ein herkömmlicher Ausbruchsfilm wie er schon hundertmal gedreht wurde. Doch als wäre das nicht schon einfallslos genug, wird im ganzen Film konsequent nur eine Art von Spannungsbogen aufgebaut: Jenkin hat eine Idee, baut einen Schlüssel, beim Test geht etwas schief, er wird fast erwischt und wieder von vorne. Dieses nervenraubende Try-and-Error-Prinzip ist vielleicht realistisch für solch ein Unterfangen, aber es macht jede Sequenz vorhersehbar und von Mal zu Mal geht die Spannung verloren.

Flucht aus Pretoria hätte das Potenzial gehabt, spannend und politisch zu sein – ein Denkmal für Anti-Apartheid-Kämpfer/innen und für einen spektakulären Gefängnisausbruch. Eine Chance, die leider ignoriert wurde.

Escape from Pretoria (AUS 2020)
Regie: Francis Annan
Darsteller: Daniel Radcfliffe, Daniel Webber, Ian Hart, Mark Leonard Winter, Nathan Page, Grant Piro
Heimkino-VÖ: 26. November 2020, Koch Films

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Julius Tamm

Hat irgendwas mit Medien studiert, schaut gerne Filme und schreibt auch noch drüber. Autor bei bedroomdisco, FRIZZ Darmstadt, hr-iNFO Online und hessenschau Social Media.

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